Kapitel 16

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10. September 2015, 22:03

Es war ein befriedigendes Gefühl, nach den vergangenen vier Tagen endlich wieder in meinem eigenen Bett zu liegen.

Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus heute, fühlte ich mich jedoch kaum besser als zuvor. Abgesehen von der Tatsache, dass ich dort unter Druck gesetzt wurde, etwas zu mir zu nehmen, obwohl es in mir tiefen Ekel auslöste und ich dem Erbrechen jedes Mal nahe genug war, wurde ich auch noch von einem Psychologen auf meinem Krankenhaiszimmer aufgesucht.

,,Es war die Empfehlung des Arztes", hatte meine Mutter sich fein aus der Sache herausgeredet. Doch mir war klar, dass auch sie ihre Finger dabei im Spiel gehabt haben musste.

Weder meine Eltern, noch irgendein idiotischer Psychiater konnten mir helfen! Sie taten, als wüssten sie, was sie tun müssen, damit ich mich besser fühlte, dabei hatten sie keine Ahnung, was wirklich in mir vor sich ging.

Meine Mutter ahnte nicht, was es in mir auslöste, wenn sie mir liebevoll immer wieder mit ihren Fingern über das Haar strich und mir Küsse auf die Wange hauchte. Sie wusste nicht, was es in mir auslöste, wenn sie sagte, dass alles wieder gut werden würde. Sie wusste es einfach nicht. Und sie würde es nie wissen.

Seufzend drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Decke, an welcher eine vielzahl Leuchtsterne in den verschiedensten Größen klebten. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie Claire sie mir vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. Wir hatten extra die Leiter meines Vaters aus dem Keller geholt und unsere Angst vor Spinnen überwindet, um über Stunden damit zu verbringen, die vielen kleinen Sterne an die Decke anzubringen. Uns hätte von vorne herein klar sein müssen, dass sie nicht stark genug leuchten würden, um den ganzen Raum zu erhellen, wie wir es uns erhofft hatten, dennoch waren wir mit dem Endergebnis mehr als zufrieden gewesen, da es tatsächlich wie unser eigener, kleiner Nachthimmel aussah.

Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Lippen sich bei dem Gedanken an diese Erinnerungen zu einem leichten Lächeln geformt hatten. Jedoch verschwand dieses Lächeln direkt wieder, als mir in den Sinn kam, dass dies eben bloß die schönen Erinnerungen an eine bessere Zeit waren. Eine Zeit, in der Claire und ich beste Freundinnen waren, in der wir durch dick und dünn gingen, zusammen lachten, weinten und über unsere Probleme sprachen. Eine Zeit, in der ich glücklich und unbeschwert war, in der meine einzige Sorge jene war, ob diese dämlichen Leuchtsterne wohl mein ganzes Zimmer erleuchteten.

Wie sehr ich mir wünschte, dass ich die Zeit zurückdrehen könnte. Nur noch ein einziges Mal in diesem unbeschwerten Moment leben zu können. Aber das Leben war ja bekanntlich kein Wunschkonzert.

Meine Augen füllten sich mit Tränen. Unaufhaltsam liefen sie mir über die Wangen. Ich machte mir nicht die Mühe, sie fortzuwischen. Das hatte ich oft genug getan. Dadurch wurden sie nicht weniger.

Plötzlich vibrierte mein Handy.

Sie haben 1 neue Nachricht.

Unbekannte Nummer: Ich habe gehört, dass du aus dem Krankenhaus entlassen wurdest.

Schon wieder eine Nachricht von dieser unbekannten Nummer. Allmählich begann ich mich zu fragen, ob es jemand war, der sich mir versuchte aufzudrängen, um mich im Nachhinein nur dumm dastehen zu lassen.

Hannah: Was interessiert es dich?

Unbekannte Nummer: Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Hannah. :(

Hannah: Verarsch' mich nicht.

Unbekannte Nummer: Ich verarsche dich nicht.

Hannah: Wer bist du?

Unbekannte Nummer: Das spielt keine Rolle.

Hannah: Dann solltest du mich in Zukunft in Ruhe lassen!

Unbekannte Nummer: Ich kann nicht.

Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, dass dieser Fremde meine Nummer hatte, mir jedoch nicht sagen wollte, wer er war. Vielleicht wäre es bloß klug, die Nummer zu sperren, sodass mich die Person dahinter nicht weiter kontaktieren konnte. Wer es war, konnte mir im Prinzip ja auch egal sein.

Vielleicht war es sogar das Beste, die Identität dieser Person nicht weiter zu hinterfragen.

Mir würde vermutlich sowieso nicht gefallen, was dabei raus käme. Also wieso meine Zeit damit verschwenden, nach potenziell zusätzlichen Problemen zu suchen? Mit Problemen war ich schon zu genüge bedient.

Der Abend war die schlimmste Tageszeit für mich, seitdem die Schule wieder angefangen hat, denn ich wusste genau, dass der ganze beschissene Tag, den ich erst hinter mich gebracht hatte, von Neuem beginnen würde, sobald ich das nächste Mal meine Augen aufschlug.

Es graute mir schon jetzt vor dem morgigen Tag. Wenn der Unbekannte wusste, dass ich im Krankenhaus gewesen bin, würde es mit Sicherheit auch der Rest der Schule wissen und da ich - zu meinem eigenen Bedauern - momentan eben Gesprächsthema Nummer eins war, würden sicherlich schon die nächsten Gerüchte im Umlauf sein oder zumindest heiß darüber diskutiert werden, wieso ich denn im Krankenhaus gelegen habe.

Doch wovor es mir am meisten graute, war die mit Sicherheit bevorstehende Begegnung mit Adam, denn ich war mir sicher, dass er meinem Geheimnis auf die Spur gekommen sein musste. Wieso sonst sollte er gefragt haben, ob Brandon mir weh getan hatte? Und das alles nur, weil ich Adam einfach viel zu viel preisgegeben hatte. Hätte ich das mit Claires vermeintlicher Nachricht nicht erwähnt, wäre es nicht so weit gekommen.

Am liebsten würde ich meine Augen schließen und sie nie wieder öffnen müssen, mich wortlos von dieser Welt absetzen. Doch jedes Mal, wenn ich darüber nachdachte, kamen mir Adams Worte in den Sinn. Es gab Menschen, denen ich noch immer etwas bedeutete. Menschen, die um mich trauern würden, die ich zurücklassen würde, weil ich es mir - egoistisch wie ich war - nur selbst recht machen wollte.

Adam lag richtig damit, als er sagte, dass Selbstmord keine Lösung, sondern ein feiger Ausweg für etwas, dem man sich nicht länger stellen wollte, sei.

Doch offensichtlich schien er nicht erkannt zu haben, dass der angeblich feige Weg für einen Menschen wie mich immer die einzig richtige Lösung sein könnte.

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