🔱Neunzehn🔱

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Taehyung

"Wie kannst du dieses Frettchen nur auf deiner Schulter sitzen lassen?", höre ich Namjoons beinahe ungläubig klingende Stimme. Ich schnaube daraufhin nur. "Die Ratte", betone ich mit Nachdruck, "ist mein Ein und Alles - natürlich darf sie auf meiner Schulter sitzen."

Der Ältere seufzt und nickt. "Schon klar. Mich würde es trotzdem anekeln", fügt er hinzu, woraufhin ich die Augen verdrehe. Aber was soll ich schon dagegen sagen? Er wird seine Meinung zu Tiramisu nie ändern und ich habe bereits vor langem aufgegeben, ihn für die kleine, süsse Ratte zu begeistern. Namjoon mag sie einfach nicht sonderlich und das wird wohl auch für immer so bleiben.

Mit einem tiefen Seufzen konzentriere ich mich auf die stille Umgebung, in der wir uns befinden. Wir sind erst wieder auf dem Weg in die Stadt hinein, nachdem wir uns bei Dämmerung von dieser entfernt haben. Doch nun zu ihr zurückzukehren ist ziemlich schön, denn trotz des langsam auch wiederkehrenden Stadtlärms, sind die unzähligen Lichtpunkte, die die Nacht so erhellen, faszinierend und ich mag es, sie von der Ferne aus zu betrachten.

"Willst du heute was sprayen?", fragt Namjoon mich in die aufgekommene Stille hinein, "Du hast schon länger nichts mehr gemacht." Mir ist selbst klar, dass ich die Spraydosen in meiner Wohnung seit Tagen nicht mehr angerührt habe, aber wieso sollte ich mich zu einem Graffiti zwingen, wenn ich sowieso motivationslos bin? Dann wird auch das Bild nicht schön werden.

Man muss von ganzem Herzen dabei sein, sonst wird daraus nichts, egal wie sehr man sich dann noch anstrengt. 

Also zucke ich auf seine Worte hin mit den Schultern. "Heute nicht", verneine ich leise, "Mir ist nicht danach."

Namjoon schnaubt. "Was ist los, Tae?", fragt er daraufhin nur. Ich bleibe stehen und schenke ihm einen irritierten Blick. "Was soll denn schon los sein? Darf ich nicht mal keine Lust haben, eine Wand oder so zu beschmieren?"

Der Blonde lacht leise und macht Anstalten, mir den Arm um die Schultern zu legen, bis er Tiramisu wieder entdeckt und eilig seinen Arm zurückzieht. "Ich kenne dich, Idiot", lässt er mich wissen, woraufhin ich die Augen verdrehe. "Offensichtlich. Du babysittest mich ja auch schon Jahrelang." 

"Ganz genau", meint der Ältere zufrieden und lächelt dabei, so als hätte ich die richtige Antwort auf eine schwierige Matheaufgabe gesagt, "Das heisst, ich weiss, wenn mit dir etwas nicht stimmt, Taehyung. Und jetzt sag mir, was dir im Kopf herumschwirrt. Das du mit mir raus wolltest ist das eine, aber wenn du nicht einmal sprayen willst, bedeutet definitiv, dass dich etwas beschäftigt. Was ist es, Tae?"

Ich seufze tief und starre den Asphalt zu meinen Füssen an, als ich mich langsam wieder in Bewegung setze. "Hyung...", beginne ich leise, "Bin ich wirklich asozial?"

Vermutlich ist es mehr als lächerlich, dass ich mir ständig Gedanken über Jungkooks Worte mache, aber ich kriege sie einfach nicht aus meinem Kopf. Wie er mich angesehen hat, mit so viel Verbitterung und Wut, wie einfach ihm die Worte über die Lippen gekommen sind und wie er dann einfach weg gerannt ist. Es sollte mir im Grunde egal sein, was er von mir denkt, ich sollte froh darüber sein, dass er abgehauen ist und mich nicht weiter darum kümmern, denn das ist, was ich sonst auch tue. Mit meinem Erscheinungsbild, den feuerroten Haaren und den Piercings sehe ich aus, wie die typischen, "bösen Jungs". Und dementsprechend starren mich die Leute auch immer an, wenn sie mich sehen - aber es hat mich nie wirklich gekümmert.

Und dann kommt dieser Schwarzhaarige, reiche Typ, wirft mir an den Kopf, dass ich asozial sei und ich mache mir Gedanken darüber? 

Vielleicht, weil es mir vorher noch nie jemand so offen gesagt hat. Angestarrt zu werden und es dann gesagt zu kriegen sind einfach zwei  verschiedene Dinge. 

"Wie kommst du darauf?", fragt Namjoon sichtlich überrascht von meiner Frage. Ich zucke nur mit den Schultern. Bestimmt nicht erzähle ich ihm jetzt von heute Nachmittag, damit er mich nur wieder aufzieht. "Am besten, du vergisst es einfach wieder", murmle ich leise, doch da scheint mir mein Hyung gar nicht mehr zuzuhören, denn er zischt leise: "Hey, ist das nicht der Reiche, dem du Unterricht geben sollst?"

Wie von selbst sehe ich vom Boden auf und schaue in Namjoons Richtung, der interessiert um die Ecke sieht. Mit wenigen Schritten habe ich mich neben meinen Hyung gestellt und mustere die dunkel gekleidete Person, im grellen Licht der Strassenlaterne. Und tatsächlich - es ist Jungkook.

Der Schwarzhaarige steht offenbar ziemlich unschlüssig vor einer grossen, grauen Wand eines Gebäudes und scheint sich nicht sicher zu sein, was er nun machen soll. Ich seufze tief. "Was macht er da?", zische ich leise. 

"Scheint mir so, als ob er was sprühen will", bemerkt Namjoon trocken. Ich rolle mit den Augen. "Das sehe ich auch", knurre ich leise, "Aber denkt er nicht, dass er an einem so hell beleuchteten Ort nicht viel eher erwischt wird?!"

Namjoon seufzt. "Er erinnert mich an dich", gibt er plötzlich zu. Ich weite die Augen und sehe von Jungkook zu meinem besten Freund. Der erwidert den Blick ruhig und lächelt schief. "Wieso erinnert er dich an mich?!", frage ich verwirrt, "Er ist das komplette Gegenteil von mir, oder etwa nicht?"

Er zuckt mit den Schultern. "Er wirkt genauso verloren, wie du es warst. Und er scheint genauso leidenschaftlich zu sein, wie du. Ich meine, sieh ihn dir an. Er hat keine Ahnung, aber trotzdem versucht er es."

Meine Augen huschen wieder zu dem jungen Mann, der inzwischen den Rucksack, den er mitgebracht hat, abgestellt hat und darin anfängt herumzukramen. "Na los, geh zu ihm", fordert Namjoon mich leise auf. Ich schenke ihm einen fragenden, irritierten Blick, doch erhalte darauf nur ein kleines Lächeln. 

"Gib ihm etwas von deiner Freiheit ab, Taehyung, zeig ihm, was er wissen will."

Graffiti [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt