🔱Sechzig🔱

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Jungkook

Ich verlasse nach dem Ende meiner Schicht kaum das Café, als Taehyungs Stimme bereits vom Eingang der Nebengasse, wo der Hinterausgang liegt, meinen Namen sagt. Überrascht sehe ich auf und mustere die hochgewachsene Silhouette dort vorn, welche mir sagt, dass mein Freund da steht. "Tae?", erwidere ich verwundert und gehe mit grossen Schritten auf den Älteren zu, "Was machst du hier?"

Ich habe ihn die ganze Zeit über in meiner Schicht nicht zu Gesicht gekriegt; das ist an sich auch nichts besonderes - er ist manchmal da, aber nicht zu jeder meiner Schicht und das ist auch nichts, was ich verlange, doch er weiss mittlerweile, wann das Café schliesst und ich bin überrascht, dass er die ganze Zeit lang bis jetzt wohl nicht hier aufgetaucht ist, wenn er überhaupt hier hergekommen ist. 

Auf meine Frage hin schnaubt Taehyung bloss und kaum bin ich nah genug, streckt er die Hände aus und platziert sie an meinen Seiten, nur um mich noch etwas näher an ihn heranzuziehen. "Was mache ich wohl hier, hm?", erwidert er trocken, was ich nur mit einem kleinen Lachen quittiere, bevor ich mit demselben Grinsen auf den Lippen auf den Körperkontakt reagiere und meine Arme um seinen Nacken schlinge, bevor ich mich zu ihm hinlehne und ihn küsse. Der Rothaarige erwidert sanft darauf und ich seufze leise auf, während meine Hände weiter in seine Haarsträhnen fahren und ich merke, wie Tae den Kopf leicht neigt, um den Kuss zu vertiefen. Ich lasse mich von dem schönen, angenehmen Gefühl leiten, dass in mir aufkommt und werde etwas fordernder, bis der Rothaarige sich schliesslich von mir löst. "Ich wollte dich treffen, was denn sonst", murmelt er mit einem amüsierten Unterton in der Stimme und auch ein wenig atemlos, bevor er einen weiteren, kleinen Kuss auf meine Lippen drückt und sich dann wieder aufrichtet. 

"Lass uns gehen", meint er und nickt in Richtung Strasse. Taehyung lässt von mir ab und schiebt seine Hände dafür in seine Hosentaschen, als wir uns in Bewegung setzen und uns vom Café entfernen. Eine Zeit lang herrscht Ruhe zwischen uns, nur der Stadtlärm um uns herum ist zu hören, zumindest bis wir in die Gegend kommen, in der Taehyungs Wohnung liegt. Dort wird der Autolärm leiser, es sind weniger Leute auf den Strassen und viel entspannter.

Von Zeit zu Zeit huscht mein Blick zu ihm, doch Taehyung blickt entweder geradeaus oder zu Boden und scheint einmal mehr in seinen Gedanken komplett versunken zu sein. Mir entweicht ein kleines Seufzen und ich beisse mir auf die Unterlippe, als ich ihn einmal mehr so mustere, als wir weiter so nebeneinander her laufen. Er hat mir immer noch nicht erzählt, was ihn so aufwühlt und ich wünschte, ich wüsste es oder er würde sich zumindest nicht so sehr den Kopf darüber zerbrechen. 

"Taehyung?", frage ich leise und lege ihm eine Hand auf den Unterarm, was ihn dazu bringt, mich endlich anzusehen. "Hm?", macht er mit grossen Augen und ich neige daraufhin den Kopf etwas. "Ist wirklich alles in Ordnung?", hake ich nach, was ihm ein tiefes Seufzen entlockt. Er fährt sich mit einer Hand durch die roten Haare und lässt sie dann wieder beinahe schlaff neben sich fallen, bevor er stehen bleibt. "Da... gibt es etwas, worüber ich mit dir sprechen muss", erklärt er dann leise und ich tue es ihm gleich, bleibe stehen und mustere ihn verwirrt. Bei seinem beinahe schuldbewusst wirkenden Blick kommt ein schlechtes Gefühl in mir auf und hebe eine Augenbraue. "Schiess los", fordere ich ihn auf und erneut seufzt er tief.

Sein Blick bleibt gesenkt und das schlechte Gefühl verstärkt sich nur noch, als er eine Hand an seinen Nacken legt und dann leise zu sprechen beginnt: "Du weisst bestimmt, dass wir nicht von hier sind, ich und Namjoon, oder?"

Ich nicke langsam. "Ja, und?", erwidere ich unsicher, woraufhin er mit den Schultern zuckt und dann endlich zu mir aufsieht. "Wir ziehen immer wieder um", beginnt er zu erklären, "So alle paar Monate ziehen wir in eine andere Stadt. Wir machen das so, damit das Risiko von den Bullen beim sprayen erwischt zu werden, wieder so gering wie möglich wird. Wenn wir ständig an einem Ort bleiben, wir die Polizei mit der Zeit aufmerksamer und effizienter, um uns dranzukriegen. Also verschwinden wir alle paar Monate."

