🔱Fünfundzwanzig🔱

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Taehyung

Sachte streiche ich mit dem Daumen über das Bild und mustere die beiden Personen darauf. Es ist schon einige Jahre her, seit es gemacht wurde, etwa 7, und ich selbst hatte dort weder die roten Haare, noch auffällige Piercings, ausser einen Helix und klassische Ohrringe.

Ich halte das Mädchen, etwas kleiner und jünger als ich, fest im Arm, während ihre dunklen Augen glänzen und ein breites Lächeln ihre schmalen Lippen ziert. Wir sehen glücklich aus. 

Und vielleicht ist auch das ein Faktor, was die Erinnerung, das Bild, schmerzen lässt; die Ausgelassenheit, die Freude, die das Bild zeigt. Wir waren glücklich in diesem einen Moment, in dem wir uns da auf die Wiese gestellt haben und ich meinen Arm um ihre zierliche Taille geschlungen habe, so als wolle ich sie beschützen, vor allem schlechten, was sie in ihren viel zu jungen Jahren bereits erfahren musste. wir haben nicht an die Sorgen gedacht, die uns sonst immer im Kopf herumgeschwirrt sind, als ein Freund von uns beiden das Bild gemacht hat. 

Wir waren bloss Jugendliche, ein Bruder mit seiner Schwester, nicht mehr und nicht weniger. 

Es tut weh, das Bild zu betrachten und dennoch bringe ich es nach all den Jahren nicht übers Herz, es wegzuwerfen. Doch immerzu sehen kann ich es genauso wenig und deshalb stand es immer auf dem Kühlschrank, weil man dort erst hinsehen musste, damit man das Bild überhaupt wahrnimmt. 

Hätte er nicht etwas anderes kaputt machen können? Etwas, dass weniger schmerzt, wenn ich es sehe? Als Jungkook gesagt hat, er hat das Bild kaputt gemacht, war ich erst einen Moment lang wütend und genervt, doch als ich realisiert habe, von welchem der beiden Bilder, die ich in meiner Wohnung habe, die Rede ist, hat sich diese Wut in Schmerz verwandelt. Einmal mehr hat sich das schreckliche Gefühl durch mich hindurchgefressen und eine Leere in meinem Inneren hinterlassen, die mir beinahe schlecht werden lässt.

Wenn ich das Bild so sehe, mir die das Schwarzhaarige Mädchen in ihrem geliebten, Himmelblauen Sommerkleid und den weissen Ballerinas so ansehe, kommen in mir verschiedenste Erinnerungen hoch. Unbedeutende, kleine Dinge, doch genau die sind es, die sich in mein Gedächtnis gebrannt haben, wie ihr helles, bezauberndes Lachen, oder wie ich ihr jeden Abend, wenn sie mir eine gute Nacht gewünscht hat, einen Kuss auf die Stirn gegeben habe. 

Wie sie sich wohl gefühlt haben muss, als sie eines Morgens aufgewacht ist und realisieren musste, dass ich verschwunden bin? Wie die Angst sie ergriffen haben muss, wie sie sich vermutlich zu beruhigen versucht hat, indem sie sich selbst eingeredet hat, dass ich vielleicht nur früh aufgestanden und kurz raus gegangen bin, um dem schrecklichen Alltag zu entkommen, der uns beide beherrscht hat? Vielleicht hat sie bis zum Mittag abgewartet, ehe die Angst wieder in ihr hochgestiegen ist? Die Sorge? Ob mir was passiert ist?

Vielleicht hat sie ja nach mir gesucht? Bestimmt hat sie mich bei unseren Eltern gedeckt, mit irgendeiner schlauen Ausrede, von denen sie inzwischen so einige gehabt hat. 

Aber irgendwann hat sie es aufgeben müssen, irgendwann hat sie es einsehen müssen: Ich bin verschwunden, ohne sie, einfach so, wortlos. 

Ich will gar nicht wissen, wie meine Eltern reagiert haben, allein der Gedanke daran, wie sie sie angeschrien haben müssen, wie sie all ihren Frust und ihre Wut an ihr ausgelassen haben, weil ich ja nicht mehr da war, um es auf mich zu nehmen oder mich schützend vor sie zu stellen, lässt mir übel werden.

Zittrig atme ich aus und schliesse meine Augen, ehe sie wieder öffne und meinen Blick zurück auf das strahlende, junge Mädchen richte, die ihren Kopf auf süsse Art und Weise schief gelegt hat und zu winken scheint, während ihr anderer Arm an meinem Rücken liegt. 

Ob sie sich noch daran erinnern mag, dass ich ihr mal versprochen habe, wenn sie an der Highschool ist, mit ihr gemeinsam zum Abschlussball zu gehen? Ich kann mich daran erinnern, wie ihre Augen gefunkelt haben, als ich ihr das Versprechen gegeben habe, nachdem sie mich darum gebeten hat. Ich meine beinahe, die glückliche Wärme in meinem Inneren zu spüren, als ich ihr breites Lächeln gesehen habe. 

Aber soweit ist es nie gekommen.

Ich habe sie zurückgelassen. Und irgendwie hasse ich mich dafür, damals so egoistisch gewesen zu sein und einfach abzuhauen, ohne ein Wort an sie oder das Angebot, sie mitzunehmen. Ich habe es nicht mehr ausgehalten, doch an sie habe ich in diesem einen Moment nicht gedacht, obwohl ich das genauso hätte tun sollen. All die Jahre habe ich ihr Wohl über meines gestellt, denn meine kleine Schwester hat mir alles bedeutet, doch als ich es wirklich hätte tun sollen, habe ich sie ausser Acht gelassen. Ich habe sie sich selbst überlassen, obwohl sie immer zu mir aufgeblickt hat, obwohl sie mir stets vertraut hat und dachte, ich würde sie niemals im Stich lassen.

Doch genau das habe ich schliesslich getan. Ich bin ihr grosser Bruder und ausgerechnet ich war es, der sie letztendlich verraten hat. 

Graffiti [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt