,,Wieso hast du es uns nicht früher gesagt, Hannah?", fragte meine Mutter, als sie mich am Tag nach meiner Aussage im Krankenhaus besuchen kam. ,,Du weißt doch, dass du uns alles anvertrauen kannst. Wirklich alles.."
Natürlich wusste ich, dass ich ihnen alles anvertrauen konnte. Doch ob sie es verstanden hätte war ein anderes Thema. ,,Ich hatte Angst vor eurer Reaktion"
,,Du weißt, dass wir immer hinter dir stehen werden", versicherte meine Mutter mir und griff nach meiner Hand. ,,Spätestens jetzt solltest du es wissen"
,,Dad ist nicht hier", sagte ich trocken. Dass Mom immer hinter mir stand, wusste ich, doch bei Dad war ich mir nicht sicher, ob er nicht auch mir heimlich einen Teil der Schuld zuschrieb.
,,Dein Vater ist zurecht schockiert, Hannah", versuchte sie ihn zu verteidigen, was ich verstehen konnte, doch seine Abwesenheit sprach nicht gerade für ihn. ,,Gib ihm bitte etwas Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen"
,,Einen klaren Kopf, was?", schnaubte ich und zog meine Hand aus ihrer, wandte mein Gesicht mit verschränkten Armen in die entgegengesetzte Richtung.
,,Adam und du scheint euch wirklich nahe zu stehen", wechselte sie das Thema.
,,Wir sind nur Freunde", sagte ich rasch.
Ein breites Lächeln umspielte ihre Lippen. ,,Das habe ich nie bestritten, Liebes"
Adam war der einzige, den ich in den vergangenen Wochen überhaupt an mich herangelassen habe. Vielleicht fiel das auch Mom auf und sicherlich noch vielen anderen.
,,Als du auf der Intensivstation lagst, ist er dir nicht von der Seite gewichen. Am Tag deiner Aufnahme wollte er nicht gehen, ohne dich noch einmal gesehen zu haben", erzählte sie mir. ,,Er saß stundenlang bei dir, hat deine Hand gehalten und mit dir geredet, auch wenn du noch nicht wach warst. Seine Anwesenheit tut dir gut. Adam ist wirklich ein guter Junge"
Zu wissen, dass er mir nicht von der Seite gewichen war, sprach für ihn. Alles, was er tat und sagte, meinte er auch so. Er war wirklich etwas Besonderes, denn jemand wie Adam war nicht leicht zu finden. Ihn trotzdem kennengelernt zu haben scheint Schicksal gewesen zu sein. Und das zeigte mir, dass es immer etwas gab, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Auch in schweren Zeiten findet man immer ein kleines Licht, welches einem den Weg aus der Dunkelheit zeigt. Adam ist dieses Licht für mich. Er war für mich da, als es niemand sonst war. Als sich alle gegen mich stellten. Als ich glaubte, nie mehr glücklich werden zu können. Anfangs hatte ich es zu wenig wertgeschätzt, doch jetzt wusste ich, was es für mich bedeutete.
,,Ja", sagte ich schließlich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. ,,Er ist ein guter Junge"
Ein Klopfen an der Tür ließ uns innehalten. ,,Herein", sagte ich, woraufhin Claire mit völlig verweinten Augen den Raum betrat. Meine Mutter handelte sofort und nahm das junge Mädchen in die Arme.
,,Es tut mir so leid", weinte sie. ,,Das habe ich nicht gewollt"
Sie so zu sehen tat weh. ,,Claire, du kannst nichts dafür", sagte ich vorsichtig und streckte meine Arme nach ihr aus, woraufhin sie sich von meiner Mutter löste und stattdessen mir in die Arme fiel. Mom ließ uns allein, was vielleicht in Anbetracht der Situation bloß das Beste war.
,,Meine Eltern sind ganz außer sich, sie machen sich Vorwürfe, was sie bloß falsch gemacht haben könnte, sodass ihr Sohn zu soetwas fähig ist.." Immer wieder wurde sie von ihren heftigen Schluchzer unterbrochen. ,,Meine Mom weint den ganzen Tag, mein Dad ist wütend"
Sie hielt einen Augenblick inne, sah sich in meinem Krankenhauszimmer um. Auf dem Nachtschrank lagen zahlreiche Karten, die sie in der Schule für mich geschrieben und gesammelt hatten. Sogar von Cathy und Laura war eine dabei.
,,Wer weiß alles von der Vergewaltigung?", fragte ich vorsichtig. Ich wollte nicht, dass es die Runde machte und jeder davon wusste.
,,Nur Adam, deine Eltern, meine Eltern und ich.. eventuell auch Jasper, aber da bin ich mir nicht sicher.. ich habs ihm jedenfalls nicht gesagt", sagte sie rasch und klemmte sich eine blonde Haarsträhne, welche ihr aus dem unordentlichen Dutt gefallen war, hinter das Ohr. ,,Er hat sich nach seiner Aussage seltsam verhalten, hat es gemieden mit mir zu sprechen.. ich denke, das hat ihn einfach ziemlich mitgenommen"
,,Mag sein", murmelte ich schulterzuckend und griff nach meinem Handy.
1 neue Nachricht von Adam.
Adam: Hey, wie geht es dir?
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
Hannah: Hey, alles gut soweit.. kommst du später noch vorbei?
Adam: klar :)
Adam: bis später
Hannah: Bis später
Als ich den Blick von meinem Handy hob, blickte ich in das Gesicht von Claire, welche ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen trug.
,,Was?", fragte ich ebenfalls grinsend und verdrehte meine braunen Augen.
Claire wackelte mit ihren perfekt nachgemalten Augenbrauen. Mit einem genervten Zungenschnalzen und einem noch breiterem Grinsen, welches ich zu verbergen versuchte, nahm ich eines der vielen Kissen und warf es nach Claire. Sie fing es gerade noch rechtzeitig ab. ,,Jetzt sieh' mich nicht so an, Claire"
Ich presste meine Lippen aufeinander, um dieses dämliche Grinsen irgendwie zu verbergen, jedoch machte es das kaum besser.
,,Was bringt dich so zum Grinsen? Oder sollte ich lieber nach dem Wem fragen", fragte sie mit diesem neugierigen Funkeln in den blauen Augen, was mich an alte Zeiten zurück denken ließ.
,,Niemand", erwiderte ich und griff nach dem Kissen, mit welchem ich sie eben vergeblich attackiert hatte. Ungläubig zog sie die Augenbrauen hoch.
,,Ich habe nur mit Adam geschrieben", gab ich mich nun doch geschlagen und hoffte, dass sie sich damit zufrieden gab.
,,Mit Adam" Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Das verschmitzte Grinsen auf ihren Lippen verwandelte sich in ein verträumtes Lächeln. ,,Wir sind in den letzten Monaten ziemlich auseinandergewachsen. Aber ich hoffe, dass wir uns einander langsam wieder annähern können.."
,,Das hoffe ich auch, Claire", stimmte ich ihr zu.
,,Kann ich dich umarmen?", fragte sie leise. Der Blick in ihre plötzlich traurigen, blauen Augen fiel mir schwer, denn es waren dieselben blauen Augen wie Brandons.
Bevor ich überhaupt ein Wort über meine Lippen bringen konnte, öffnete ich meine Arme und nahm Claire darin auf.
Ich hatte sie so vermisst.
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Eighteen
Teen FictionAbgeschlossen ✔️ Hannahs 18. Geburtstag beginnt mit einer großen Tragödie, als sie auf ihrer eigenen Party Opfer sexuellen Missbrauchs wird. Danach ist für sie nichts mehr, wie es einmal gewesen ist. Plötzlich entstehende Gerüchte sorgen dafür, das...