🔱Sechzehn🔱

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Jungkook

Was mache ich hier eigentlich? Ich sollte in meiner Vorlesung sein, ich sollte dem Professor zuhören, mir Notizen machen und diese Idee hier ganz schnell wieder vergessen.

Und was mache ich stattdessen?

Ganz genau, ich stehe hier vor dem Haus und warte auf einen rothaarigen, unfreundlichen Typen. Unruhig von einem Fuss auf den anderen tretend, halte ich nach ihm Ausschau, und fahre mir nervös durch die Haare. Es ist bald drei Uhr und als ich meinen Kopf nach rechts wende, kann ich tatsächlich die hochgewachsene, rothaarige Gestalt auf dem Gehweg ausmachen. Er scheint sich überhaupt gar nicht zu beeilen und als er näher kommt, erkenne ich, wie seine dunklen Augen sich direkt in meine bohren.

Er scheint auch nicht sonderlich gut gelaunt - so wie immer also.

Unsicher beisse ich auf meiner Unterlippe herum und versuche die Nervosität so gut ich kann zu unterdrücken, aber bei diesem kalten Blick, den er mir zuwirft, ist das gar nicht mal so einfach. Als er dann vor mir zum Stehen kommt, sagt er nicht ein Wort, stattdessen mustert er mich nur von Kopf bis Fuss. "Hi", begrüsse ich ihn leise und zupfe unsicher an meinem Oberteil herum.

Ein knappes Nicken ist die Antwort darauf. "Ich hätte nicht erwartet, dass du tatsächlich aufkreuzen würdest", bemerkt er mit neutraler Stimme und ich komme nicht umhin, die Tiefe, die sie hat, einmal mehr zu bewundern. Ich habe noch nie jemand mit einer so tiefen Stimme gehört.

"Das hättest du wohl gerne", murmle ich leise vor mich hin, woraufhin er tatsächlich nickt. "Hast du Geld dabei?", fragt er aber, bevor ich mich weiter über diese Dreistigkeit aufregen könnte. Überrascht von der Frage sehe ich ihn erst perplex an. "Ja, wieso?"

"Gut", meint er und setzt sich in Bewegung. Verwirrt mache ich mich daran, ihm zu folgen, eile mit grossen Schritten neben ihm her. "Wohin gehen wir? Was machen wir?", will ich neugierig wissen.

Doch Vante seufzt nur und meint halblaut darauf: "Du stellst gerne Fragen, kann das sein?"

"Stört dich das?", will ich verunsichert wissen. Kurz ist es ruhig, ich höre nur unsere Schritte und Atemzüge, bis der Rothaarige bissig zurückgibt: "Ich hasse Fragen."

Ich kann ein Augenverdrehen nicht unterdrücken. Aber was habe ich mir auch von ihm erhofft? Bei jedem unserer Zusammentreffen, war er unhöflich, als ob sich das jetzt ändern würde, vor allem, nachdem ich ihn praktisch dazu gezwungen habe, mich seine Kunst zu lehren. 

Nun ist es zumindest ruhig, denn wenn er Fragen nicht mag, wird er mir sicherlich auch keine beantworten. Ich mustere den Rothaarigen von der Seite, der seinen Blick stur auf den Gehweg vor uns gerichtet hat. Er trägt nur dunkle Kleider, und die Kapuze seines Hoodies zeigt lediglich sein Gesicht und die vordersten seiner roten Strähnen. 

Er biegt in eine neue Strasse und als ich ihm folge, erkenne ich auch, wohin er wohl möchte. Er hält direkt auf das riesige Gebäude am Ende der Strasse zu. "Der Baumarkt?", hake ich nach und sehe perplex wieder zu Vante.

Diesmal erwidert er diesen Blick sogar, die Lippen zu einem geringschätzigen Lächeln verzogen. "Was dachtest du denn? Du brauchst erstmal Farben, reicher Bengel." Ich schürze die Lippen und nicke auf seine Worte hin, murmle jedoch ein leises "Jungkook". Wieso nennt er mich reicher Bengel? Denkt er wirklich so schlecht von mir? Mache ich einen so verwöhnten Eindruck auf ihn? 

"Wie war das?"

"Ich heisse Jeon Jungkook", gebe ich lauter von mir, woraufhin er bloss mit den Schultern zuckt. "Wie auch immer", murmelt er. "Und du Taehyung, nicht wahr? Wie noch?", frage ich neugierig.

Wir betreten das grosse Geschäft und Taehyung erwidert nur wieder kühl wie immer: "Ich hasse Fragen immer noch." 

Damit beginnt er, mit grossen Schritten zwischen den vielen Regalen hindurch zu laufen. Ich bemühe mich, mit ihm Schritt zu halten und schliesslich kommen wir vor einem Regal zum Stehen, in dem sich Unmegen von Sprühdosen befinden. Taehyung tritt näher und nimmt eine dunkelblaue in die Hände. "Was weisst du über Graffiti, Jeon Jungkook?", fragt er mich und betont meinen Namen dazu extra. 

"Es gibt viele Arten davon", melde ich mich zu Worten und rufe mir die vielen Dinge in Erinnerung, die ich gelesen habe, "Aber ich finde Style Writing am schönsten", füge ich hinzu. Er nickt und ich möchte bereits weitermachen, als er sich zu mir umdreht und mir die ersten drei Spraydosen in die Hände drückt. Überrascht presse ich sie gegen meine Brust und sehe ihm zu, wie er weitere Farben auswählt. 

"Dir ist klar, dass du eine Menge Schlaf wirst opfern müssen?", fragt er mich, woraufhin ich eilig nicke. Ich habe erwartet, dass er mir das Meiste zumindest nachts zeigen wird. 

Fasziniert beobachte ich den Rothaarigen dabei, mit wie viel Konzentration er allein ein paar Sprühdosen auswählt, wie er zwischen den verschiedenen Grüntönen verharrt, sie miteinander zu vergleichen scheint und seine Finger über die Dosen streichen lässt, während er an ihnen vorbei läuft, zur nächsten Farbe. 

Er scheint das schon oft getan zu haben und automatisch tut sich mir die Frage auf, wie lange er bereits sprayt und wie er überhaupt dazu gekommen ist. Aber mir ist genauso auch klar, dass er mir das niemals verrät, immerhin erzählt er mir nicht einmal, wie sein ganzer Name lautet. Jede Information scheint ihm zu viel zu sein, nichts will er preisgeben.

Selbst wenn Taehyung unfreundlich ist, er ist eine interessante Person.

"Beantworte mir nur eine Frage, Nervensäge", meldet er sich auf einmal zu Wort und dreht sich zu mir um, in seinen Händen wieder einige Spraydosen, "Wieso willst du so sehr das sprayen lernen?"

Ich sehe ihn erst überrascht an. Was soll die Frage? "Ich... ich liebe Kunst", murmle ich leise, sodass es beinahe in dem lauten Stimmengewirr des Baumarktes untergeht, "Ich zeichne seit ich denken kann, es macht mich glücklich, ich kann damit ausdrücken, was ich nicht zu sagen schaffe. Ich finde darin eine Art Zuflucht, wenn mir alles zu viel wird, es entspannt mich, wenn ich gestresst bin, beruhigt mich, wenn ich aufgewühlt bin. Und ich weiss nicht, wieso das Sprayen es mir so angetan hat, aber... als ich dein Bild auf der Brücke gesehen habe, wollte ich so gerne wissen, wie du es gemacht hast. Wie hast du so ein Kunstwerk erschaffen? Die Farben, die Buchstaben, alles daran ist perfekt. Ich will das auch können. Ich kann auf einer Leinwand zeichnen, aber wenn man so gross zeichnen kann, mit so viel Leidenschaft, so viel Gefühl und so schön, wieso soll ich mich da auf die Leinwand beschränken? Ich... ich will das können, was du kannst, Taehyung."

Graffiti [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt