Kapitel 11

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5. September 2015, 8:14 Uhr

,,Trotzdem erzähle ich dir gerne meine" Die Lippen des Mädchens formten sich zu einem Lächeln.

,,Besser nicht", sagte ich und stand von der Fensterbank auf. ,,Und ich denke, dass ich jetzt zurück in den Unterricht gehen sollte"

Sarah versuchte gar nicht, mich erneut aufzuhalten, als ich das Mädchenklo verließ. Zwar hatte ich auch nicht sonderlich viel Interesse daran, zurück in den Unterricht zu gehen, doch schwänzen passte auch nicht zu mir.

Als ich das Klassenzimmer betrat, hielt Mrs Washington kurz inne und sah mich an.

,,Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich brauchte etwas frische Luft", erklärte ich Mrs Washington und ließ meinen Blick durch die Klasse schweifen. Jasper wagte es nicht, mich anzusehen, während Cathy mich hasserfüllter musterte, denje.

,,Kein Problem, Hannah, setzen Sie sich, damit ich mit meinem Unterricht fortfahren kann", bat Mrs Washington mich lediglich und deutete auf meinen Platz. Adam saß am Tisch daneben. Er senkte den Blick, als unsere Augen sich trafen.

Geschickt schlängelte ich mich nach hinten durch und stellte fest, dass mein Tisch keinerlei Spuren des zuvor dort gestandenen Namens mehr aufwies. Wieder fiel mein Blick auf Adam und ich stellte fest, dass er unsere Tische ausgetauscht haben muss.

,,Danke", murmelte ich, nachdem ich mich auf meinen Platz gesetzt hatte und musterte den gutaussehenden Jungen.

Statt etwas zu sagen, nickte er lediglich kurz.

Da ich mich ihm nicht weiter aufdrängen wollte und meinen durch Gerüchte entstandenen Ruf nicht untermauern wollte, gab ich mich mit seinem Nicken zufrieden. Adam musste all diese Kleinigkeiten nicht für mich tun und doch tat er es.

Mir fiel das Gespräch ein, welches wir vor einigen Tagen geführt hatten, in dem er mir verriet, selbst gemobbt worden zu sein und sogar einen fast erfolgreichen Selbstmordversuch hinter sich hatte. Er hatte mir sogar die Narbe an seinem Unterarm gezeigt, welche er davongetragen hatte.

Ich nahm es nicht genug zur Kenntnis, dass Adam und nun auch noch Sarah mir ihre Hilfe anboten. Doch es schien eben alles noch etwas weniger kompliziert für sie, als es tatsächlich war. Weder Sarah, noch Adam wussten, was hinter diesem Gerücht steckte.

Niemand wusste es.

Und niemand würde es je wissen.

Zu groß war der Scham, den ich diesbezüglich empfand. Was sollte jemand der beiden von mir denken, wenn ich ihm beichtete, von dem Bruder meiner besten Freundin vergewaltigt worden zu sein?

Brandon wirkte zu unschuldig, als dass er eine solche Tat begangen haben könnte, doch das hatte er.

Er hatte mein Leben zerstört und würde ungestraft davonkommen, wenn ich meinen Mund nicht aufmachte. Aber es schien mir unmöglich, die Wahrheit über meine Lippen zu bringen.

Der Unterricht verlief ungewöhnlich still, was vermutlich daran lag, dass Jasper nur kurz nach meinem Betreten des Klassenraumes diesen verlassen hatte und sich für den Rest der Stunde nicht mehr blicken ließ.

Als Mrs Washington den Raum verlassen hatte, rechnete ich zugegebenermaßen bereits mit dem Schlimmsten, als Cathy sich gezielt in meine Richtung umdrehte.

,,Hannah", zog plötzlich Adam meine Aufmerksamkeit auf sich. Langsam drehte ich mich in seine Richtung und sah ihn fragend an. ,,Wie geht es dir?"

Wie es mir geht?

In meinem Hals bildete sich ein Kloß, den ich erst runterschlucken musste, ehe ich wahrheitsgemäß sagte: ,,Nicht gut"

,,Möchtest du darüber reden?", erkundigte er sich.

Verneinend schüttelte ich den Kopf.

Wir schwiegen.

Jasper betrat den Raum und setzte sich mit einem kurzen Blick in meine Richtung auf seinen Platz zurück. In seinen Augen spiegelte sich die pure Wut und zugleich Zurückhaltung wider. Cathy beugte sich zu ihm rüber und murmelte etwas vor sich hin, was ich hier hinten nicht verstand. Seine Miene verzog sich kein Bisschen, doch wieder fiel sein Blick auf mich..

Etwas war anders an Jasper, doch ich wusste nicht, was es war. Hatte Adam etwas zu ihm gesagt, als ich weg war? Schließlich meinte er, er habe es geklärt.

So sehr ich auch versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren, das mulmige Gefühl in meinem Magen wurde immer unerträglicher und ich hatte das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen.

Ich stand auf und verließ den Raum und steuerte erneut zu den Mädchentoiletten, wo ich mich in eine Kabine einschloss und übergab. Da ich in den vergangenen Tagen kaum etwas zu mir genommen hatte, kam lediglich Gallenflüssigkeit heraus.

Ich hörte, wie sich die Tür öffnete und richtete mich auf, um zu spülen.

,,Hast du dich gerade übergeben?", fragte Claire, die mit verschränkten Armen vor mir stand, besorgt und musterte mich.

,,Ja", antwortete ich und stellte mich ans Waschbecken. Ich beugte mich runter und wusch mir das Gesicht, spülte meinen Mund zusätzlich mit Wasser aus, um den ekligen Geschmack loszuwerden. Nachdem ich mein Gesicht abgetrocknet hatte, betrachtete ich mich kurz im Spiegel.

,,Du siehst echt nicht.. gut aus, Hannah", sagte Claire und machte einen Schritt auf mich zu. Und sie hatte recht damit. Meine Haut war blass und dunkle Schatten zierten meine Augen, die sämtlichen Glanz schon längst verloren hatten. Meine Lippen waren trocken und rissig.

,,Ich fühle mich auch nicht besonders gut", erwiderte ich daraufhin und sah Claire durch den Spiegel an. Sie hatte ihre Augenbrauen zusammengezogen, sodass sich eine kleine, nachdenkliche Falte auf ihrer Stirn bildete. ,,Aber was interessiert es dich eigentlich. Wir sind keine Freunde mehr und ich habe dich enttäuscht.. dabei kennst du nicht die ganze Geschichte, Claire.."

Gerade, als sie etwas erwidern wollte, betraten Cathy und Laura den Raum. Mir drehte sich der Magen direkt wieder um. Cathys Augen richteten sich auf mich und kniffen sich zu schmalen Schlitzen zusammen.

Bevor Cathy etwas sagen konnte, verließ ich den Raum. Ich wollte jeglichen Angriffen aus dem Weg gehen.

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