„Du bist meine Heldin, Lia!", ruft May überglücklich, als sie mich am Frühstückstisch erwischt, und umarmt mich stürmisch.
„Jetzt übertreib mal nicht", meine ich lachend.
„Ich habe doch gar nichts gemacht."
„Du hast es versucht.
Im Endeffekt war das gar nicht nötig, aber du hast es versucht. Für mich."
Ich nicke. Dafür bin ich jetzt auch unfassbar müde.
„Klar. Kein Ding."
Die anderen am Tisch schauen schon komisch, weshalb ich versuche, May irgendwie wegzuschieben.
„Habt ihr euch ausgesprochen?", frage ich sie leise, damit Shane es nicht mitbekommt.
„Leider nein, aber wenigstens geht es ihm gut.", flüstert May.
Überraschenderweise kommt Edmon in den Raum und blickt sich suchend um.
Als er unseren Tisch erblickt, kommt er darauf zu.
Er trägt unter seinem Pulli ein schlichtes weißes T-Shirt, kombiniert mit einer schwarzen Hose.
Selbst mit solchen einfachen Sachen sieht er meiner Meinung nach besser aus als jeder andere Junge hier.
„Shane, können wir kurz reden?", bittet er, als er ankommt.
Mir wirft er nur einen kurzen Blick und ein kleines, kaum erkennbares Lächeln zu.
Doch das reicht, damit ich rot werde.
„Ich glaube nicht, dass-"
„Ich schon.", unterbricht Edmon Shane.
Mit einer Kopfbewegung deutet er ihm an, ihm aus dem Raum zu folgen.
Shane steht seufzend auf, wirft May einen letzten Blick zu und folgt dann seinem alten Freund.
„Es ist komisch, ihn hier zu sehen.", meint Hailey.
Alle nicken.
„Was will er Shane sagen? Weiß es jemand?", fragt sie.
Auch ich schüttele den Kopf.
Es ist noch nicht an der Zeit, alle einzuweihen.
Und selbst wenn, es ist nicht meine Aufgabe, Edmons Geschichte zu erzählen.
„Wann glaubt ihr, wird die Reise anfangen?", fragt Eric nach einer Weile.
„Recht bald, schätze ich. Ein, zwei Wochen vielleicht?", rät Tyler.
Ich schweige.
„Glaubt ihr, es wird schlimm?", fragt Amy leise.
Alle schauen sie an.
„Keine Ahnung.", antwortet Hailey
„Ist das nicht offensichtlich?", fragt Maddison genervt.
Ich runzele die Stirn.
„Was meinst du?", fragt Tyler meine unausgesprochene Frage.
Maddison seufzt.
„Natürlich wird es schlimm! Denkt ihr im Ernst, es wird so einfach, unsere Eltern umzustimmen?", fragt sie.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht wird die Reise ja gar nicht lange dauern.", meint Hailey.
„Klar. Wir müssen ja auch nur quer durch Terrestra, Forestia, Rivera und ans andere Ende von Selia. Und dabei werden vermutlich einige von uns sterben.", sagt Maddison spöttisch.
„Wieso sollten welche sterben?", frage ich verwundert.
„In jeder Stadt wird es gewisse Schwierigkeiten geben.", erklärt Tyler mir.
„Was denn für Schwierigkeiten? Die Ringträger umzustimmen?", frage ich.
„Auch. Aber nicht nur. Ich weiß nicht ob du das wusstest, aber an einem Ende von Selia fängt das Meer an und erstreckt sich weiter nach Terrestra. Darunter gibt es aber zum Glück Höhlen, dann müssen wir nicht mit dem Schiff waren, durch die Strömungen würden wir nicht lange am Leben bleiben.
In Forestia werden wir über Dünen laufen müssen und dann durch eine Wüste.
Am Schluss werden wir am anderen Ende von Selia durch einen Wald laufen, und das wars.", antwortet Eric.
„Was soll daran denn jetzt so gefährlich sein?", frage ich.
„Die Höhlen von Morton befinden sich ja wie gesagt direkt unter dem Meer. Es könnte also gut sein, dass Steine runterfallen. Große Steine.
Die Dünen von Nyra sind dem Meer so nah, dass man den Wind deutlich spüren wird, aber zu weit, um das Wasser zu sehen.
Es wird wahrscheinlich eisig kalt werden.
Die dritte Strecke wird durch die Eiswüste der tausend Schatten führen. Sie soll Angst machen und Fata Morganas aufrufen.
Den Namen hat Fazira ihr gegeben."
„Die Ringträger haben diese Strecken erstellt?!"
„Ja. Manche haben sie nach ihren Partnern benannt, wie zum Beispiel Arton, der die Dünen sozusagen seiner Frau Nyra gewidmet hat."
„Woher weißt du das alles?", frage ich Eric.
„Es gibt einige Prophezeiungen, die uns dann auch die Reihenfolge, in der es am leichtesten sein wird, verraten haben."