Als er zu Ende gesprochen hat, nicke ich das wieder ab, doch inzwischen habe ich eine dunkle Vorahnung, was hier schon seit Tagen vor sich geht und worüber Taehyung sich derart den Kopf zerbricht. Und allein die Vorstellung gefällt mir ganz und gar nicht. "Wieso erzählst du mir das, Tae?", verlange ich zu wissen, woraufhin ich erkennen kann, wie er leer schluckt.

"Unser nächster Umzug ist eigentlich längst überfällig, Jungkook", murmelt er und bei seinen Worten wir mir heiss und kalt gleichzeitig. Mit einem Schlag wird die Vorstellung von gerade eben einfach real und ich weiss einen Augenblick lang gar nicht, wie ich darauf reagieren soll. Mit grossen Augen sehe ich ihn an und bringe dann beherrschter als ich mich fühle heraus: "Ihr zieht weg..." Es ist keine Frage, sondern eine simple Feststellung, doch laut ausgesprochen fühlt es sich an, wie eine Hand, die sich um mein Herz schliesst und anfängt fest zu drücken. Als Taehyung dann auch tatsächlich nickt, schnürt mir das die Kehle zu und ich schnappe nach Luft. Meine Augen beginnen zu brennen und meine Knie werden weich. Ich balle die Hände zu Fäusten, so fest, dass meine Fingernägel sich schmerzhaft in meine Handballen graben und sehe ihn dann fast schon verständnislos an.

"D-du- du gehst", wiederhole ich mit belegter Stimme und versuche den Kloss in meinem Hals irgendwie hinunterzuschlucken, doch es funktioniert einfach nicht, er wird nur noch grösser, "Du... verlässt mich?"

Taehyung tritt auf mich zu, seine Miene ist besorgt und ich spüre, wie er seine Hände um meine Oberarme schliesst. "Nein, Jungkook, hör mir zu", verlangt er und selbst wenn ich gerade liebend gerne einfach nur verschwinden würde, hole ich tief Luft, um die aufkommenden Tränen zurückzukämpfen und nicke tapfer. Seine eine Hand wandert an meine Wange und ich erwidere seinen eindringlichen Blickkontakt eher unsicher. "Ich hab lange nachgedacht, hab auch mit Namjoon darüber geredet und ich bin zum Schluss gekommen, dass ich keinen von euch einfach alleine lassen will. Dafür bedeutet ihr mir beide zu viel. Aber wir können auch nicht einfach hier bleiben, verstehst du? A-also... also wollte ich dich fragen, ob du mit uns kommen willst?"

Von aufgelöst und verletzt, wechseln meine Emotionen innert wenigen Sekunden zu Perplexität. Verdattert starre ich ihn an. "W-was?", nuschle ich ratlos und Tae nickt ermutigend und schenkt mir ein kleines Lächeln. "Du kannst mit uns kommen", wiederholt er, "Wir verschwinden nach Daegu und wir können gemeinsam dahin und weiter sprayen und glücklich sein. Du musst nur zustimmen."

Ich öffne schon den Mund, um seinen Vorschlag anzunehmen, kaum hat er geendet, als ich auch bereits wieder innehalte und mir die Worte erneut durch den Kopf gehen lasse. Ich liebe Tae wirklich, doch mit ihm mitzukommen, würde bedeuten, das hier alles zu verlassen. Nicht für ein paar Tage oder zwei Wochen, nein, ich weiss nicht, wann und ob ich überhaupt je wieder diese Stadt betreten würde. Es würde bedeuten, meinen Job hinzuschmeissen, mein Studium, das ich eigentlich wirklich liebe, abzubrechen und vor allem bedeutet es, meine Familie und meine  Freunde einfach zu verlassen. Ich kann das meinen Eltern und Yoongi Hyung nicht antun und wenn ich darüber nachdenke, will ich das auch nicht. Ich liebe sie und ich möchte sie nicht einfach verlassen, egal wie gerne ich bei Taehyung bin. Sie sind meine Familie. 

Also schlucke ich nur leer und sehe dann hoch in die dunklen Augen des Rothaarigen, welcher den Blick hoffnungsvoll erwidert. "Was sagst du?", fragt er leise und nach einer kleinen Pause schüttle ich schliesslich den Kopf. "Es tut mir leid", wispere ich diesmal kann ich nichts gegen die Tränen machen, die sich ihren Weg über meine Wangen suchen. Es fühlt sich so an, als ob mein Herz gerade einfach in zwei Teile gerissen wird und während ich noch irgendwie versuche ein Hintertürchen in dieser Situation zu finden, welches mir ermöglicht nicht Tae oder meine Familie zu verlassen, so weiss ich eigentlich, dass es keines gibt. Taehyung wird gehen und ich werde nicht mitkommen. Ich schliesse mit einem Aufschluchzen die Lücke zwischen uns, schlinge meine Arme um seinen Oberkörper und vergrabe mein Gesicht an seiner Brust. Taehyung erwidert die Umarmung mit einem leisen "Okay", wobei ich deutlich heraushören kann, wie geknickt er sich anhört.  "Es-es tut mir leid, Tae... a-aber ich kann nicht."

Graffiti [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt