🔱Siebzehn🔱

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Taehyung

Damit hätte ich nicht gerechnet. 

Wirklich. Diese Worte irritieren mich beinahe schon. Stirnrunzelnd sehe ich Jungkook an, der seinen Blick inzwischen gesenkt hat und mit dem Saum seines T-Shirts spielt. Langsam lege ich den Kopf schief und mustere den Dunkelhaarigen eingehend. Ich dachte bis jetzt eigentlich, dass er ein verwöhnter, reicher Jungendlicher ist, der Sprayen als Vandalismus sieht, weil seine Eltern es ihm so beigebracht haben. 

Aber das kann nach diesen Worten unmöglich sein. Er mag mein Bild? Er mag es tatsächlich? Als ich das realisiere, bildet sich der Ansatz eines Lächelns auf meinen Lippen. Er mag mein Bild. Er will es gar nicht von der Mauer wegbringen, das war wohl nie seine Absicht. Er hat es sich nicht angesehen, weil er sich darüber aufgeregt hat, dass ich die Wand 'mit ein paar bunten Buchstaben besudelt' habe. Er hat es sich angesehen, weil er es mochte.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er gerade gelogen hat. Er hätte keinen Grund dazu. Und ausserdem hätte ich definitiv gemerkt, wenn seine Worte nicht so ehrlich gewesen wären, wie sie es nun mal eben waren. 

Seine Augen haben praktisch geleuchtet, als er von seinem Grund erzählt hat. Sobald das Wort Kunst über seine Lippen gekommen ist, ist seine Begeisterung beinahe auf mich übergeschwappt. Er liebt Kunst wirklich, er ist der erste Mensch, der sich so durch sie begeistern lässt und so von ihr redet. 

Er hat auch Recht. Wieso sollte er sich auf eine kleine, viereckige Leinwand beschränken, wenn er viel, viel grössere Flächen verschönern kann? An Orten, wie die Menschen seine Werke sehen können, nicht auf Leinwänden, die ohnehin nur in seinem Zimmer stehen und ungesehen bleiben. 

Ich komme nicht umhin, ihn vielleicht ein klitzekleines Bisschen zu mögen, nachdem, was er mir gesagt hat. 

"Ich möchte das können, was du kannst"

Besonders diese Worte wiederholen sich immerzu in meinen Gedanken und lässt mein Innerstes mit Stolz erfüllen. "Du magst mein Bild also", stelle ich mehr fest, als es zu fragen. Ich drehe mich dabei wieder zum Regal mit den Spraydosen, um das aufkommende Lächeln zu verstecken. Er muss nicht gleich wissen, wie sehr mich die Worte erfreuen. "Mögen ist eine Untertreibung", schnaubt er daraufhin nur sofort. 

Mein Lächeln wird nur breiter.

"Es ist unglaublich!", höre ich ihn sagen, "Wirklich, Taehyung, es ist... unbeschreiblich. Es sagt etwas aus, es sieht schön aus... Vielleicht mag ich dich nicht wirklich in Person, aber für das, was du da getan hast... dafür bewundere ich dich aus tiefstem Herzen." Gegen Ende hin, wird Jungkook immer leiser, bis er gänzlich verstummt.

Erst sagt niemand mehr etwas, bis ich wieder eine weitere Spraydose aus dem Regal nehme, doch diesmal achte ich nicht auf die Farbe, ich packe einfach die nächstbeste, und mich zurück zu Jungkook drehe. "Danke", ist das Einzige, was ich ihm zumurmle. 

Mit einem Nicken bedeute ich dem Dunkelhaarigen dann, mir zu folgen und gemeinsam begeben wir uns zur Kasse des Baumarktes. Jungkook lädt seine Spraydosen auf das Förderband, ich stelle die blaue, die ich wahllos herausgepickt habe, dazu und beobachte Jungkook dabei, wie er sein Portemonnaie auspackt und einige Won-Scheine herauszieht, um die Spraydosen zu bezahlen.

Als ich erkenne, dass noch viel mehr Scheine in seinem Portemonnaie vorzufinden sind, kann ich mir ein abwertendes Schnauben nicht verkneifen. "Deine Alten schieben dir wirklich das Geld den Rachen hinunter", stelle ich bissig fest und schiebe meine Hände in die Jackentaschen, wo ich in der linken sofort Tiramisus weiches Fell spüre.