„Okay...Und wie kommen wir dann zu Meandra?"
„Nach der Eiswüste der tausend Schatten fängt der Feuerwald des Miron an. Es wird wohl ziemlich warm sein, anstrengend, und brennende Äste könnten runterfallen.", erklärt diesmal Hailey mir.
Anscheinend wissen sie alle genau, worum es geht.
Ich weiß nicht, wie ich das finden soll.
Gedankenverloren drehe ich an meinem Armband, wobei mir einfällt, dass ich dringend mal wieder meine Eltern anrufen sollte.
„Ich...Gehe dann mal.", teile ich den anderen mit.
Alle lächeln mir zu, außer Maddison und Amy, die mir keine Beachtung schenken und einfach weiter essen.
Seufzend drehe ich mich um, laufe schnell nach oben in mein Zimmer um mir die Zähne zu putzen und eine Jacke mitzunehmen.
Heute regnet es nicht, doch sobald ich draußen bin, schlägt mir der kalte Wind entgegen.
Wird es in den Dünen von Nyra noch kälter sein?
Ich verbanne den Gedanken aus meinem Kopf und ziehe meinen dicken Schal fester.
Die Telefonzelle ist wie immer leer, sodass ich direkt drankomme und die Nummer von zuhause wähle.
Wen sollten die Leute hier auch anrufen?
Es geht direkt jemand ran.
„Lia?"
„Hi Dad."
„Wieso hat du dich nicht früher gemeldet? Wir haben uns Sorgen gemacht! Fast hätten wir versucht, Mr. Hentersons Nummer zu finden um ihn anzurufen."
„Es tut mir leid, ich bin nicht dazu gekommen."
„Ist es so anstrengend?"
Kurz überlege ich, was ich jetzt antworten soll.
„Noch nicht mal, aber es macht mir einfach so viel Spaß!", lüge ich.
Mein Vater kauft es mir ab.
Egal wie schlecht ich lüge, wenn es um meine spontane Reise nach Frankreich geht, glauben sie mir alles.
Als er sich nach einer Weile von mir verabschiedet, hasse ich mich dafür, dass ich meine Eltern schon so oft angelogen habe.
Seufzend wähle ich auch Hazels Nummer und erzähle ihr die neusten Dinge.
Plötzlich donnert es, und ich verabschiede mich schnell von ihr.
Mit viel Glück könnte ich zurück im Hotel sein, bevor es richtig anfängt zu stürmen.
Obwohl es erst um die zwei Uhr Nachmittags sein muss, ist es stockdunkel.
Langsam fängt der Regen an, meine Kleidung zu durchnässen.
Die Kapuze bringt bei meinen langen Haaren nichts, die Spitzen sehen schon so aus, als hätte ich
eine Dusche genommen.
Der erste Blitz erscheint am Himmel, weshalb ich versuche, mich noch mehr zu beeilen als sowieso schon.
Ich wünschte, jemand wäre gerade bei mir.
Gewitter mochte ich noch nie.
Ich weiß, manche Leute finden es schön, doch mir macht es irgendwie Angst.
Welcher Tag ist heute nochmal?
Donnerstag.
Passt perfekt.
Ich versuche mich weiterhin abzulenken, weshalb ich mich unfassbar erschrecke, als ich auf einmal stolpere und hinfalle.
Bin ich ausgerutscht?
Schnell stehe ich wieder auf und wische mir die Erde von der Hose.
Dabei fällt mir auch die Wurzel am Boden auf, über die ich wahrscheinlich gestolpert bin.
Bevor ich darüber nachdenken kann, wieso zur Hölle eine Wurzel mitten auf der Straße ist, bemerke ich die Leute, die aussehen wie Schatten.
Sie umkreisen mich, alle tragen lange schwarze Umhänge und verdecken ihr Gesicht mit schwarzen Masken.
Mein Atem beschleunigt sich, und auch mein Herz fängt an noch schneller zu schlagen als sowieso schon.
Einer von den Leuten trägt einen dunkelblauen Umhang, was ich aber nur durch das schwache Licht einer recht weit entfernten Straßenlaterne erkennen kann.
Egal wo ich hinschaue, überall scheinen Umhänge zu sein.
„Amelia.", flüstert die Person mit dem blauen Umhang.
„Endlich."
Langsam bekomme ich es wirklich mit der Panik zu tun.
Wer sind diese Menschen?
Der Kreis wird enger, und die Person mit dem blauen Umhang,
die ich als Anführer einschätze, kommt langsam auf mich zu.
„Weißt du, wer ich bin?", fragt die Person.
Die Stimme ist bedrohlich, und ich glaube erkennen zu können, dass es sich um einen Mann handelt.
„Antworte!", zischt er.
Ich schüttele meinen Kopf.
Woher sollte ich es wissen?
