🔱Dreiundsechzig🔱

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Jungkook

Yoongi mustert mich mit einem tiefen Seufzen, woraufhin ich seinem intensiven Blick einfach schniefend ausweiche und auf meine Beine schaue, die ich an meine Brust herangezogen habe. Ich bin nur kurz nach Taehyungs Verschwinden zu meinem besten Freund gelaufen, mit komplett verheulten, rot geschwollenen Augen und einer laufenden Nase, aber ich kann mir nicht helfen, ich will gerade nicht alleine sein. 

Der Ältere hat mich mit besorgter Miene in die Wohnung gelassen und wollte wissen, was passiert ist, woraufhin ich ihm die ganze Geschichte erzählt habe. Jetzt steht er da im Türrahmen zum Wohnzimmer und schenkt mir einen missbilligenden Blick nach dem anderen.

"S-sieh mich nicht s-so an", nuschle ich mit einem kleinen Hicksen am Ende meines Satzes, bevor ich meine Arme um meine Beine schlinge und mein Kinn auf meine Knie abstütze. Ich mache mir nicht einmal mehr die Mühe, die ganzen Tränen wegzuwischen, die unaufhörlich über meine Wangen rollen, denn es bringt nichts - es kommen nur immer wieder neue nach und ich kann nicht nicht aufhalten. Es ist, als wäre ein Damm in meinem Inneren gebrochen und all die Tränen, die ich auf Vorrat habe, suchen sich nun einen Weg hinaus, während so ein grauenhafter Schmerz in meiner Brust sitzt, dort, wo mein Herz immer noch schmerzhaft schlägt. Ich kann kaum glauben, dass es dazu immer noch in der Lage ist, wenn es so fürchterlich wehtut und es sich eher so anfühlt, als wäre es in tausend Teile gerissen worden und dann in Brand gesteckt.

Wie kann es noch schlagen, bei der Folter? Ich verstehe das nicht. 

"Gut für ihn, dass er abgehauen ist - der hätte was erleben können, wenn ich ihn nochmal gesehen hätte", murmelt Yoongi Hyung missmutig, doch ich schüttle hastig den Kopf. "Nein... ich- ich verstehe i-ihn ja", flüstere ich mit belegter Stimme und schniefe wieder kläglich. Doch mein bester Freund schnaubt bloss auf meine Worte hin und nickt ironisch. "Ich nicht. Das ist bescheuert! So gefährlich wäre es auf keinen Fall gewesen", erwidert er kalt, woraufhin ich nur mit den Schultern zucke und mich, soweit das überhaupt möglich ist, mich noch kleiner mache. "Ich vermisse ihn, Hyung", flüstere ich leise und schlucke schwer, denn der Kloss in meinem Hals ist seit heute Morgen da, seit Taehyung mein Zimmer verlassen hat, und will einfach nicht verschwinden. 

Erneut dringt das  Seufzen des Älteren an mein Ohr und ich kann beobachten, wie er sich abwendet und aus meinem Blickfeld verschwindet. Verirrt starre ich den Platz an, wo er gerade noch gestanden hat und warte ab, was er nun macht. "Hyung?", rufe ich ihm leise nach, doch eine Antwort kommt keine zurück. Nach wenigen Augenblick erscheint dafür Yoongi selbst im Wohnzimmer, in den Händen eine grosse Packung Eis und einen Löffel, was er mir beides Wortlos reicht. "Hier", meint er bloss. Ich nehme die Packung und den Löffel entgegen, sehe ihn jedoch weiterhin verständnislos an. "Ich bin kein Mädchen, Yoongi", informiere ich ihn beinahe ein bisschen trotzig, woraufhin der Schwarzhaarige sichtlich genervt die Augen verdreht. "Na und?", antwortet er, "Wer hat gesagt, dass nur Mädchen bei Liebeskummer heulen und sich mit Eis vollstopfen? Meine Fresse, auch Typen können das machen - und Eis hilft, genau wie Schokolade. Also iss; dann wird es dir besser gehen."

Auffordernd sieht er mich an, also widerspreche ich nicht noch einmal, sondern öffne die Packung etwas umständlich, lege den Deckel auf den Kaffeetisch und setze mich neu im Schneidersitz auf sein kleines Sofa, bevor ich mir einen Löffel des Schokoladeneis in den Mund schiebe und mir die kalte Süssigkeit auf der Zunge zergehen lasse. 

Der Ältere kommt zu mir und lässt sich neben mich auf das Sofa fallen, lehnt sich zurück und schliesst die Augen. Ich dagegen stopfe weiterhin das Eis in mich herein und muss feststellen, dass es tatsächlich irgendwie hilft. Die Süssigkeit vertreibt den Schmerz zwar nicht, doch sie betäubt ihn auf eine Art und Weise, dass ich nicht ständig daran denken muss und das ist genau das, was ich brauche. Ablenkung. Wenn ich weiterhin ständig daran denke, werde ich womöglich noch verrückt. Ich will nicht immerzu mit diesem unfassbaren Schmerz konfrontiert werden und das Eis steuert glücklicherweise gegen jenen. Sodass es für einen Moment lang erträglich wird.

"Und?", will YoongiHyung dann leise wissen, woraufhin ich langsam nicke und die neue Portion Eis in meinem Mund hastig hinunterschlucke. "Besser", murmle ich nicht viel lauter als er. 

"Ich weiss, das tut weh", meint er ruhig, "Und das wird es noch eine ganze Weile. Es wird scheisse wehtun, vertrau mir. Aber es ist nicht das Ende der Welt, Jungkook. Es wird wieder besser werden und es werden wieder traurige Momente kommen, aber es wird nicht für immer so schrecklich bleiben." Ich nicke erneut und lehne mich zur Seite, sodass ich meinen Kopf gegen seine Schulter lehnen kann. "Danke, Hyung", murmle ich leise und spüre, wie er einen Arm um meine Schultern legt und leise lacht. "Nicht dafür, Kookie", erwidert er nur, "Sowas machen beste Freunde, schätze ich?"

Graffiti [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt