Kapitel 24

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Wir sind nur noch 9.
Als wir aufgebrochen sind, waren wir ohne Farian 12.
Heute ist Samstag, der 1 Dezember.
Am Donnerstag, dem 18 November, sind wir aufgebrochen.
Bis zu Meandras Schloss bin ich 2371 Schritte gelaufen, und habe unendlich viele Tränen geweint.
Diese ganzen Fakten helfen mir, an etwas anderes zu denken, als Tylers und Felis verbrannte Körper.
Die Tatsache, dass ich mich jetzt auf andere Dinge konzentrieren muss, bringt mich zum Zusammenbrechen.
Ich halte mein Schreien zurück, doch die Tränen kann ich nicht verhindern.
Ich bin nicht die einzige.
Der schluchzende Körper neben mir gehört mit ziemlicher Sicherheit Megan.
Ich weiß nicht, wohin mit meinen Gedanken.
Wie werde ich meinen Eltern in die Augen schauen können, wenn ich weiß, dass sie Schuld sind?
Sie haben diesen tödlichen Wald erschaffen.
Sie sind Schuld, dass ich hier liege und weine.
Dass Edmon keine Geschwister mehr hat.
Dass Megan ihren Mann verloren hat.
Dass ich sowohl meinen Patenonkel als auch meinen Cousin verloren habe.
Dass zwei weitere unschuldige und gutherzige Menschen gestorben sind.
Ich hasse sie, das tue ich wirklich.
Mit jedem Schritt, den ich auf die große Tür zu laufe, werde ich wütender.
Ich bin nicht die einzige, denn die Wachen, die uns aufhalten wollen, schlagen Edmon und ich direkt zu Boden.
Sein Blick spricht Bände.
Die Wände der ersten Halle sind schwarz, genauso wie die draußen.
Das Schloss ist noch höher als das von Fazira, und innen hängen überall Kronleuchter und Fackeln.
Auf dem Boden ist ein langer, roter Teppich ausgebreitet.
Auch die Wachen in diesem Raum sind kein Problem für uns.
Zum ersten mal genieße ich es, andere Leute zu verletzen.
Ich spüre, dass Meandra sich im nächsten Raum befindet.
Meine Schritte beschleunigen sich.
Ich stoße die Tür auf.
Und dann sehe ich sie.
Ihre Haare sind so feuerrot wie meine, nur fallen sie ihr in gleichmäßigen Wellen über die Schultern, ganz im Gegensatz zu meinen unordentlichen.
Ihre Augen sind von einem stechenden Grün, und egal wie sehr ich es versuche, ihren Blick kann ich nicht lesen.
Ihre Haut ist so hell wie meine, und auch ihre Lippen ähneln meinen. Dieses leicht spöttische Lächeln, dass sie in dem Moment trägt, kenne ich ziemlich gut von mir selber, und auch die schmale Oberlippe und volle Unterlippe erinnern mich an meine.
Unsere Nasen sehen genau gleich aus, aber bei den Augenbrauen unterscheiden wir uns.
Ihre gehen höher als meine und sind etwas dunkler.
Sie trägt ein langes, giftgrünes Kleid, und wenn man genauer hinschaut, bemerkt man auch die vielen Spitzendetails.
Neben ihr sitzt ein Mann mit blauen Augen, leicht lockigen, braunen Haaren und leichtem Bart.
Seine Lippen sind voller, und sein Gesicht ein wenig runder als Meandras.
Seine spitze Nase und die tief hängenden Augenbrauen runden das Gesamtbild ab.
Ich schlucke und trete näher.
Ich weiß gar nicht, was ich fühlen soll.
Die Wachen wollen auf uns zustürmen, doch auf ein Zeichen des Mannes halten sie inne.
„Meandra."
Etalons Stimme ist rau, und er spricht ihren Namen auf eine Weise aus, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft.
Meandras Lächeln ist selbstbewusst.
„Etalon. Es ist lange her."
Ihre Stimme klingt wie meine.
Ihr Blick fällt auf mich, und sie lächelt dem Mann, höchstwahrscheinlich Miron,
geheimnisvoll zu.
„Es ist schön dich zu sehen, Amelia.", meint dieser.
Meandra erhebt sich.
„Du siehst mir ähnlich. Wird dir das oft gesagt?"
Ich antworte ihr nicht.
Sie kommt auf mich zu.
„Und du hast tatsächlich zwei verschiedene Augenfarben. Haben sie schon versucht, dich deswegen umzubringen?"
Ihre nahe Stimme verursacht mir eine Gänsehaut.
Ich hasse sie.
„Wer ist das?"
Sie geht auf Farian zu.
Als sie ihre Hand ausstreckt, schnellt meine hervor und schiebt ihre weg.
„Nicht.", murmele ich.
Sie schaut mich überrascht an.
„Dein Freund?"
„Wüsste nicht, was dich das angehen sollte."
„Du erinnerst mich an mich selber."
„Das glaube ich nicht."
„Ach nein?"
„Ich bin nicht so der Typ, der brennende Wälder erstellt.", kontere ich.
Meandra grinst.
„Habt ihr jemanden dort verloren? Das kommt vor. Ist einfach eine Sicherheitsmaßnahme, falls manche hinter dem hier her sind."
Sie zeigt auf ihren blitzenden Ring mit dem grünen Stein.
Ihre Augen funkeln, als sie das Schmuckstück begutachtet.
„Wir sind nicht umsonst hierher gekommen.", schaltet Etalon sich ein.
Meandras Blick dreht sich zu ihm.
„Ach nein?"
„Frag deine Tochter."
Nachdem Etalon diese Worte ausspricht, fängt mein Herz an, schneller zu schlagen.
Jetzt geht es um alles.
Es ist egal, dass ich sie hasse.
Ich muss nett zu ihr sein.
Tylers und Felis Bilder schweben mir im Kopf rum.
„Du bist ein Monster.", werfe ich ihr an den Kopf.
Ich kann nicht anders.
Meine Lippen verziehen sich zu einem verbitterten Lächeln.
„Wie willst du ihren Tod wieder gut machen? Felis war dein Freund, Tyler dein Neffe."
Sie wird blass.
Miron steht auf.
„Felis ist tot?", fragt er ungläubig.
Ich wende mich ihm zu.
„Wisst ihr was, ich gönne es euch. Ihr sollt dem Gedanken leben, dass ihr euren Freund umgebracht habt.
Ihr alleine."
Meandra und Felis wechseln Blicke, die mir das Herz zerreißen würden, wären sie nicht, wer sie sind.
„Es ist schon zu spät.", sagt Meandra plötzlich.
„Ihr seid umsonst hier."
Ich wechsele einen nachdenklichen Blick mit Etalon.
„Wieso sagst du das?", frage ich.
„Weil ihr zu spät seid. Er war vor euch hier."
Meine Hoffnung zerbricht.
„Sag das nicht.", flehe ich leise.
„Das mit meinem Neffen und Felis tut mir zwar leid, aber es wird nichts an der Tatsache ändern, dass ihr jetzt gehen müsst."
Ich überlege.
Kann ich sie überhaupt noch umstimmen?
Ist das möglich?
„Hör zu. Du weißt, was ich versuchen werde.", fange ich an.
Meandra nickt.
„Es ist zu spät, Amelia."
„Ich möchte nur dass dir klar ist, was du gerade tust. Du stimmst ernsthaft diesem Deal zu, weil du nicht mit deinen Geschwistern regieren willst? Dein ältester Bruder hat zwei Söhne verloren, Arton eine Tochter. Was glaubst du, wie sie sich fühlen?"
Mir läuft eine Träne die Wange runter, dann werden es immer mehr.
„Willst du ihnen nicht helfen? Was, wenn ich es gewesen wäre? Wenn ich jetzt tot wäre?"
Meandra hebt ihr Kinn, doch ich sehe, dass etwas in ihren Augen flackert.
Sie dreht an einer Blume, die an einem Band um ihren Arm befestigt ist.
„Bin ich dir wirklich so egal? Sag's mir während du mir in die Augen schaust.", fordere ich.
Sie schweigt.
Miron kommt näher.
