Kapitel 18

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11. September 2015, 12:46

Obwohl ich am liebsten auf direktem Wege nach Hause gegangen wäre, um Adam und Claire und auch sonst allen anderen aus dem Weg zu gehen, blieb ich in der Schule, denn schwänzen passte einfach nicht zu mir und mich im Sekretariat mit der Begründung, dass es mir nicht gut ginge, abzumelden, wollte ich aus Angst, man würde meine Mutter kontaktieren, auch nicht.

Denn Mom würde sich wahrscheinlich wieder grundlos viel zu große Sorgen machen, es auf die vom Arzt diagnostizierte Essstörung schieben und mich und meine Essgewohnheiten bloß noch intensiver kontrollieren, als sie es seit Tagen ohnehin schon tat. Dabei war meine Apetitlosigkeit mein geringstes Problem, was meine Mutter natürlich nicht wissen konnte.

Den Sportunterricht verbrachte ich auf der Bank, denn heute spielten sie Basketball und da Basketball nicht zu meinen Stärken gehörte und ich zwei linke Füße hatte, hatte ich dies als Ausrede für mich selbst benutzt, mich gar nicht erst umzuziehen und eine sechs zu kassieren.

Während ich mit meinen Augen dem großen, orangen Ball mit den schwarzen Streifen folgte, erwischte ich mich zwischendurch immer wieder selbst dabei, wie ich Adam ein bisschen zu lange beobachtete und fragte mich, wieso er sich so verantwortlich für mich fühlte, dass er in seiner Ratlosigkeit ausgerechnet Claire darum bat, mit mir zu sprechen, wo er doch genau wusste, was über mich und ihren Bruder erzählt wurde und dass sie und ich deshalb keine Freunde mehr waren. Hatte er sie wirklich mit seiner Vermutung, Brandon könnte mir weh getan haben, konfrontiert? Das würde zumindest ihren misstrauischen Blick erklären, denn demzufolge, was Claire über ihren Bruder dachte, war Brandon anders als das, nicht fähig dazu, etwas dergleichen getan haben zu können, was Adam ihm vorwarf. Das dachte ich selbst auch.. bis zu jener Nacht in Claires Zimmer jedenfalls, denn dort hatte Brandon offenbart, zu was er wirklich fähig war. Alkohol hin oder her.

Vertieft wie ich war, merkte ich zu spät, dass der orange Ball auf mich zuflog und mich erbarmungslos direkt ins Gesicht traf. Vor Schreck fiel ich fast von der Bank, hätte ich mich nicht rechtzeitig in diese gekrallt.

Für einen kurzen Moment blendete ich sämtliche Geräusche um mich herum aus, sah, wie einige sich schockiert die Hände vor ihre Münder hielten, während Cathy ihren weit aufriss und den Kopf in den Nacken warf. Sie lachte. ,,Upsi", machte sie ironisch.

Unser Sportlehrer erreichte mich zeitgleich mit Claire und versperrte mir die Sicht auf die anderen Schüler. ,,Alles in Ordnung, Hannah?" Mr Peters sah mich fragend an.

In dem Moment spürte ich, wie warmes Blut mir aus der schmerzenden Nase trat und über meine Lippen lief, ehe es auf meine Hände, welche ich mir vor das Gesicht hielt, tropfte.

,,Claire, gehen Sie bitte mit Hannah in die Umkleide. Ich verständige die Schulsanitäterin", bat er Claire, welche daraufhin nickte und mir auf meine wackeligen Beine half, wobei sie mich mit ihrem Arm stützte.

In der Umkleidekabine angekommen, verfrachtete Claire mich in das kleine anliegende Badezimmer, wo ich mich über das Waschbecken beugte und zusah, wie ein Tropfen Blut nach dem anderen auf dem weißen Keramik im Waschbecken aufschlug. Bald schon war das ganze Waschbecken voll davon, ehe Claire endlich einen großen Stapel Tücher organisiert hatte.

,,Soll ich dir einen Stuhl holen?", fragte Claire mit besorgter Stimme und stützte mich ein bisschen, denn der Anblick von Blut, das wusste Claire genau, bereitete mir Übelkeit. Einmal hatte sie mit versehentlich ihren Ellenbogen ins Gesicht gerammt, woraufhin ich schwallartig Nasenbluten bekam. Der Anblick meines eigenen Blutes hatte mich so mitgenommen, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte.

Auf ihre Frage hin schüttelte ich jedoch den Kopf und schloss meine Augen.

Der eisenhaltige Geschmack meines eigenen Blutes breitete sich in meinem Mund aus und ließ mich schwer schlucken.

Es war seltsam, mit Claire in einem Raum zu stehen und nicht zu wissen, was ich sagen soll, denn sonst gab es immer etwas, worüber wir miteinander sprechen konnten, doch jetzt war es, als hätten wir einander nichts mehr zu sagen, als sei Claire tatsächlich fertig mit mir. Und es brach mir das Herz noch ein Stück mehr.

