🔱Neunundfünfzig🔱

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Taehyung

Mittlerweile ist es stockdunkel draussen und Jungkook hat längst den Nachhauseweg angetreten. Allein bin ich deswegen aber keineswegs, denn inzwischen ist Namjoon hier und sitzt am Boden des Wohnzimmers mit dem Rücken zum Sofa, sodass er sich gegen dieses lehnen kann. Ich derweil habe es mir im Sessel bequem gemacht, das Fenster geöffnet und mir eine Kippe angesteckt, während Tiramisu nach einem Gekrabbel sich schliesslich auf meinem Schoss hingelegt hat und nun friedlich dort schläft. Gedankenverloren mustere ich mein Haustier und klopfe die Asche meiner Kippe in Aschenbecher auf dem Fenstersims ab, bevor ich einen weiteren tiefen Zug nehme und meinen Kopf gegen die Lehne des Sessels lehne und dabei auch die Augen schliesse.

Ob Jungkook sich gross Gedanken darum machen wird, wie abwesend ich heute bereits wieder war? Dass er mich darauf angesprochen hat, zeigt, wie schlimm es überhaupt war und wie sehr ich darin versagt habe, mir nichts anmerken zu lassen. Ich habe die Sorge und die Fragen in seinen Augen gesehen, aber was soll ich ihm denn sagen, ausser dass er sich eben keine Sorgen machen soll?

Dass ich hin und her gerissen bin zwischen hier bei ihm bleiben oder mit Namjoon weiterzuziehen, nach Daegu? Das kann ich nicht, das würde nur sein Herz brechen. 

Ich seufze tief und neige den Kopf mit einem kleinen Ächzen von Links nach Rechts, woraufhin es etwas knackt. 

"Willst du hierbleiben?", erklingt Namjoons Stimme dann auf einmal und holt mich zurück in die Gegenwart. Seine Frage sorgt dafür, dass ich den Kopf drehe und meine Augen wieder aufschlage, um ihn anzusehen. Mein Hyung sitzt noch immer vor dem Sofa, ebenfalls eine Kippe in der Hand und mustert mich eingehend, so wie ich ihn. Ich seufze nur und zucke als Antwort mit den Schultern. "Einerseits ja, aber andererseits... das Risiko hier wird immer grösser", murmle ich dann schliesslich und fahre mir mit meiner freien Hand durch die Haare, bevor ich wieder an meiner Zigarette ziehe und den Rauch langsam ausblase. "Die Cops werden aufmerksamer und wenn wir weiter hierbleiben und sprayen könnte uns irgendwann der kleinste Fehler zum Verhängnis werden..."

Der Ältere nickt zustimmend. "Darum dachte ich, wir verschwinden langsam aber sicher wieder", erwidert er und ich nicke erneut. Er hat ja auch Recht und eigentlich hätte ich es erwarten müssen, dass wir bald von ihr abhauen, doch irgendwie habe ich es völlig vergessen - oder verdrängt, wie man es nimmt - ich war so auf Jungkook konzentriert, dass ich gar nicht darauf geachtet habe, wie die ganzen Wochen vergangen sind und wir nun an einem Punkt sind, an dem die Polizei noch mehr patrouilliert, um die zu finden, die überall in der Stadt ihre Graffiti hinterlassen - uns. 

Es ist nur logisch, dass wir wieder weiterziehen, in eine andere Stadt, so verkleinert sich das Risiko erwischt zu werden wieder auf ein Minimum. So haben wir das bis jetzt all die Jahre lang gehandhabt; wir sind etwa drei Monate in einer Stadt geblieben und sind dann weiter gezogen. Es hat uns nie Probleme bereitet, wir hatten auch nur immer uns beide, also war es egal, zu gehen.

Doch jetzt... jetzt würde ich jemanden hier lassen, den ich liebe und wenn ich doch nicht gehe, würde ich meinen besten Freund verlieren. Egal wie ich mich entscheide, irgendjemanden werde ich verlassen und das will ich nicht. Nicht noch einmal. Nicht, wenn ich doch jetzt gerade ziemlich glücklich gewesen bin. 

"Tut mir leid", seufzt Namjoon Hyung leise, wodurch ich ihn wieder anschaue und mitverfolge, wie der Ältere sich zum Kaffeetisch lehnt, wo der zweite Aschenbecher steht und dort seine Kippe ausdrückt, als er sie zu Ende geraucht hat, "Ich wollte dich nicht zwischen Jungkook oder mich stellen, Tae", sagt er währenddessen, "Ich wollte dich nicht zum entscheiden zwingen. Wir können hier bleiben, wenn du bei Jungkook bleiben willst."

Ich verdrehe die Augen und fahre mir aufgewühlt durch die Haare. Das ist nun mal auch keine wirkliche Lösung für uns. Wir haben nicht das Geld dazu, die Geldstrafe der Polizei zu bezahlen, sollten sie uns wirklich drankriegen und das Risiko, dass sie uns erwischen werden, wird grösser mit jedem Graffiti, das wir hier machen. Ich habe wirklich absolut keine Lust auf einen Eintrag in meiner Strafakte, nur weil ich ein paar triste, graue Betonwände verschönert habe. 

"Ich hab dir doch gerade eben gesagt, dass das Risiko immer grösser wird", wiederhole ich frustriert und drücke meine Kippe schliesslich auch im Aschenbecher aus. "Dann bleibt dir nichts anderes übrig als entweder mit dem sprayen aufzuhören, um hier zu bleiben, oder mitzukommen - das ist dir aber auch klar, oder?", 

Ich nicke mit einem tiefen Seufzen. Ich will nicht mit dem sprayen aufhören; es ist so ein grosser Bestandteil in meinem Leben, wenn ich damit aufhöre weiss ich bereits jetzt, dass es sich dann so anfühlen wird, als hätte ich etwas wichtiges verloren. Es bedeutet mir zu viel, als das ich es aufgeben könnte. 

"Ich will Jungkook nicht verlassen", murmle ich leise und beobachte, wie Namjoon langsam nickt und kurz nachdenklich auf seiner Unterlippe herumkaut, bevor er kurz innehält und mir dann in die Augen sieht. "Was?", hake ich leise nach. Mein Hyung neigt den Kopf und schürzt kurz die Lippen, bevor er mit den Schultern zuckt. "Und was, wenn du ihn einfach fragst, ob er mit uns kommt?"


Graffiti [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt