Kapitel 22

38 1 1
                                    

Der sichelförmige Mond stieg auf den Himmel als Rabe von ihren Felsen schlich und tief die kalte Nachtluft einatmete. Sie wollte Reißwind dienen. Sie leckte sich zweimal über ihren bereits sehr gerundeten Bauch. Sie würde die Jungen holen. Flink und mit sanften Pfoten sprang sie über die Lichtung. Sina hielt am Lagereingang Wache. Vorsichtig lief Rabe in die Kinderstube. Samtpfotes Bauch hebte sich langsam und senkte sich sanft. Zwei winzige Fellknäuel lagen eng angeschmiegt an dem Pelz der Kätzin. Rabes Augen verdunkelten sich. Vorsichtig nahm sie die beiden Jungen aus ihren Nest. Regenjunges wachte auf und sah Rabe verängstigt an. „Komm, wir gehen raus spielen", mauzte die schwarze Kätzin leise, worauf er aufgeregt mit dem Schweifchen wedelte und Spitzmausjunges stürmisch anstupse. Dieser machte verschlafen seine Augen auf. Rabe trug beide flink aus der Kinderstube. „Pssst!"

Wie konnte Rabe die Jungen unbemerkt aus dem Lager schmuggeln?

„Was macht die schwarze Kätzin mit uns?", fragte Spitzmausjunges ein wenig verängstigt. „Wir dürfen in der Nacht raus zum Spielen!" Rabe setzte beide auf ihre Schultern. „Aber dafür müsst ihr jetzt ganz, ganz leise sein!", flüsterte sie. Die Kätzin tappte mit den beiden zur Lagereingangshöhle. Sina war eingeschlafen.

Es würde eine Leichtigkeit sein, sich vorbeizuschleichen.

Rabe setze ganz sanft mit den Pfoten auf, als Sina plötzlich begann, zu husten. Rabe erstarrte zu Eis.

Die Leopardenkätzin schlief friedlich weiter und Rabe rannte schnell den Hügel hinunter. Der Wind pfiff ihnen durchs Fell und die Jungen quengelten, wann sie endlich spielen würden. Der Mond schien auf den Pelz der drei Katzen. „Wir gehen an einen echt tollen Ort!", sagte Rabe. „Ich will lieber zurück zu Mama...", maunzte Spitzmausjunges, der sich langsam fragte, ob es so eine gute Idee war, mit zu gehen. „Das wird lustig!", sagte Regenjunges, was Rabe einen Stich ins Herz gab. Sie war sich sicher, Reißwind würde sich über neue Krieger freuen. Und niemand würde je wissen, wer die Jungen gestohlen hatte. Die Katzen schlichen durch den kleinen Birkenwald, und kamen dann auf der anderen Seite des Wäldchens heraus, auf die große Wiese, den Zweibeinerort direkt vor ihm. Spitzmausjunges maunzte, er wolle gerne zurück und Regenjunges war jetzt etwas stiller geworden und kauerte verängstigt in Rabes pechschwarzem Fell.

Als sie schließlich kurz vor dem Lager standen, legte Rabe die beiden Jungen unter einem Busch ab. „Ihr müsst hier kurz warten, ich bin gleich zurück und dann spielen wir."

„Ich will nicht mehr spielen", jammerte Spitzmausjunges, doch Rabe war schon durch das Gebüsch geglitten und betrat das Lager. Hunderte leuchtende Katzenaugen blickten ihr entgegen und Reißwind kam auf sie zu. „Rabe, schön dich zu sehen."; schnurrte er.

Rabe neigte hastig den Kopf. „Ich habe eine Überraschung für dich" maunzte sie untertänig. Reißwinds Anblick säte Zweifel in ihrem Herzen. War es eine gute Idee, Clanjunge dem räudigen Streuner zu überreichen?