„Und du? Hast du vor, mich zu beschützen? Wenn die Organisation hinter mir her ist, wirst du für mich kämpfen?"
Ich weine.
„Wie könnt ihr ein Kind in die Welt setzen und euch dann nicht darum kümmern wollen?"
„Hör auf.", bittet Meandra mit fester Stimme.
„Ihr wart zu spät, das ist eure Schuld. Was ist überhaupt euer Ziel?"
„Selia retten.", antwortet Etalon wie aus der Pistole geschossen.
Wieso lügt er?
Meandra lächelt nachdenklich.
„Vielleicht wisst ihr, dass manche Menschen, wenn sie eine Verbindung zu einer Person hergestellt haben, über Gedanken mit allen anderen kommunizieren können. Allerdings nur, wenn man mit dieser Person verwandt ist, oder sie es zulässt.
Die Schmerzverbindung gilt dabei aber nur für die Person, mit der die Verbindung am Anfang hergestellt wurde.
Solche Fälle sind äußerst selten.
Vielleicht hat euch euer lieber Freund Atrius nie davon erzählt."
„Hat er.", antwortet Etalon.
Ich reiße die Augen auf.
Nein, hat er nicht.
Plötzlich fällt es mir wie Schuppen vor die Augen.
Als Morton damals gefragt hat, wie es jetzt weitergehen würde, hat Etalon gemeint, es wäre für alles geregelt worden.
Damit hat er gemeint, dass Atrius jederzeit mit ihm über Gedanken kommunizieren kann.
Und mit der Maske kann er nicht kommunizieren, weil sie es nicht zulässt.
Bleibt nur noch die Frage, mit wem er sich verbunden hat.
Das wäre Atrius Schwachstelle.
„Vielleicht wusstet ihr auch, dass ich genauso eine dieser seltenen Personen bin."
Meandras Stimme ist spöttisch.
Ich halte die Luft an.
War sie die Stimme in meinem Kopf?
„Wenn euer Ziel ist, Selia zu retten, habe ich vielleicht eine Idee für euch."
Alle hängen gebannt an ihren Lippen.
„Ich könnte mit der Maske reden.", schlägt sie vor.
„Vielleicht können wir einen Deal aushandeln."
Etalon wirkt nachdenklich.
„Wenn du es schaffst, Kontakt zu ihm aufzubauen, können wir darüber reden.", meint er.
Meandra nickt.
Irgendetwas an ihrem Lächeln lässt mich zweifeln.
Sie verschwindet aus dem Raum, Miron folgt ihr.
Wir stehen immer noch unter strenger Bewachung der Soldaten.
Ich drehe mich zu den anderen um.
Megan weint.
Automatisch denke ich an Tyler und Felis.
Edmon starrt ins Nichts.
Ich gehe zu ihm hin.
„Edmon.", murmele ich.
Er blickt auf.
Er sieht so traurig aus, dass es mir das Herz zerreißt.
„Wir haben es bald geschafft.", versichere ich ihm.
Er nickt langsam, versucht, sich selbst zu überzeugen.
Nach einer viertel Stunde kommt Meandra zurück.
„Ich habe einen Vorschlag.", beginnt sie.
Etalon fordert sie mit einem Nicken auf, fortzufahren.
„Der Deal soll am alljährlichen Maskenball am Donnerstag, dem 13 Dezember ablaufen.
Ich schätze, wir erkennen uns trotz der Masken.
Sollte der Deal von einer Seite aus gebrochen werden, muss sich die andere auch nicht an ihre Abmachung halten.
Seid ihr damit einverstanden?"
Schweigen.
„Was ist überhaupt der Deal?", fragt Etalon.
Meandra lächelt falsch.
„Wir lassen Selia in Ruhe. Im Gegenzug bekommen wir Amelia."

Voilà, Kapitel 24 :)
Was haltet ihr von dem Deal?
Würdet ihr ihn an Etalons Stelle annehmen?
Was haltet ihr von Meandra?
Und generell von den Ringträgern?
Welchen mögt ihr am liebsten?
Voten und Rückmeldung bitte nicht vergessen!
Ich wünsche euch noch einen schönen Abend :)

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