Kapitel 3

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,,Wir müssen reden, Hannah"

Während den vielen Jahren, die Claire und ich uns nun kannten, haben wir uns oft gestritten. Ich kannte den Blick, mit dem sie mich ansah, mit dem sie jeden ansah, wenn sie wütend auf diese Person war.

Doch so hatte sie mich noch nie angesehen. In ihren Augen spiegelte sich purer Hass und Ekel wider.

,,Worüber müssen wir reden?", fragte ich. Meine Finger wurden immer so schwitzig, wenn ich nervös bin und begannen zu zittern. So auch jetzt.

Die blauen Augen meiner besten Freundin verengten sich zu schmalen Schlitzen. ,,Tu nicht so unschuldig, du weißt genau, was du getan hast!" Der vorwurfsvolle Unterton in ihrer Stimme war kaum zu überhören.

Was auch immer es war, wodurch sie so außer sich war, ich würde es gleich erfahren. ,,Sag es mir", forderte ich sie auf. Mittlerweile stand ich direkt vor ihr, obwohl ich mich kaum auf meinen zitternden Knien halten konnte, so nervös war ich.

,,Du schläfst mit meinem Bruder und erlaubst dir danach auch noch mich anzusehen, als sei nie etwas gewesen. Hast es danach gewagt, zu mir nach Hause zu kommen, in meinem Zimmer zu sitzen, lachtest mit mir.. ich habe mit dir über meine Probleme gesprochen..dir Geheimnisse anvertraut!" Claire war außer sich. Und ich konnte es tatsächlich nachvollziehen. Ich hatte vollstes Verständnis für ihre Reaktion, denn sie wusste es nicht besser. Sie hatte keine Ahnung, dass es nicht freiwillig war, dass ihr Bruder mich dazu gezwungen hat. Claire wusste es nicht. Und ich konnte es ihr nicht sagen, denn ich schämte mich zu sehr und hatte Angst vor ihrer Reaktion.

,,Wer hat dir das gesagt?", fragte ich, statt es einfach abzustreiten, denn es war nicht gelogen, dass wir.. Sex hatten. Wenn man das so nennen konnte.

,,Du streitest es also nicht ab, dass du mit meinem Bruder gefickt hast!?", begann sie zu schreien. Ich legte meinen Zeigefinger auf meine Lippen, denn dass meine Eltern von unserer Auseinandersetzung mitbekommen, wollte ich vermeiden. Zumindest sollten sie nicht den Inhalt des Streits hören.

,,Keine Sorge, Hannah, deine Eltern sind gerade gegangen. Sie kriegen nicht mit, was für eine schlechte Freundin du bist, was für eine Schlampe du b-" Ohne es selbst kontrollieren zu können, holte ich aus und schlug Claire mit der flachen Hand ins Gesicht. Ihr Kopf flog zur Seite und sie verstummte. Wir verstummten. Keine von uns sagte auch nur ein weiteres Wort.

Und dann sprach Claire einen Satz aus, der mir den Boden unter den Füßen weg riss.

,,Ich bin fertig mit dir!"

Und obwohl ich einfach schockiert dastand, während sie mein Zimmer verließ, wunderte es mich nicht, diesen Satz aus ihrem Mund zu hören.

Sie knallte laut die Tür hinter sich zu. Obwohl ich nicht wollte, dass sie einfach so verschwand, folgte ich ihr nicht, denn ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, diesem sturen Mädchen zu folgen. Was sollte ich ihr auch sagen? ,,Hey, hör mal, dein Bruder hat mich übrigens in deinem Bett vergewaltigt" Ich schnaubte. Bestimmt nicht. Das würde sie mir abgesehen davon, dass ich mich dafür in Grund und Boden schämte, sowieso nicht glauben.

Es gab nichts mehr, was unsere langjährige Freundschaft hätte retten können. Ich hatte es, um es klar auszudrücken, verschissen.

Meine Augen füllten sich mit Tränen und in meinem Hals hatte sich ein dicker Kloß gebildet, den ich erstmal runterschlucken musste, da er mir die Luft wegzuschnüren drohte.

Meine Knie würden jeden Moment unter mir nachgeben, also setzte ich mich auf mein Bett nieder und nahm einen tiefen Atemzug. Mein leerer Blick war auf den Boden gerichtet.

Scheiße, dachte ich. Ich hatte soeben die Freundschaft zu Claire endgültig zerstört. Was hatte ich bloß angerichtet?

Sie wird mir niemals verzeihen.

Du hast mit ihrem Bruder geschlafen, meldete sich nun meine innere Stimme zu Wort, die ich nicht kontrollieren konnte. Ich hatte nicht freiwillig mit Brandon geschlafen, er hatte mich vergewaltigt.

Du hast dich nicht gewehrt, du bist selber Schuld.

Langsam bahnte sich eine erste, warme Träne ihren Weg über meine Wangen und blieb an meinem Mundwinkel hängen, von wo aus sie einen salzigen Geschmack in meinem Mund hervorrief. Auf die erste Träne folgten weitere.

Hätte ich mich gewehrt, wäre die Vergewaltigung nie geschehen..

,,Scheiße", murmelte ich und stand auf, griff nach meinem Handy und versuchte, Claire zu erreichen, doch sie drückte mich immer wieder weg. Ich wollte ihr schreiben, stellte jedoch fest, dass ich nur einen Haken hatte. Ihr Profilbild war weg und auch sonst konnte ich nichts von ihr sehen. Sie hatte mich blockiert.

,,VERDAMMT!", schrie ich nun und schleuderte mein Handy auf mein Bett, lief in meinem Zimmer auf und ab. Ich weinte bitterlich und raufte mir die Haare. Schließlich blieb ich vor meinem Spiegel stehen und betrachtete mich.

Du bemitleidest dich selbst, sagte meine innere Stimme. Sieh' dich doch an, wie erbärmlich du bist. Mit dir will niemand etwas zu tun haben.

Da ich meinen eigenen Anblick nicht länger ertragen konnte, nahm ich mir eine Decke und hängte sie vor meinen Spiegel, sodass ich mich nicht länger selbst ansehen musste.

Allmählich sah ich auch ein, dass ich es selbst verbaut hatte. Ich selbst war Schuld, dass Brandon überhaupt tun konnte, was er getan hatte und ich war Schuld daran, dass Claire mich hasste und nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Ich war Schuld an allem, was schief lief. Ich war ein einziger Fehler und niemand war schuldig außer ich selbst. Claire hatte jegliches Recht dazu, mich zu hassen.

Doch die Person, die mich am meisten hasste, war ich selbst.

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