Time of Dreams

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In den Geschichten der älteren Generationen hieß es, es gab einst eine Welt in der es erlaubt war das zu sagen und zu tun was man selber für richtig hielt.
Man sagte es gab Rechte, Regeln, Gesetze, die für Menschen würdig waren, die es allen gut gehen ließen.
Es wurde erzählt das Kinder unbeschwert über die Straßen liefen, spielten, lachten ohne dass ihre Eltern dafür zur Rechenschaft gezogen wurde.
Parks soll es gegeben haben. Kunterbunte, große mit Fahrattacktionen die dich dein Leben spüren ließen.
Allen soll es gut gegangen sein, alle hatten ihren Willen, ihr Leben, ihre Rechte.
Alle lebten unbeschwert und glücklich nebeneinander her, kamen miteinander aus, doch frieden war endlich und er endete schnell, viel zu schnell und grausam und plötzlich.
So wurde es von den Älteren erzählt deren Vorfahren zu dieser Zeit gelebt hatten.
Eines Tages änderte sich alles, so hieß es.
Das Militär übernahm die Macht, Kriege wurden geführt.
All die glücklichen Kinder, Familien, sie verschwanden in dem Leiden die ein Krieg mit sich zog und die bis heute, gut achtzig Jahre Später noch zu sehen und zu spüren waren.
Von der 'Time of dreams' wie wir das Leben vor dem irreversibelen Krieg nannten, gab es heute nur noch wenige Aufzeichnungen und tatsächliche Augenzeugen waren viel zu alt um noch etwas über diese für uns nun kaum erdenkliche Zeit zu erzählen.

Mein Bruder und ich wuchsen in der Zeit nach dem Krieg auf, eine Zeit der wir uns fügen mussten.
Wir kannten nie etwas anderes und dennoch hofften wir eines Tages, dass es einen Zeitpunkt geben würde, an dem unsere Welt wieder an die Time of dreams erinnern würde.
An dem es wieder Frieden gab und jeder Rechte hatte und nicht von einer losen Regierung geführt wurde, die einen behandelte wie einen Regenwurm, den sie wohl am liebsten zermatschen würden, würden wir nicht dazu beitragen, dass es in unserem Land genügend Engergie für Strom gab.
Nur sahen wir weder von der Energie noch von dem Strom etwas.
Wir lebten in völliger Armut. Kinder hungerten, starben, keiner kümmerte sich darum.
Die Bildung reichte grade so dass man lesen und ein wenig schreiben und rechnen konnte um wenigstens einen kleinen der schlecht bezahlten oder seltenen Arbeitstellen in einer Fabrik oder im Kohlewerk.
Meinen Bruder hatte einen dieser Jobs.
Wider meinen Willen hatte er ihn angenommen.
Unsere Eltern hatten in einem Kohlebergwerk beide ihr Leben verloren.
Seit dem mussten wir uns selber durch das Leben helfen, doch einfach war es nicht.
Changkyun blieb manchmal Tage weg, doch mehr als ein paar wenige Münzen bekam er für seine lebensgefährliche Arbeit nie.
Meist reichte das Geld grade so für ein Brot, ein altes, was meistens nicht mehr viel brauchte um zu schimmeln.
Nur selten konnten wir und etwas frisches leisten, überhaupt etwas richtiges zu essen.
Manchmal aßen wir tagelang nichts, hörten gegenseitig wie unsere Mägen knurrten, nach Essen schrien.
Notlösungen waren dann ein paar Gemüsepflanzen die mein Bruder von irgendwo her gestohlen hatte.
Nicht oft gab es etwas zu ernten, aber es war der Himmel auf Erden wenigstens in eine Tomate oder eine Gurke zu beißen, wenn man vor Hunger schmerzen litt.

"Raiee! Schau mal was ich bekommen hab."
Mit einem breiten grinsen auf den Lippen und einer Schramme an Auge und Stirn verfrachtete mein Bruder eine Tüte auf den Tisch in unserer kleinen und halb zerfallenen Küche.
Es war nichts neues das mein Bruder sich herumprügelte, aber dieses mal sahen seine Wunden wirklich übel aus.
Ich beschloss zu warten, biss er mir wohl selber erzählen würde, was wieder passiert war.
Neugierig zog ich die Tüte, die er mitgebracht hatte zu mir und nahm einen Geruch wahr, bei dem ich dachte ich müsste ihn ein leben lang nur aus der ferne riechen.
Es war Brot.
Frisches, warmes Brot.
Für unsere Verhältnisse etwas unbezahlbares und ein blanker luxus.
"Woher hast du das?" fragte ich und inhalierte den seltenen, starken Geruch von dem noch warmen Brot in der Tüte.
Mein Bruder grinste breiter, seine Wunden schien ihm nicht weh zu tun, obwohl sie noch bluteten. "Hab ich geschenkt bekommen." erwiederte er, doch ich glaubte ihm nicht.
Nie würde der Bäcker in unserem Dorf ein Brot verschenken, noch dazu ein frisches, warmes, knuspriges.
"Sei ehrlich."
Bei Changkyun hätte es mich nicht gewundert, hätte er es geklaut.
Wenn wir wirklich kurz vor dem blanken verhungern standen, hatte er es sich öfters erlaubt einem der Wächter sein Mittagspacket zu klauen.
Er konnte von Glück reden, dass ihn die Wächter bei einer solchen Aktion noch nie erwischt hatten.
Der Nachteil an dem ganzen war allerdings ein solches Packet war immer nur auf einen einzelnen der Wächter abgestimmt.
Sofort und ohne sich von seiner Meinung abbringen zu lassen, bestand mein Bruder darauf, dass ich es essen sollte.
Ich war die jüngere, die schwächere, zierlichere von uns beiden. Er meinte er habe in seinem Körper genug Fettreserven, die ihn auch noch über zwei weitere Tage bringen würden, bis er wieder das mindere Geld für etwas zu essen überreicht bekam.
"Raiee, ich schwöre bei meinem Leben, dass ich es wahrlich und wirklich nicht geklaut sondern geschenkt bekommen habe."
Er blinzelte mich mit seinen großen braunen Augen an und hob den kleinen Finger.
Ich lächelte schwach.
"Ich möchte nicht auch noch dich verlieren. Auf klauen steht Todesstrafe." ermahnte ich ihn und schlang meine Arme um mich.
Changkyun zog mich in eine Umarmung.
"Wenn sie mich tot sehen wollen, braucht es schon mehr, als eine ihrer Kugeln. Ich werde erst sterben, wenn diese widerliche Ungerechtigkeit hier beseitigt ist Raiee."
Setzte er sich in den Kopf.
"Mich wird der Tod erst holen, wenn ich sicher gehen kann dass du hier leben kannst, ohne dass du mir verhungerst, ohne dass all die anderen hier hungern müssen, während die Hauptstädte in Essen ersticken."
Würde er diese Aussage in mitten des Dorfes und vor den Wächtern von sich geben, so wäre er mir aus den Armen gerissen und sofort in das Gefängnis gebrach wurden.
Eine Meinung zu dem Leben wie es hier war durften wir nicht von uns geben.
Es hieße immer nur wir sollten froh sein überhaupt zu leben.
Aber wofür Leben, wenn hier die Hölle auf Erden war?
Ich dachte wie mein Bruder. Nur anders als er hielt ich meine Meinung zurück und konnte es nicht riskieren mein Leben aufs Spiel zu setzen.
Auch ich hatte die Hoffnung, dass wir irgendwann in einem ähnlichen Zeitalter wie die Menschen in der Time of dreams leben konnten. In dem jeder wieder das sagen und machen konnte was er wollte und in dem es keine Hungersnot und Armut gab.

