Kapitel 4

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Mit gesengtem Kopf laufe ich durch die Schulgänge, versuche meine Angst zu verstecken und Hazel zuzuhören.
Mr. Hentersons Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf, und Hazels kommen nicht hinein.
„Hey, Lia!"
Hazel schnippst vor meinem Gesicht rum.
„Hörst du mir überhaupt zu?"
„Ich...Komm mit.", sage ich und ziehe sie in eine Ecke.
„Wir verpassen den Unterricht!", ruft Hazel, doch ich zucke nur mit den Schultern.
„Was ist denn mit dir passiert, du hast noch nie geschwänzt!", lacht sie.
Ich grinse.
„Ich muss dir was wichtiges erzählen."
„Schieß los."
Ich hole tief Luft und erzähle ihr alles was sie verpasst hat.
Von dem Streit mit Zoe im Bus bis zu meiner Flucht aus Mr. Hentersons Haus.
Die ganze Zeit über unterbricht Hazel mich kein einziges Mal, sie hört mir nur zu.
„Glaubst du ihm?", fragt sie, als ich fertig erzählt habe.
„Nein, natürlich nicht!"
„Wieso nicht? Lia, er kannte sich mit deinem Fall aus! Er hat dich verstanden, vielleicht kann er dir dann ja auch helfen."
„Willst du mir gerade sagen, dass du auch glaubst, dass ich... Adoptiert bin? Das ich eine Zauberin bin?!"
Hazel seufzt.
„Ich meine ja nur, dass ein bestimmter Teil gestimmt hat!
Also das mit dem Blutspucken..."
„Ja, das schon, aber es geht um seine Erklärung, Haz!"
Ich reibe mir müde über die Augen und lehne mich an die Wand hinter mir.
„Ich habe keine Ahnung, was momentan mit dir los ist, und dieser Kerl hätte es dir vielleicht erklären können!
Vielleicht war der Teil mit den Eltern und dem zaubern ja...Ein Scherz?...Oder so?"
Ich ziehe eine Augenbraue hoch.
„Ein Scherz? Dein Ernst?"
„Man Lia, ich weiß es doch auch nicht! Ich an deiner Stelle würde mich irgendwie informieren oder mit irgendjemandem reden, aber im Endeffekt machst du ja eh was du willst.
Du kannst mir ja bescheid sagen, wenn du weißt was mit dir los ist, aber ich habe keine Lust, dass du jetzt deine Unwissenheit an mir auslässt.
Bis dann."
Und mit diesen Worten dreht sie sich auf dem Absatz um und beeilt sich, um ihre Verspätung zu verkürzen.
Fassungslos bleibe ich stehen, der Unterricht interessiert mich nicht.
Alles woran ich denken kann, ist, dass mein komisches Verhalten die Ursache für einen Streit mit Hazel war.
Jedes einzelne Mal, dass etwas komisches mit mir passiert ist, habe ich nicht nur mich selbst etwas verloren, sondern auch Hazel.
Sie hat das alles von Anfang an noch mehr gestört als mich.
Einerseits tut es mir leid, dass sie jetzt alles abbekommt, meine Wut, meine Angst, das alles spiegelt sich in meinem Verhalten wieder.
Doch anderseits kann ich es nicht fassen, dass sie wirklich, sei es nur eine einzige Sekunde, gedacht hat, ich könnte wirklich adoptiert sein. Ich könnte eine Zauberin sein.
Plötzlich geht die meiner Ecke gegenüberliegenden Toilettentür
auf, und eine summende Zoe tritt heraus.
Sobald sie mich sieht, wird sie leise und grinst arrogant.
„Na sieh mal einer an. Die Spitzenschülerin höchstpersönlich, ich fasse es nicht!
Seit wann bist du denn zum Schwänzen übergegangen?"
Ich antworte nicht.
„Wo ist denn überhaupt deine kleine Freundin, hat sie endlich gemerkt, was für eine nervige Person du bist?"
Ich balle meine Hände zu Fäusten und versuche meine Atmung zu kontrollieren, aber Zoes spöttischer Blick bringt mich fast zum ausrasten.
„Was ist dein Problem mit mir?", frage ich sie stirnrunzelnd.
Zoes Blick wird wütend.
Sie kommt näher und kneift ihre Augen zusammen.
„Das ist hier doch überhaupt nicht die Frage. Erzähl schon, wo ist deine kleine Freundin?"
Ich erwidere nichts, woraufhin Zoe mir noch näher kommt.
„Du-"
Ein lauter Schrei unterbricht sie.
Es dauert genau drei Sekunden damit ich merke, dass der Schrei von Zoe kam.
Sie schiebt ihren Ärmel hoch und bringt somit die knallrote Fläche zum Vorschein.
„Was hast du getan?!", schreit sie.
Ich blicke sie entgeistert an.
„Ich?! Überhaut nichts! Was ist denn-"
„Hilfe!", ruft sie ängstlich , und genau in dem Moment kommt Mr. Tumbleton um die Ecke.
„Was ist denn hier los?", fragt er verständnislos.
„Lia! Sie...Keine Ahnung, sie hat irgendwas gemacht!", versucht Zoe verzweifelt den Vorfall zu erklären.
„Ich habe überhaupt gar nicht gemacht! Wie soll ich denn bitte-"
„Ruhe!", unterbricht mich Mr. Tumbleton.
„Hast du Schmerzen, Zoe?"
Zoe nickt und wischt sich eine Träne von der Wange.
„Ihr kommt jetzt beide erst mal mit zur Krankenschwester, dann reden wir weiter.", entscheidet Mr. Tumbleton und fordert uns mit einer Handbewegung auf, ihm zu folgen.
Fassungslos blicke ich mich um, doch niemand anders scheint den Vorfall mitbekommen zu haben.
Gerade als ich mich in Bewegung setzten will, fließt ein stechender Schmerz durch meinen ganzen Körper. Ich versuche meine glühende Stirn mit der Hand zu kühlen und somit meine dröhnenden Kopfschmerzen zu beruhigen, doch meine Hand zu heben scheint mir in dem Moment viel zu mühsam zu sein.
Ich nehme kaum wahr, wie Mr. Tumbleton auf mich zukommt und nach mir ruft, meine Beine lassen nach und ich falle auf den Boden.
Meine Sicht flimmert, meine Umgebung wackelt und in meinen Ohren piepst es unerträglich.
Wie in Zeitlupe strecke ich unbewusst meine
Hand aus, als würde ich nach etwas greifen wollen.
Mr. Tumbleton kniet neben mir und versucht mir irgendetwas zu sagen, doch ich kann nichts verstehen.
Ohne es zu wollen schnipse ich mit meinen ausgestreckten Fingern, die Schüler, die aufgrund der Feueralarms aus der Klasse stürmen, bemerke ich fast gar nicht.
Und die Flammen, die hungrig den Tisch mir gegenüber verschlingen, genauso wenig.
Schreie, Knistern, alles vermischt sich mit der Dunkelheit, die langsam meinen Kopf benebelt und meine Augen schließt.

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