,,Es tut mir leid, was ich heute morgen gesagt habe, Hannah", setzte Claire an und sah mich durch den Spiegel hindurch mit ihren strahlend blauen Augen an. Dieselben blauen Augen wie die ihres Bruders, nur ein anderes Gesicht, Claires Gesicht. ,,Ich wollte nur, dass sie dich in Ruhe lässt. Cathy redet durchgehend schlecht über dich, abgesehen von dem Gerücht.. sie mag dich ganz einfach nicht und nimmt mich als Begründung dafür, dich zu beleidigen" Sie hielt mir weitere Papiertücher hin, denn meine waren bereits durchgeblutet. ,,Denk dran, was sie getan hat, Claire. Sie hat es verdient", äffte Claire ihre neue 'Freundin' mit hoher Stimme nach.

Meine Mundwinkel zuckten zu einem kleinen Lächeln, welches Claire wegen dem großen Tuch vor meinem Gesicht vermutlich nicht sah.

,,Du hast es nicht verdient, Hannah" Ihre Augen glänzten, eine Träne bahnte sich über ihre durch den Sportunterricht gerötete Wange, doch sie wischte sie schnell fort. ,,Du hast Adam und mich vorhin reden sehen und du warst zurecht wütend"

Meine Augen musterten einen Fleck an der weißen Wand hinter Claire, um ihren blauen Augen auszuweichen. Es war klar, dass sie das Thema ansprechen musste. ,,Aber Hannah.. er macht sich Sorgen um dich und ich auch, denn etwas stimmt nicht mit dir. Seit deinem Geburtstag ziehst du dich eindeutig immer mehr zurück"

,,Claire" Meine ausweichende Stimme klang heiser und brüchig. Jetzt über Brandon und mich zu sprechen, erschien mir nicht richtig. Am liebsten wäre ich davongelaufen, doch das Blut, welches mir unaufhörlich aus meiner schmerzenden Nase strömte, wobei es vermutlich mehr aussah, als es eigentlich war, hinderte mich daran, denn ich wusste, dass ich, wenn ich mich nicht mit meiner einzig freien Hand am Waschbeckenrand abstützen würde, vielleicht durch den Geruch, den Geschmack und Anblick meines eigenen Blutes in Ohnmacht fallen würde.

Claire machte einen Schritt auf mich zu. ,,Ich habe von Lola gehört, dass Brandon dich letzte Woche auf dem Schulhof abgefangen hat und du zu weinen anfingst" Sie nahm einen tiefen Atemzug und schaltete den Wasserhahn an, um das mit Blut befleckte Waschbecken sauber zu spülen, aber ich wusste, dass sie es einfach nicht länger ertrug, mir in die Augen zu blicken. ,,Deine Mutter hat mich vor ein paar Tagen angerufen und mich gefragt, ob ich wüsste, was bloß mit dir los sei, dass du nichts mehr isst, nur noch in deinem Zimmer liegst und schläfst und dass sie dich oft weinen hört, du sie jedoch nicht an dich heran lässt. Doch ich konnte ihr keine Antwort geben, denn ich weiß es selber nicht, dabei haben wir uns sonst alles erzählt"

Sonst hatten wir uns alles erzählt, weil wir beste Freundinnen waren und wir uns gegenseitig helfen konnten, Claire. Doch mit dem, was mir passiert ist, kann man mir nicht helfen. Auch Claire konnte mir nicht helfen, denn entweder würde die Wahrheit sie zerstören oder sie würde sie nicht glauben wollen, sie als Lüge abstempeln und mich noch mehr verabscheuen, als sie es ohnehin schon tat.

,,Hannah, ich mache mir Sorgen um dich", fuhr Claire fort, ohne auf eine Antwort auf ihre vorherigen Worte zu warten, denn meine Lippen blieben verschlossen. Ich legte das Tuch ab und musterte mein Gesicht im Spiegel. Ich hielt ein weiteres Tuch unter den Wasserhahn, feuchtete es an und befreite meine Lippen- und Nasenpartie von meinem eigenen Blut. ,,Hannah, ich vermisse dich. Ich vermisse, wie du warst. Ich vermisse die langen Gespräche, die wir führten, wenn wir uns lange nicht gesehen haben oder eine von uns traurig war"

Meine braunen Augen trafen auf Claires blaue Augen. ,,Ich auch", flüsterte ich und hielt mir ein neues Tuch vor die Nase.

,,Dann bitte", flehte sie mich an und legte mir eine Hand auf die Schulter. ,,Sag mir was los ist, Hannah"

Doch meine Lippen blieben nach wie vor verschlossen, meine blutigen Finger umklammerten den grauen Zellstoff.

Schritte näherten sich uns und ehe Claire noch etwas sagen konnte, kam die Schulsanitäterin mit ihrem schweren Erste-Hilfe-Kasten in das kleine Badezimmer und unterbrach unser einseitiges Gespräch und hinderte mich somit daran, Claire eine Antwort geben zu müssen.

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Hi ❤
Ein großes Dankeschön an alle, die Hannahs Geschichte bis hierhin schon verfolgt haben.
Ich hoffe ihr hattet einen guten Start ins neue Jahr und ich wünsche jedem alles Gute, viel Glück und Gesundheit.

Ich würde mich sehr über ein kleines Feedback freuen (auch privat, wenn es manchen so lieber ist 🙈).

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