Kapitel 37

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Die darauffolgenden Tage und Wochen sollten Besserung verschaffen. Mit der Stichverletzung wurde es von Tag zu Tag besser und dank der Physiotherapie, die ich jeden Morgen im Krankenhaus bekam, konnte ich nach vier Wochen entlassen werden.

Mittlerweile hatten wir schon fast Dezember und sogar der erste Schnee war über Nacht gefallen. Dad hiefte meine Tasche mit all den Geschenken, die mir in den letzten Wochen zugekommen waren, in den Kofferraum, während Mom schonmal ins Auto einstieg und Adam, welcher von meiner Mutter zum Abendessen eingeladen wurde, mir half ins Auto einzusteigen.

Auf dem Weg nach Hause herrschte das erste Mal seit viel zu langer Zeit eine ausgesprochen gute Stimmung. Dad schien sich prächtig mit Adam zu verstehen, was mehr als neu für mich war, und Mom nickte zum Takt der ersten Weihnachtslieder, welche im Radio abgespielt wurden, während ich aus dem Fenster blickte und immer wieder bei all den Unebenheiten auf der Straße ein leichtes Ziehen an der teils vernarbten Stichverletzung verspürte.

,,Sie haben Gitarre gespielt?", fragte Adam interessiert. ,,Ich spiele auch schon seit Ewigkeiten Gitarre." Dass Adam Gitarre spielte, wusste ich gar nicht. Als ich bei ihm war, hatte auch nichts darauf hingewiesen.

,,Habe meine alten Gitarren noch auf dem Dachboden stehen. Ich entstaube sie und bring sie später mal runter", schlug Dad begeistert vor. Mom und ich warfen uns eindeutige Blicke zu, wobei wir versuchten nicht zu breit zu grinsen. Wir waren beide verwundert darüber, wie gut die beiden sich miteinander verstanden und doch gefiel es mir. Es war nicht leicht, Dad zu überzeugen.

,,Sehr gerne, Mr Mason", sagte Adam und nickte hastig.

,,Nenn mich Gregor", bot Dad Adam an.

Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. An einer roten Ampel blieben wir schließlich stehen und ich beobachtete aus dem Fenster heraus ein junges Pärchen, welches händchenhaltend über den Gehweg schlenderte. Sie wirkten glücklich, unbeschwert. Ihre Lippen waren zu einem verliebten Lächeln geformt und ihre Augen strahlten, was ich sogar aus der Entfernung erkennen konnte.

Aus dem Blickwinkel nahm ich wahr, dass Adam mich ansah. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und sah ihn fragend an, doch er lächelte nur. Ich hinterfragte es nicht - das musste ich auch gar nicht - und erwiderte es schweigend.

Zu Hause angekommen hielt Adam mir die Autotür auf und griff nach meiner Hand, um mir aus dem Wagen zu helfen. Zum Glück hatten wir einen recht hohen Einstieg, was mir das Ein- und Aussteigen deutlich erleichterte.

Mom und Dad gingen noch einkaufen, nachdem Dad seine Gitarren bereits entstaubt vom Dachboden runtergeholt hatte und sie im Wohnzimmer aufs Sofa legte.

,,Ich wusste gar nicht, dass du Gitarre spielst", teilte ich Adam mit, welcher sich neben mir auf das Sofa setzte.

,,Wir haben uns nie über sowas unterhalten, ich wusste nicht, ob dich das interessiert", gestand er mir. Lächelnd legte ich meinen Kopf schief und deutete auf die Gitarre. ,,Spielst du mir etwas vor?"

Adam strich mit den Fingern über die Saiten der Gitarre. ,,Ich wüsste gerade nicht, was.." Lächelnd nahm er die Gitarre und zupfte ein wenig an den Saiten. Da sie scheinbar ein wenig verstimmt war, stimmte er sie erst.

,,Irgendwas, was dir in den Sinn kommt" Schulterzuckend lehnte ich mich zurück und betrachtete sein Profil von der Seite. Die braunen Haare fielen ihm in die Stirn, was ihn kaum zu stören schien.

Und dann begann er zu spielen.

Es kostete mich einen Augenblick, bis ich es als 'I found' von Amber Run identifizieren konnte. Ich erinnerte mich an den Tag, an dem Adam und ich uns in seinem Zimmer gegenüber standen und ebendieses Lied lief. Ich erinnerte mich, wie nervös er wurde und wie abweisend er reagierte, als ich sagte, wie schön ich das Lied fand.

,,Wow, Adam", sagte ich begeistert, als er aufhörte zu spielen und sah ihn lächelnd an. ,,Du bist wirklich gut.."

,,Du magst das Lied ja sehr gerne, wenn ich mich recht entsinne, also hab ich mich hingesetzt und gelernt es zu spielen" Zufrieden legte er die Gitarre beiseite. ,,Ich habe gehofft, dass ich es dir irgendwann mal vorspielen kann", gestand er und kratzte sich nervös am Hinterkopf.

,,Echt?", fragte ich mit erhitzten Wangen. Ich senkte meinen Blick und presste meine Lippen aufeinander. ,,Danke, das war wirklich schön"

Daraufhin herrschte eine ganze Weile Stille zwischen uns. Es war Adam, der unser Schweigen unterbrach. ,,Du hast da eine Wimper" Lächelnd fummelte er in meinem Gesicht herum und hielt mir schließlich die Wimper vor den Mund. ,,Wünsch dir was"

,,Mir was wünschen?" Skeptisch sah ich erst ihn, dann die Wimper an, welche an der Spitze seines Zeigefingers hing.

,,Kennst du das nicht?", erkundigte er sich ungläubig.

,,Was?", fragte ich verwirrt.

,,Du musst dir etwas wünschen und dann die Wimper wegpusten", erklärte er mir.

Lachend hob ich meine Augenbrauen. ,,Und das soll in Erfüllung gehen?" Entweder er meinte es ernst oder er machte sich indirekt über mich lustig, indem er versuchte, mich zu veräppeln. ,,Indem ich eine Wimper wegpuste?"

,,Vielleicht", erwiderte er und lächelte sanft.

,,Okay, fein. Dann wünsche ich mir jetzt etwas, was vielleicht in Erfüllung geht. Aber wehe du machst dich damit über mich lustig, Adam", antwortete ich lachend, dachte einen kurzen Augenblick nach und schloss schließlich meine Augen. Mir fiel kein Wunsch ein, was nicht bedeutete, dass ich wunschlos glücklich war, doch für den Augenblick war ich zufrieden, denn Adam ließ mich oft genug vergessen, wie schlecht es mir manchmal ging.

Ich wünschte mir Glück. Nicht für mich, sondern für ihn. Er war der mit Abstand gütigste, selbstloseste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Jemand wie er verdiente es, glücklich zu sein. Natürlich hatte jeder einen Anspruch darauf, glücklich zu sein. Aber Adam war nicht jeder für mich.

Ich pustete und öffnete meine Augen.

,,Dann hoffen wir mal, dass mein Wunsch in Erfüllung geht", murmelte ich lächelnd und sah Adam an, welcher mir in die Augen sah. Seine Lippen formten sich zu einem sanften Lächeln, doch dieses Lächeln verstarb schnell und er senkte seinen Blick.

,,Was ist los?", fragte ich besorgt.

,,Ich kann das nicht..", murmelte er und presste die Lippen aufeinander.

,,Was kannst du nicht?", hakte ich ungeduldig nach. Adam schwieg, was meine Ungeduld bloß weiter schürte. Vorsichtig hob ich seinen Kopf an, um ihm in die Augen zu sehen. ,,Was kannst du nicht?", wiederholte ich die Frage deutlich.

,,Du bist einfach.. ich kann nicht. Vergiss am besten, was ich gesagt habe", sagte er und stand auf. ,,Ich sollte gehen", entschied er kurzerhand.

,,Was?", fragte ich verwirrt, griff nach seiner Hand und zog ihn zurück. Er verlor das Gleichgewicht und fiel auf mich zu. Gerade rechtzeitig konnte er sich abfangen, indem er seine Hände rechts und links von meinem Kopf abstützte. Mit weit aufgerissenen Augen sah er mich an. ,,Ich will nicht, dass du gehst..", murmelte ich, hatte meine Hände an seine Arme gelegt und erwiderte seinen Blick vorsichtig.

,,Hannah.. ich denke nicht, dass es das Richtige ist.." Seine Stimme zitterte, sein Atem war beschleunigt und die Ader an seinem Hals pulsierte sichtbar.

,,Wer entscheidet über richtig und falsch?"

Ich ahnte, worauf das hinauslaufen würde und vielleicht war es das, was ich tief in meinem Innersten selbst wollte.

,,Hannah" Seine Stimme klang flehend. Er flehte mich quasi an, es ruhen zu lassen und nicht weiter zu hinterfragen. Doch ich wollte wissen, was ihm auf der Seele brannte. ,,Es wäre das beste, wenn ich jetzt gehe. Wirklich.."

Ich schüttelte meinen Kopf. ,,Nein.."

Mein Herz hämmerte mir wie wild gegen die Brust, als ich meine Finger an Adams Wangen legte und sein Gesicht langsam zu mir herunterführte.

,,Wir sind wieder da!", ertönte die Stimme meiner Mutter aus dem Flur.

Sofort entfernte sich der Braunhaarige von mir und ich setzte mich aufrecht hin. ,,Scheiße..", murmelte Adam und raufte sich die Haare. ,,Es tut mir leid.."

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Oha, oha. Wer hat damit gerechnet? Also ich nicht 🤣

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