Will ist es garantiert nicht, seine Stimme klingt anders, und er würde nicht so eine Show abziehen, wenn er mich entführen wollen würde.
„Gut.", murmelt der Anführer.
Ich bin vollkommen im Stress, mein Schweiß vermischt sich mit dem Regen und lässt mich nur noch mehr frieren.
Mein ganzer Körper ist vollkommen durchnässt, und mittlerweile kleben meine Haare von überall an meinem Kopf.
„Fesselt sie.", befiehlt der Mann und lässt seinen Leuten Platz.
Gerade als ich irgendwie eingreifen will, ertönt Hufgeklapper.
„Finger weg!", ruft jemand, doch die Stimme ist mir unbekannt und ich kann noch niemandem sehen.
Die Person reitet an der Laterne vorbei, und kurz kann ich das Gesicht erkennen.
Es ist der König aus Terrestra mit den schwarzen Haaren, der mich bei unserem ersten Treffen so interessiert angeschaut hat.
Seinen Namen habe ich leider vollkommen vergessen.
Mittlerweile halten mich zwei Leute fest, doch ich wehre mich zu sehr, als das sie mich schon hätten fesseln können.
„Felis!", ruft der Anführer.
„Ich werde dich nicht anlügen, du bist gerade etwas fehl am Platz.
Aber es war nett, dich mal wiederzusehen.
Wenn du jetzt so gut wärst, meine Freunde, mich, und die liebenswerte Amelia alleine zu lassen?
Vielen Dank.", bittet der Anführer,
woraufhin der König von Terrestra, der, wie ich gerade erfahren habe, Felis heißt, nur lachen kann.
„Elias. Es ist schon lange her.
Sieh nur, was aus dir, und was aus mir geworden ist.
Bereichernd, nicht?", meint Felis provozierend.
„Allerdings. Doch wäre ich du, würde ich jetzt wirklich gehen, sonst wird es hier gleich unschön.
Das wollen wir ja wohl beide vermeiden, habe ich recht?"
Ich schaue die ganze Zeit zwischen den beiden hin und her, versuche dabei aber immer noch, mir die Fesseln vom Leib zu halten.
„Lass das arme Mädchen gehen, Elias.
Sie ist noch nicht einmal volljährig.", wagt Felis einen ruhigen Versuch.
Elias lacht.
„Andere Idee.
Du gehst, ich kümmere mich um Meandras Tochter. Deal?"
Felis seufzt.
Und dann fangen sie an zu kämpfen.
Schnell merken sie, dass sie sich nicht wehtun können, weil beide braune Augen haben.
Doch Elias hat einen riesigen Vorteil.
Er ist nicht alleine, während Felis nur mich hat.
Jetzt wird Felis umkreist, und ich weiß, dass ich etwas tun muss.
Edmons Stimme erfüllt meinen Kopf, erinnert mich an all die Dinge, die er mir beigebracht hat.
Und dann lege ich los.
Egal wohin, außer auf Felis, überall schieße ich Flammen und Wellen hin.
Einige versuchen mich aufzuhalten, doch die Überraschung war zu groß, der Schaden, den ich jetzt schon angerichtet habe, ebenfalls.
Ich weiß, dass ich Elias getroffen habe.
Bei mir funktioniert es, weil ich Feuermagie habe.
Auch ich werde getroffen, doch anscheinend haben nur zwei Leute aus Elias Gruppe graue Augen, denn ich werde nur von heftigen Windböen und fliegenden Gegenständen abgelenkt.
Jeden Wasserangriff wehre ich erfolgreich mit meinem eigenen Wasser ab.
Es funktioniert besser, als ich es jemals erwartet hätte, und dieses Gefühl, dass sich in mir ausbreitet, ist so befreiend, dass ich gar nicht mehr aufhören will.
Langsam verstehe ich, was die anderen meinen.
Ich bin wirklich mächtig.
Felis ist mir eine große Hilfe,
er hat mehr Erfahrung als ich, kann besser mit Magie umgehen als ich.
Auch wenn ich weiß, dass ich mich nicht schlecht schlage, der Auslöser, dass Elias sich zurückzieht, bin nicht wirklich ich.
Vermutlich verdanke ich Felis mein Leben.
Elias hinkt davon, seine Leute folgen ihm.
Nur Felis und ich bleiben zurück, vollkommen außer Puste.
Irgendetwas hat mich am Arm getroffen, der jetzt wieder blutet.
„Danke.", murmele ich und Felis nickt mir zu.
„So etwas tut man schließlich für sein Patenkind, habe ich recht?"
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Augenfarbe
Fantasy„Also...Glaubst du wirklich, dass etwas mit dir nicht in Ordnung ist?", fragt sie zaghaft. „Ja. Das tue ich." Manchmal gibt es Momente, in denen sich ganze Leben auf den Kopf stellen. Genau so einen Moment erfährt Lia am eigenen Leib, als ihr sechze...