"Wie bitte?!", höre ich ihn nun angesäuert nachfragen, kaum hat er bezahlt. "Was?", knurre ich nur und sehe wieder nur zu, als der reiche, junge Mann vor mir die Spraydosen in zwei Plastiktüten packt. Er stopft sie harsch in die Tüten, woran ich erkennen kann, dass er wütend sein muss. Oder zumindest auf dem Weg dazu.

"Wieso denkst du, dass das das Geld meiner Eltern ist?", höre ich ihn eingeschnappt fragen, als er sich mit seinen Tüten zu mir wendet. Ich ziehe spöttisch eine Augenbraue hoch. "Als ob du so viel arbeiten würdest, um Geld zu verdienen. Deine Eltern haben es ja ohnehin, oder nicht? Ich wette, das im Café ist bloss dein kleines Taschengeld, nicht?", zische ich leise und verlasse den Laden, ohne auf ihn zu warten. Doch ich brauche mich gar nicht nach dem Dunkelhaarigen umzudrehen, denn die hastigen Schritte, die ich höre, sagen mir schon, dass er wieder zu mir aufholt.

"Was habe ich dir getan?!"

Die Frage veranlasst mich dazu, stehen zu bleiben. Umdrehen tue ich mich zwar noch lange nicht, aber das ist auch nicht nötig, als er mich umrundet und vor mir stehen bleibt. Seine dunklen Augen funkeln zornig zu mir auf. Ich erwidere diesen Blick eher emotionslos, ohne ihm eine Antwort auf seine Frage zu liefern. "Sag schon!", bohrt er aber hörbar verärgert nach. Ich lege wieder den Kopf schief. 

Wenn er wütend ist, kommt er aus sich heraus, das ist interessant zu sehen. Sonst lässt er sich herumschubsen, aber  wenn man ihn zur Weissglut treibt, wehrt er sich. Sein Ärger ist das einzige, was ihn wirklich anzutreiben scheint, was ihm überhaupt den Mut gibt, in dem Ton mit mir zu reden. Wie damals, als er mich im Café angeschnauzt hat, als ich das Bild angesprochen habe, dass er gezeichnet hat.

"Was du mir getan hast?", seufze ich leise in seine Richtung und ernte ein energisches Nicken. "Das bist nicht du, Jungkook. Das ist dein gesamtes Pack."

Er zieht verwirrt die Augenbrauen zusammen, gibt seine wütende Haltung aber nicht auf. "Was soll das heissen? Meine Familie?", fragt er nach. Ich schüttle den Kopf. "Diese ganzen Reichen", kläre ich ihn auf und in meiner Stimme ist deutlich die Abneigung diesen Leuten gegenüber hörbar, "Sie halten sich für etwas besseres, als der Rest der Leute. Sie denken, sie können sich nehmen, was sie wollen, solange sie genug Geld dafür hinblättern. Aber was wissen diese Leute schon von Leidenschaft oder Ehrgeiz - was wissen sie von dem Gefühl, stolz auf etwas zu sein, weil man es sich erarbeitet und nicht erkauft hat - Weisst du jetzt, was ich an dir nicht leiden kann?"

"Ich kann nichts dafür, in diesen Verhältnissen zu leben", antwortet er mir nur kurz nachdem ich geendet habe, "Nur weil du denkst, wir sind alle gleich, heisst das nicht, dass das auch stimmt. Ich arbeite für die Dinge, die ich haben will, Taehyung. Du kannst es vielleicht nicht glauben, aber ich kenne Leidenschaft und Ehrgeiz und wenn es nur durch verdammte Kunst ist."

Ich verziehe keine Miene, selbst dann nicht, als er fertig geredet hat. Ich höre ihn ruhig zu, bevor ich mich zu ihm hinlehne, so nahe, dass unsere Gesichter kaum eine Handbreite von uns entfernt sind.

"Du kannst sagen, was du willst, Jungkook, du kannst behaupten, was du willst, du kannst mein Bild mögen, jedes andere Graffiti, dass du finden wirst - aber im Endeffekt wird dich das nicht von deiner Sorte abheben. Im Endeffekt wirst du niemals verstehen, was das Sprayen für jemanden wie mich bedeutet. Du wirst nie das spüren, was ich spüre, wenn ich die ersten Striche ziehe oder wenn das Bild fertig ist, du wirst niemals die Freiheit spüren, die ich spüre. Du wirst es nie verstehen."

Graffiti [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt