Zur selben Zeit an einem anderen Ort.
„Entschuldigt die Störung, Meister, ich habe etwas mitzuteilen."
„Ich hoffe für dich, dass es wichtig ist, Lucy.
Ich versuche gerade Kontakt zu einer bestimmten Person aufzubauen."
„Das ist es, Meister. Ich habe Informationen über die Leute ihres Sohns Atrius und die Ringträgerkinder."
„Sprich."
„Ich habe eine wichtige Prophezeiung gefunden.
Anscheinend sollen die Reisenden am 22 November aufbrechen."
„Das ist nicht gut.
Wir müssen es bis dahin geschafft haben, Meandras Tochter umzubringen. Sie ist das einzige Einzelkind, wenn es sie nicht mehr gibt, wird niemand mehr Meandra überreden können, und der Plan der Reisenden wird untergehen.
Wo bleibt Elias? Ich möchte wissen, weshalb er versagt hat."
„Sie hatte Hilfe, Meister.
Doch auch sie ist mächtiger, als wir es erwartet hatten."
„Wir brauchen einen neuen Plan, bevor sie aufbrechen.
Schon einen einzigen Ringträger auf seine Seite zu ziehen kann sehr hilfreich sein."
„Ich werde überlegen, Meister."
„Das hoffe ich für dich, Lucy.
Solltest auch du versagen, kann ich dir nicht versprechen, dass du noch ein weiteres Jahr leben wirst."
„Verstanden, Meister."Selia
„Zum Geburtstag viel Glück!", singen wir die letzte Strophe vom Lied.
Alle Ringträgerkinder stehen vor Mays Bett, inklusive Maddison, Amy und Edmon.
Shane küsst sie, weshalb ich davon ausgehe, dass sie sich ausgesprochen haben.
„Danke Leute. Echt.", sagt May und wird rot.
„Es gibt bestimmt Kuchen!", ruft Hailey glücklich.
Ich lache und scheuche kurz alle raus, damit May sich umziehen kann.
Heute gibt es tatsächlich Kuchen, wahrscheinlich hat Rina den Köchen bescheid gegeben, dass ihre Tochter Geburtstag hat.
Sobald alle sitzen steht Atrius auf und bittet um Stille.
„Wir alle wünschen dir alles Gute zum Geburtstag, May.
Doch eigentlich wollte ich über etwas anderes reden.
Wie sicher die meisten mitbekommen haben, ist Jane gestern hier angekommen.
Sie hat die Prophezeiung gefunden, die uns das Datum des Aufbruchs verraten sollte.
Nächsten Donnerstag ist es soweit, und ich werde noch entscheiden müssen, wer die Ringträgerkinder begleiten wird.
Aber jetzt genießt erst einmal den Kuchen.
Nochmal alles Gute, May.", beendet er seine kurze Rede.
Alle klatschen, doch ich tue es nur für May.
Ich freue mich nicht auf die Reise, ganz sicher nicht.
Wenn ich an das denke, was die anderen erzählt haben, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.
Nie im Leben würde ich mitkommen, wenn ich nicht die einzige Chance wäre, Meandra zu überreden, sich ihren Geschwistern anzuschließen.
Doch ich will diese ganze Geschichte endlich beenden, meine Eltern in Sicherheit bringen.
James darf es nicht schaffen, die anderen Eingänge auch noch zu öffnen.
Mays Feier dauert nicht wirklich lange, und bald schon sind die meisten zurück in ihre Zimmer gegangen.
Ich sehe Hailey und May an einem Tisch stehen und gehe auf die beiden zu.
„Wieso hast du mir nicht selbst gesagt, dass du heute Geburtstag hast?", frage ich May anklagend.
„Ich weiß nicht, irgendwie habe ich es selbst vergessen.", antwortet sie.
Ich lache und will gerade nach einem Teller greifen, da stoße ich gegen ein Glas und werfe es auf den Boden.
Es zerbricht, als es auf dem harten Boden aufkommt, und ich bücke mich, um die Scherben aufzuheben.
Unabsichtlich schneide ich mich an einer und suche fluchend nach einem Taschentuch.
„Zeig mal her.", bittet May und greift nach meiner Hand.
In genau der Sekunde schließt sich die winzige Wunde von selbst.
Keine von uns dreien sagt etwas, obwohl wir wohl alle etwas Ähnliches denken.
Hailey und ich starren May an, und May meinen nun nicht mehr verletzten rechten Zeigefinger.
„Alles klar?", fragt May leise.
„Keine Ahnung, sollte nicht lieber ich dich das fragen?"
„Kann sein."
Ich schlucke und suche ihren Blick, doch ihre Augen sind immer noch auf meinen Finger gerichtet.
„Kommt.", fordert Hailey uns auf und läuft Richtung Ausgang.
Auf dem Weg läuft Shane uns entgegen und küsst May, doch diese schenk ihm kaum Beachtung.
Ich spüre seinen fragenden Blick hinter uns, doch ich folge zielstrebig Hailey.
„Wo gehen wir hin?", fragt May verwirrt.
