Kapitel 12

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Ich zittere überall, und nur Edmons Arm hält mich auf den Beinen.
Maddison weint immer noch hysterisch, und eigentlich will ich mich neben sie knien und mitmachen.
Egal wie wenig ich Amy gekannt habe, sie war meine Cousine.
Familie.
Megan kniet neben der in sich zusammengesunkenen Maddison und versucht sie zu beruhigen, doch das ist kaum möglich.
Ich blicke die ganze Zeit von links nach rechts, weiß nicht, wem ich meine Aufmerksamkeit widmen soll.
Ich kenne diese Soldaten nicht, und Etalon anscheinend auch nicht, denn sein Blick ist genauso prüfend wie meiner.
Doch auch ohne Wortwechsel kann ich mir denken, dass jeder einzelne von ihnen ein Feind ist.
Wahrscheinlich haben die Soldaten die Lichter gesehen, die wir mit den Steinen erzeugt haben, und am Ende des Meeres direkt angefangen, uns zu verfolgen..
Maddisons Schluchzen verwandelt sich in ein schmerzvolles Wimmern, und langsam beruhigt sie sich.
„Bringt sie um. Alle.", befiehlt der vorderste Soldat.
Der erste Angriff geht auf mich, wird jedoch erfolgreich von Etalon abgewehrt.
Sie werfen mit Messern auf uns und schmeißen ihre Hände in die Luft, um ihre Magie auf uns zu feuern.
Ich kann kaum noch etwas sehen,
versuche nur, allem auszuweichen.
Jetzt verstehe ich auch, wieso Felis mitkommen sollte.
Er feuert durchgängig zurück, bleibt dabei aber ruhig, völlig kontrolliert.
Ich kann mich kaum konzentrieren, bin immer noch völlig außer Atem..
Wir sind am verlieren, das ist uns allen klar.
Wir sind weniger, erschöpfter.
Ich kann sehen, dass sowohl Felis als auch Etalon teilweise hart getroffen werden, doch trotzdem weiter kämpfen.
Plötzlich rennt jemand mitten in den Kampf und fängt an, an unserer Seite zu kämpfen.
Er müsste ungefähr in meinem Alter sein und hat braune Augen.
Er ist wirklich gut, dass sehe ich sofort, und er überrascht nicht nur uns.
Edmon nutzt die Ablenkung und schafft es so, einige Soldaten zu vernichten.
Dieser fremde Junge hat uns eindeutig das Leben gerettet.
Es dauert nicht mehr lange, bis klar ist, wer gewinnen wird.
Wir haben es geschafft, in der Unterzahl, doch mit viel Glück und Zusammenarbeit.
Ich fühle mich schuldig, weil ich fast gar nicht mitgeholfen habe.
Ich war zu geschockt von Amys Tod, dabei hätte ich mir das nicht erlauben dürfen.
Jetzt wo der Kampf zu ende ist, rasseln alle Gedanken auf einmal wieder auf mich ein, und ich blicke automatisch zu Maddison, die immer noch am Boden liegt, noch nicht einmal einen Körper hat, über dem sie trauern kann.
Etalon stützt sich auf seinen Knien ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn, dann blickt er zum fremden Jungen.
„Wer bist du?", fragt er.
Der Junge grinst und kommt näher.
„Mein Name ist Farian. Ihr habt so ausgesehen, als könntet ihr etwas Hilfe gebrauchen."
Felis verrenkt die Augen und schiebt mich hinter sich.
„Schwörst du, dass du kein Feind bist?", fragt er Farian.
Dieser lacht laut auf.
„Nenn mir einen Grund, wieso ich einer sein sollte. Ich habe euch gerade den Arsch gerettet, eigentlich hatte ich etwas mehr Dankbarkeit erwartet"
Felis und Etalon schauen sich kurz an, dann nicken sie und reichen ihm nacheinander die Hand.
„Stört's euch, wenn ich euch begleite?", fragt Farian auf einmal.
„Wie bitte?", stellt Etalon lachend die Gegenfrage.
„Kommt schon, ich hab's mir verdient, oder nicht?"
„Ich glaube, du verstehst nicht wirklich, was das hier ist."
„Schon kapiert, ich werde auf sie aufpassen."
„Wen meinst du?", fragt Etalon und runzelt die Stirn.
„Meandras Tochter. Wir wissen ja wohl alle, dass sie hier am wertvollsten ist."
„Woher zur Hölle-"
„Jeder weiß das. Deswegen braucht ihr meine Hilfe.", unterbricht Farian Etalon.
„Woher kommst du?", fragt Felis ihn.
„Ich wohne hier in der Nähe. Ich habe euch gehört und zum Glück sofort verstanden, wer ihr seid."
„Und deine Familie?", frage ich.
Er lächelt mich an.
„Ich wohne alleine. Meine Eltern sind vor einigen Jahren gestorben.
Seitdem versuche ich zu helfen, wo ich kann.
Ich kenne mich hier ziemlich gut aus, und wie gesagt, es hat sich herumgesprochen, dass Meandra nur ein einziges Kind hat, deshalb ist es ziemlich in Gefahr.
Überredet?"
Farian lächelt uns alle an und wartet geduldig auf eine Antwort.
Er wirkt schlau und sympathisch, vor allem, weil er überhaupt keine Angst zu haben scheint.
Weder vor Etalon, noch Felis, die beide manchmal recht angsteinflößend wirken können.
Er hat verstrubbelte braune Haare, warme braune Augen, die neckisch in unsere Richtung schauen, und ein paar Sommersprossen um die Nase.
Er wirkt gut durchtrainiert, lustig, aber auch irgendwie ernst.
„Letzte Chance.", drängt Farian und läuft einen Schritt rückwärts.
Sowohl Etalon als auch Felis scheinen noch unsicher zu sein und überlegen.
Gerade als Farian sich schulterzuckend umdrehen will,
ruft Hailey seinen Namen.
Er bleibt stehen und dreht sich grinsend um, bewusst, dass er es vermutlich geschafft hat.
„Bitte lasst ihn mitkommen."
Hailey drängelt sich vor.
„Wir haben schon eine Person verloren. Eine zweite soll es nicht geben.", bittet sie und blickt dabei zu Maddison.
Ich schließe kurz meine Augen und versuche, mich zu sammeln.
„Alles klar?", fragt Edmon mich flüsternd.
Ich schüttele den Kopf.
„Nein.", murmele ich.
Wieso sollte ich lügen?
Edmon greift nach meiner Hand und drück sie, doch nicht mal diese ungewohnte Geste kann mich aufmuntern.
„Meinetwegen. Aber wenn sich herausstellt, dass du uns belogen hast, kann ich für nichts garantieren.", droht Etalon ihm.
Farian nickt und strahlt Hailey an.
„Einverstanden. Wie kommen wir zum Ringträger?", fragt er direkt.
Etalon seufzt.
„Immer dem Weg folgen, am goldenen Baum links abbiegen, dann müsste das Schloss auch schon in Sicht sein.", beschreibt er.
Jetzt, wo wir aus den Höhlen raus sind, fällt mir ein, dass wir gar nicht mehr in Selia sind.
Wir müssten die Grenze nach Terrestra überschritten haben.
Tatsächlich erblicke ich etwas weiter links eine Zeichnung in den Weg eingeritzt.
Ich knie mich hin.
„Die unsterbliche Blume, Terrestras Zeichen.", erklärt Megan mir.
Meine Finger fahren interessiert die feinen Linien nach.
Mir fällt ein, dass das Meer eigentlich in der Nähe sein müsste, so weit östlich wie wir uns befinden.
„Habt ihr sie schon alle vergessen?", fragt Maddison plötzlich hasserfüllt.
Alle drehen sich zu ihr um, sehen, wie sie auf dem Boden liegt.
„Wir müssen weiter, Maddison.
Die Ringträger müssen überredet werden, bevor die Maske die Eingänge öffnen kann.
Es tut mir leid.", entschuldigt Etalon sich.
„Du bist jetzt genauso wertvoll wie Lia, weißt du.
Du bist die einzige Möglichkeit, Arton zu überreden, deshalb darfst du jetzt nicht aufgeben."
„Was, wenn ich es tue? Mir kann es egal sein, ob die Welt von der Maske beherrscht wird.
Was bringt es mir überhaupt noch zu leben?
Ich habe mich schrecklich gegenüber Amy verhalten, und jetzt habe ich noch nicht einmal mehr die Möglichkeit, es wieder gut zu machen."
Maddison bricht in Tränen aus.
„Du kannst das mit uns wieder gut machen.", sagt Tyler plötzlich.
„Stell dir vor, ich wäre jetzt auch noch gestorben. Wärst du zufrieden mit deinem Verhalten gegenüber mir gewesen?"
„Wieso interessiert es dich überhaupt, ob die Eingänge geöffnet werden? Du kennst doch sowieso niemanden, der außerhalb unserer Welt lebt."
„Ich habe Menschlichkeit in mir.
Wie kannst du so etwas überhaupt sagen? Diese ganzen Leute würden sterben, einfach nur, weil die Maske findet, sie verdienen es nicht zu leben.
Selbst unsere Leute würden wahrscheinlich sterben.
Was bringen wir der Maske schon lebend?"
Alle schweigen und lauschen dem Austausch der beiden.
Tyler macht seine Sache gut, doch Maddison ist stur.
„Du würdest sterben, um Leuten, die du nicht kennst, das Leben zu retten?", fragt sie.
„Natürlich. Wir alle würden das.
Du hättest nicht mitkommen brauchen, wenn du das nicht tun würdest..
Es geht um Billionen von Menschen, Maddison.
Wie kann dich das kalt lassen?"
„Also sollte ich deiner Meinung nach meine Schwester einfach hier liegen lassen und mit euch mitkommen?"
„Du wirst sie nicht mehr finden. Das willst du vermutlich gar nicht,
stell dir vor, wie sie aussehen muss.
Du musst sie gehen lassen."
Tyler kommt einen Schritt auf sie zu.
„Ich kann nicht.", murmelt Maddison mit rauer Stimme.
Tyler umarmt sie und wiegt sie hin und her, damit sie sich beruhigt.
„Du bist nicht alleine. Wir alle werden sie vermissen."
Es dauert eine Weile, doch dann wischt Maddison sich über die Augen und steht mühsam auf.
„Ich werde mitkommen.", sagt sie,„Für euch."

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