"Lass uns endlich etwas essen und von diesem ganzem gestrafe und gesterbe wegkommen." lenkte Changkyun das Thema um, lächelte mich an und löste die Umarmung auf.
Ich stand nochimmer ein wenig verunsichert von dem teuren Brot an Ort und Stelle und beobachtete meinen großen Bruder mir seinen Wunden am Kopf, wie er ein Messer aus einem der alten und rostigen Schubfächer holte und am Tisch das Brot aus der Tüte nahm.
Gelassen schnitt er es in Scheiben und summte mit seiner tiefen Stimme nebenbei eines der Lieder, was Eomma uns immer vorgesungen hatte, als wir noch klein waren und sie versuchte uns unsere Sorgen zu nehmen.
Auch wenn mein Bruder es sich nie eingestehen würde.
Er vermisste unsere Eltern schrecklich, doch er redete sich ein stark für uns zu sein, für mich.
Ganz einer noch älteren Lebensweise als der der Time of dreams, war er der Meinung er als junger Mann habe für mein wohl zu sorgen, sich um mich zu kümmern bis ich eine Mann finden würde, bei dem er einverstanden war, dass er der wäre, der mich ein lebenlang glücklich machen und mir ein gutes Leben garantieren könnte.

Das Brot was Changkyun mit sich gebracht hatte war das beste was ich je gegessen hatte.
Ich genoss es, schlang nicht, denn ich wusste nicht, ob ich je nochmal den Luxus bekam etwas so unglaublich leckeres und knuspriges und warmes zu mir zu nehmen.
Sogar mein Bruder schlang nicht, schien jeden Bissen zu genießen, sich durch Leib und Seele gehen zu lassen.
"Man sollte die in den Hauptstädten dafür an die Wand stellen und öffentlich erschießen, dass sie soetwas jeden verdammten Tag auf ihren Tischen stehen haben, während wir uns hier blutig arbeiten und nichtmal vier Münzen bekommen."
Grummelte Changkyun und verzog verächtlich das Gesicht.
"Wir können nichts daran ändern. So ist es und wir müssen es wohl oder übel ertragen. Für die sind wir nichts, außer Regenwürmer, die ihnen den Strom beschaffen, der sie nicht im dunkeln stehen lässt." murmelte ich mit einem Bissen warmen Brot im Mund.
Mein Bruder seufzte laut und kläglich und würde nach meinen Worten nicht Ruhe geben.
"Vielleicht wissen sie nichtmal von uns. Haben keinen Plan das hier draußen unwürdige Verhältnisse herrschen in denen Kinder sterben, nur weil ihre Mütter sie nicht ernähren können. Sie sehen nur ihren Reichtum, der Rest ist ihnen Grundlos egal." Stellte er seine Meinung klar auf.
"Ich werde mich den Wächtern und diesem System nicht ewig fügen. Das Leben so wie es hier ist, ist nicht vertretbar, Raiee."
Seine Worte waren mir nicht unbekannt.
Ich hätte sie auswendig mitsprechen können, wenn ich wollte, aber ich wusste, das würde meinem Bruder missfallen.
Es war seine Meinung, da war nur klar dass er für diese auch Anerkennung wollte und keine unangebrachten Kommentare oder Gesten.
Aber er hatte Recht.
Dieses Leben hier in den äußersten Dörfern war nicht vertretbar.
Kinder verloren ihr Leben, Menschen starben an Krankheiten, weil es keinerlei Medizin hier draußen gab, sich keiner darum kümmerte.
Hauptsache die reichen in den Städten hatten ihren Strom und ihr täglich Brot und hinterfragten nicht wo es her kam, hinterfragten nicht wie viele dafür hungern mussten, sich totarbeiteten um an eine solche Nahrung zu kommen.
Geboren um zu leben.
Das Motto was unser Land weltweit in den anderen verkommenen Staaten anführte, aber nicht einhielt.
Ein Motto für dessen umsetzung man nach Ende des Krieges noch alles gegeben hätte, doch was nun nur noch ein trauriger Klumpen an Worte war, der uns tagtäglich falsch vermittelt wurde.
Denn ein Leben konnten wir das hier nicht nennen.
Und Geboren werden in einem solchen Umstand war eine Strafe für die kein Neugeborenes im Dorf je die Schuld traf.
Geboren um zu Leben.
Die wohl größte Lüge, die sich in meinem Leben angefunden hatte und an die keiner mehr auch nur mit einem Funken überzeugen fest glaubte.
Mag sein dass die Wächter, die uns im Griff hatten und über uns bestimmten so dachten, aber die Menschen hier hatten diesen Worten schon lange und ohne jegliche Hoffnung den Rücken zugekehrt.

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