„Ist das nicht offensichtlich? Ich glaube, wir alle haben direkt an eine bestimmte Person gedacht, und diese werden wir jetzt aufsuchen und um Rat bitten.", antwortet Hailey.
Natürlich habe auch ich direkt an Megan gedacht, doch die Idee, dass May eine Heilerin sein könnte, ist so absurd, dass ich nicht darüber nachdenken möchte.
Wer weiß, vielleicht soll sie im Endeffekt deshalb mit auf die Reise, was ich überhaupt nicht gut fände, weil sie dann durch dieselben Gefahren muss wie ich.
Ich weiß sie lieber in Sicherheit, dasselbe gilt für Hailey, Eric, Tyler, Shane, Edmon, sogar Maddison und Amy.
Niemand, und schon gar kein Kind, sollte sich in so einer Situation befinden wie ich es nächsten Donnerstag sein werde.
Wir klopfen an dieselbe Tür wie gestern, als wir für meinen Arm da waren.
Megan macht uns auf und schaut uns erstaunt an, doch lässt uns ohne ein Wort rein.
Erst als wir alle drei sitzen, räuspert sie sich.
„Was ist los?", fragt sie.
Keine von uns sagt etwas, bis Hailey sich schließlich räuspert.
„Es könnte sein, dass May auch eine Heilerin ist.", erklärt sie.
Megan lacht leise auf, doch als sie merkt, dass keine von uns mitlacht, verstummt sie.
„Ich hoffe euch ist klar, dass dazu mehr gehört als jemanden gut verarzten zu können.", sagt sie.
„Sie hat eine kleine Wunde an meinem Finger geheilt, nur indem sie mich angefasst hat!", schalte ich mich ein.
„Seid ihr sicher?", fragt Megan stirnrunzelnd.
Sowohl Hailey, May, als auch ich nicken energisch.
Megan seufzt.
„Ich werde es testen müssen.", meint sie und läuft zu ihrem Schreibtisch.
Sie kramt in einer Schublade herum, greift etwas raus und kommt dann zurück.
Sobald sie sitzt, holt sie den Gegenstand hinter ihrem Rücken hervor.
„Wer von euch beiden will?", fragt sie und blickt dabei zu Hailey und mir, während sie das blitzende Messer in ihren Händen dreht.
„Nie im Leben.", beschwert May sich, „Das mache ich nicht."
„Wir brauchen nur eine kleine Wunde , mehr nicht.", versucht Megan uns zu beruhigen.
Ich schlucke, doch bevor ich einwilligen kann, hat Hailey schon zugestimmt.
„Ich mach's.", sagt sie,
„Aber jemand anders muss mich verletzen, ich kann das nicht bei mir selbst."
„Kein Problem.", sagt Megan schulterzuckend.
„Hailey, lass das. Können wir nicht eine Nadel nehmen oder so? Ich will nicht, dass sich jemand wegen mir den Arm aufschlitzt.", meint May verunsichert.
„Keine Sorge, sie wird fast nichts merken."
Und mit diesen Worten greift Megan Haileys Hand und schneidet ihr ohne zu zögern in den Finger.
Hailey kann noch nicht einmal einen Laut von sich geben, so schnell ist es schon vorbei, und so klein der Schnitt.
„Alles klar?", fragt May besorgt und greift unbewusst nach der Hand.
Sofort verschwindet der Schnitt.
„Ich habe nichts gemerkt, beruhig dich. Außerdem hast du es schon wieder geschafft."
May schluckt, und auch Megan scheint nachdenklich zu sein.
„Ist das erst seit heute so?", fragt sie.
May zuckt mit den Schultern.
„Keine Ahnung, ich habe es davor nicht ausprobiert.", antwortet sie.
„Es kann aber gut sein. Das wäre uns ja wohl aufgefallen, du hast Lia ja auch berührt, als ihr Arm verletzt war, und trotzdem ist die Wunde geblieben.", meint Hailey.
„Sie hatten doch auch gesagt, wenn niemand anders in der Familie ein Heiler ist, dann kann es gut sein, dass die Person erst später die Fähigkeiten bekommt.", füge ich hinzu.
Megan nickt.
„Du weißt was das bedeutet, nicht, May?", fragt sie.
„Was meinen Sie?"
May blickt fragend zu Hailey und mir, doch wir zucken beide mit den Schultern.
„Du wirst mit auf die Reise kommen müssen. Wir werden jeden Heiler brauchen, den wir finden können, um die Ringträgerkinder zu beschützen."
May wird blass, nickt aber.
„Ich bin bereit", sagt sie.
Ich nicht, denke ich.
Aber was habe ich schon für eine andere Wahl?
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Augenfarbe
Fantasy„Also...Glaubst du wirklich, dass etwas mit dir nicht in Ordnung ist?", fragt sie zaghaft. „Ja. Das tue ich." Manchmal gibt es Momente, in denen sich ganze Leben auf den Kopf stellen. Genau so einen Moment erfährt Lia am eigenen Leib, als ihr sechze...