„Eine Katze ist heute in unserer Land eingedrungen. Ihre Leiche liegt jetzt-" , redete Reißwind, Rabe ignorierend weiter. Rabe jagte es einen Schauer über den Rücken, obwohl sie wusste wie kaltblütig Reißwinds Gruppe war. „Wie ich sehe, reifen deine Jungen heran", Reißwind unterbrach seinen Satz und beäugte Rabes Bauch. „Ja. Starke Kämpfer für die Gruppe." Rabe war stolz. „Aber willst du nicht sehen, was ich mitgebracht habe?" Er wird sich über diese jungen Katzen freuen. Einen Herzschlag lang schwiegen beide Katzen, dann verzog sich Reißwinds Antlitz zu einer schrecklichen Grimasse. „Haha", lachte er höhnisch. „Kämpfer? Noch mehr Mäuler zum Füttern, meinst du. Sobald die Schreihälse da sind, ertränkst du sie im nächsten Bach", als er Rabes Gesicht sah fügte er weich schnurrend hinzu: „Oder ich erledige sie für dich, wenn du nicht willst. Ich bin ja kein Monster." Rabe starrte den blutrünstigen Kater an und traute ihren Ohren kaum. Er würde sie umbringen. Sie konnte ihm Samtpfotes Jungen nicht anvertrauen. Ich hätte es wissen müssen! Blitzschnell fasste sie den Entschluss. In ihrem Kopf drehte sich alles. Reißwind wollte ihre Jungen nicht, Reißwind würde Samtpfotes Jungen nicht haben wollen, nein, er würde sie wahrscheinlich töten. Sie musste hier weg. Sie musste aus diesem Lager, mit den starrenden Augen, welches nach Aas , nach Tod stank. Wo die Luft vor Bosheit leise vibrierte. All das wurde Rabe mit einem Schlag klar. Sie warf Reißwind einen hasserfüllten Blick zu, wirbelte herum, und stürmte Richtung Lagerausgang. Blut rauschte in ihren Ohren. Ein Kater warf sich ihr in den Weg. „Lass sie gehen, sie wird sich beruhigen!", hörte sie eine unwirkliche , weit entfernte Stimme miauen, die vermutlich Reißwind gehörte. Rabe sprang über den irritierten Kater und preschte aus dem Lager. „Spitzmausjunges, Regenjunges!", rief sie mit gedämpfter Stimme und kroch unter den Busch. Der braune, kleine Spitzmausjunges kauerte verängstigt und zitternd unter dem Busch. Wie konnte sie ihn nur in eine derartige Situation bringen? Warum hatte sie in unter die Herrschaft von Reißwinds scharfen Krallen bringen können? „Wo ist Regenjunges?", fauchte Rabe mit weit aufgerissenen Augen. „Er wollte Samtpfote suchen...", miaute Spitzmausjunges und konnte seinen Schrecken nicht verbergen. Mäusedreck. In diesem Wald hatte Regenjunges alleine keine Chance. Rabe packte das braune Bündel grob mit den Zähnen und warf ihn auf ihren Rücken. „Halt dich fest!", schrie sie und bereute es sofort, als er seine kleinen spitzen Krallen in ihre Nackenfell bohrte. „Regenjunges..." Die schwarze Kätzin senkte die Nase, öffnete leicht den Mund und folgte der Geruchsspur des kleinen Katers. Mit Spitzmausjunges auf den Rücken kroch sie durch ein stacheliges Dornengestrüpp , worauf des Junge laut aufquiekte. Erschrocken hielt Rabe an und spitzte die Ohren. „Leise!" Dieser Wald war nicht groß, jedoch voller böser Kreaturen, heruntergekommene aber grausame Katzen, deren Kampfgeist nie erloschen war. Sie krochen weiter und plötzlich sprang Rabe zur Seite. Da waren Stimmen. Spitzmausjunges bohrte seine Krallen noch tiefer in Rabes Pelz. „Sieh einer an... Was hat so ein kleines, hilfloses Ding wie du in einen dunklen Wald zu suchen?", hörte Rabe eine leise, schleimige Stimme sagen. „Hat dich Mama ausgesetzt? Verbannt?" Rabe lief ein Schauer über den Rücken. Sie kannte diese Stimme. Vorsichtig lugte sie durch die Blätter eines schützendes Gebüsches hindurch und blickte in eine laubbedeckte Senke. Ihre entsetzliche Vermutung hatte sich bestätigt. Leguan, ein riesiger, grau getigerter Kater aus Reißwinds Gruppe kauerte vor dem winzigen Fellbündel, Regenjunges. „Kannst du mich nach Hause bringen?", fragte Regenjunges verängstigt. Rabe kannte den Kater schon lange, man sagte er sei kaltblütiger als Fauch, Reißwinds rechte Pfote. Leguan knurrte bedrohlich, worauf sich Regenjunges noch fester an den Erdboden presste. Wie konnte Rabe das Junge retten, wenn sie ein Zweites an ihrem Rücken hängen hatte? „Ich werde dich höchstens zerfleischen..", knurrte er, zwei Fuchslängen von Regenjunges entfernt. Rabe hielt den Atem an. Ihre Chance. Aber wenn sie Regenjunges jetzt so offensichtlich aus Leguans Krallen befreite, würde es Reißwind auf schnellsten Wege erfahren, und sie würde nie mehr in sein Lager zurückkehren können, außer sie verspüre den Drang zerfetzt zu werden.

Obwohl sie nicht recht wusste, ob sie überhaupt zu der Gruppe zurückwollte. Am Anfang war es Loyalität, und dann war es die Angst vor dem großen Kater, die sie immer wieder zu ihm zurückkehren ließ. Sie schüttelte ihre Zweifel ab, befahl Spitzmausjunges sich gut festzuhalten und sprintete los. Regenjunges und Leguan drehten erschrocken die Köpfe zu ihr, als sie auf die beiden zugerannt kam. Sie zögerte keine Sekunde und packte das kleine Junge am Nackenfell. Dann preschte sie Richtung Zweibeinerort. Die Jungen waren noch klein, jedoch schwer genug um Rabe einzubremsen. Hinter sich hörte sie den überraschten Leguan jaulen, legte die Ohren an und beschleunigte ihr Tempo. Der Waldboden schien unter ihr zu verwinden. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und der Wind pfeifte an ihren Ohren vorbei. Hinter ihr Pfotengetrampel, mehrere Katzen schienen ihr zu folgen. Dann sah sie den Zweibeinerort. Sie brach durch den Farn auf den harten Stein neben dem Donnerweg, auf dem die Zweibeiner immer hin und her gingen. Die Jungen in ihrem Bauch machten ihr zu schaffen. Sie wusste nicht, ob die Katzen noch hinter ihr waren. Schneller, schneller, sagte sie sich. Fast krachte sie in den grauen, geschmeidigen Körper vor ihr. „Was geht hier eigentlich vor?", fragte Schnurr, und sein enttäuschter, elender Blick brach ihr fast das Herz.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 02, 2017 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

WarriorCats - Die BestimmungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt