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„Vergiss ihn einfach. Vergiss ihn."

Mit knirschenden Zähnen schaltete ich den Fernseher aus, auf dem gerade noch Georges Gesicht zu sehen war. Es war definitiv kein Zufall mehr, dass ich genau dann auf den Sportsender schaltete, wenn seine Show lief. Dabei interessierte ich mich nicht mal sonderlich für Sport – George war der einzige Grund, warum ich auf den Sender schaltete. Ich wollte sein Gesicht sehen.

Seit unserem letzten Gespräch hatte ich nicht mehr mit ihm gesprochen und war ihm noch nicht mal begegnet. Ich gab zu, dass ich ihm aus dem Weg ging. Aber dies war der einzige Weg, um zu vergessen, dass er mich geschminkt gesehen hatte.

Ich trug nicht jeden Tag Schminke. Höchstens einmal in der Woche, wenn ich das Gefühl hatte, ich musste mal ich selbst sein.

Ich war in einem Haushalt voller Jungs aufgewachsen. Die einzige weibliche Figur in meinem Leben war meine Mutter und selbst die hatte die Hosen an im Haus. In meiner Kindheit gab es nichts anderes außer Dreck, Sport und reiner Männlichkeit. Doch das war ich nicht und ich war es auch nie gewesen. Ich hatte schon immer am liebsten weiße Pullover getragen und diese als Ausrede benutzt, um nicht im Garten herumzutollen. Ich hatte lieber im Haus gesessen und auf unserem Klavier gespielt oder gelesen. Den Fußballverein hatte ich nach einem Training wieder verlassen, da ich mir mein Knie aufgeschürft hatte und mich dies so sehr traumatisiert hatte, dass ich begann die Sportart zu hassen. Alles, was meine Brüder machten, sollte ich auch tun. Alles, was meine Brüder machten, ließ mich in Angstschweiß ausbrechen. Ich sollte in eine Ausstechform passen, ich sollte einer meiner Brüder werden. Doch egal wie sehr ich mich verbog, ich schaffte es nicht. Ich war und blieb das Nesthäkchen.

Ich schätze, meine Eltern waren nicht überrascht, als sie herausfanden, dass ich eigentlich Jungs viel toller fand als Mädchen. Sie hatten es vermutlich geahnt. Doch egal, wie sehr man mir versicherte, dass ich mein eigenes Leben leben konnte und dass nichts an mir falsch war ... ich wurde den Gedanken nie los, dass ich ein fehlerhaftes Produkt war. Irgendetwas war falsch gelaufen.

Ich wusste, dass normale Jungs keine anderen Jungs küssen wollten. Ich wusste, dass normale Jungs keine lila und rosa Pullovers tragen wollten. Ich wusste, dass normale Jungs nur ‚gut' aussehen wollten und nicht ‚hübsch'. Doch ich wusste auch, dass ich dies alles wollte – tief in meinem Inneren. In meiner Wohnung konnte ich sein, wer ich wollte. Außerhalb war ich jemand anderes. Außerhalb war ich einer meiner Brüder.

Und die Tatsache, dass George mich als ich selbst gesehen hatte – und dies nun mehrere Male – brachte mich schier zur Verzweiflung. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis mich dies zerbrechen würde. Und ich konnte es nicht aufhalten. Ich war bereits zu tief gefallen.

Es klingelte an der Tür. Ich zögerte für einen Moment, bis mir einfiel, dass ich ein Paket erwartete und es wahrscheinlich nur der Postbote war. Da ich mir darüber ziemlich sicher war, öffnete ich die Tür, ohne durch den Spion zu sehen.

Ich bereute es sofort.

„Hey, Em", begrüßte mich George und schenkte mir ein umwerfendes Lächeln. Ich unterdrückte ein leises Quietschen und wollte sofort wider die Tür schließen, doch George hatte bereits seinen Fuß zwischen Türrahmen und Tür gequetscht. Testend drückte ich die Tür dagegen. „Bitte, brich mir nicht den Fuß."

Ich zögerte. „Was willst du?"

„Kannst du mich hübsch machen?"

Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. „Was?"

„Das letzte Mal, wo wir uns gesehen haben, hast du dich hübsch gemacht. Ich möchte auch so hübsch sein." Ich starrte den Jungen mit offenem Mund an. Er hatte es mit so einer Determination gesagt, wie ich es nie gekonnt hätte.

Knock on my Door {Adventskalender 2017}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt