🔱Achtundfünzig🔱

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Jungkook

Still beobachte ich den Rothaarigen, welcher auf dem Sofa sitzt und gedankenverloren auf das Notizbuch sieht, dass er an seine angezogenen Beine lehnt, damit er darin zeichnen kann. Er kritzelt unaufhörlich darin herum und ich frage mich instinktiv, was es ist, das er dort schon die ganze Zeit lang zeichnet. Taehyung scheint seine Umgebung vollkommen ausgeblendet zu haben, so sehr ist er auf die Zeichnung vor sich fixiert und ich frage mich ebenso, ob er überhaupt realisiert, dass ich hier bin, selbst wenn er doch derjenige war, der gesagt hat, ich soll nach meiner Arbeit im Café mit zu ihm kommen.

Irgendetwas ist los; er verhält sich komisch, ist ständig in Gedanken versunken und schenkt seine Aufmerksamkeit kaum etwas anderem als seinen Gedanken. Ich wünschte nur, zu wissen, was vor sich geht, denn das ist nicht einmal seit heute so, nein, seit ein paar Tagen ist er so abwesend, wenn nicht tatsächlich seitdem ich letztes Wochenende bei ihm geschlafen habe. Die Frage ist nur; was ist es, dass ihn so aufwühlt? Was gibt ihm so zu denken, dass er man ihn manchmal dreimal ansprechen muss, bis er reagiert? 

Langsam neige ich den Kopf und und stelle das Buch, welches ich mitgebracht habe von der Uni-Bibliothek über Kunstgeschichte - wir sollen Informationen für die nächsten Vorlesungen darüber finden - und in dem ich bis gerade eben noch gelesen habe, auf meinen Knien ab, die ich genauso angezogen habe, wie Taehyung, nur das ich, nicht wie er auf dem Sofa sitze, sondern mich in den Sessel gelümmelt habe, in dem ich ihn letzten gezeichnet habe. "Tae?", versuche ich es leise, doch wie ich bereits erwartet habe, reagiert er nicht, so vertieft ist er in seine eigenen Gedanken und die Zeichnung, an der er so energisch arbeitet. 

Mit einem leisen Seufzen klappe ich meine Lektüre zu und stehe auf. "Taehyung", wiederhole ich seinen Namen lauter, während ich den Kaffeetisch umrunde und zu ihm hinübergehe. Tatsächlich gibt er diesmal Antwort, sieht kurz fragend zu mir auf. "Was ist?", möchte er wissen und hält einmal mit dem Zeichnen inne. Als ich bei ihm ankomme, umschliesse ich sein Handgelenk und neige langsam den Kopf. "Dasselbe wollte ich dich fragen", erwidere ich, "Ist alles in Ordnung?"

Der Ältere weitet überrascht die Augen und setzt sich etwas aufrechter hin, ehe er nickt. "Ja, ja, es ist alles in Ordnung", meint er, doch er klingt dabei irgendwie so durch den Wind, dass ich es ihm nicht wirklich abkaufe. "Du musst es mir nicht sagen", meine ich leise, "Aber ich hoffe, dass es sich regelt."

Ich kann erkennen, wie er die Zähne zusammenbeisst und den Blick kurz abwendet und wenn ich vorher an seiner Aussage nicht gezweifelt hätte, so würde ich es mit Sicherheit jetzt tun. Er sieht so unsicher aus und dass er meinem Blick nicht standhält, zeigt mir nur, dass ihn wohl irgendetwas ziemlich beschäftigt und eben nicht alles in Ordnung ist. Er ist ein Mensch der wohl anderen Menschen nicht in die Augen sehen kann, wenn er lügt oder er ein schlechtes Gewissen hat. Die Frage ist nur, was von beidem trifft nun zu? 

Mit einem Seufzen reisst Tae mich aus meinen Überlegungen und sieht seinerseits wieder zu mir auf, bevor er mir ein kleines Lächeln schenkt, dass ich schätze, selbst wenn es seine Augen nicht so wie immer erreicht. "Mach dir keine Sorgen", sagt er dazu bloss und ich nicke langsam, bevor ich mich neben ihn fallen lasse, um mit einem "Was zeichnest du die ganze Zeit?", einen Blick auf sein Notizbuch erhaschen zu können. "Nichts besonderes", erwidert der Rothaarige und zeigt mir die aufgeschlagenen Seite des Buches, während er einen Arm um meine Schultern legt und mich dann etwas näher an seinen warmen Körper heranzieht. Wie von selbst reagiere ich, lege meine Arme um seinen Oberkörper und lehne meinen Kopf an seiner Schulter an, während ich das Bild betrachte, an dem er schon den ganzen Abend lang sitzt.

Die eine Zeichnung ist bereits beendet, es ist ein Baum voller Blätter, doch die Zeichnung scheint eine Herbstszenerie zu sein, anfangs der besagten Jahreszeit, denn am Boden finden sich einige Blätter des Baumes und auch sind zwei gerade dabei, zu fallen. Fasziniert lasse ich meinen Blick über das Bild wandern. "Es ist toll, Taehyung", murmle ich leise und frage mich dabei innerlich, wie seine Eltern sein Talent nicht wertschätzen konnten damals? Er ist so talentiert, das zeigt allein diese Bleistiftskizze. "Danke", erwidert er nicht minder lauter und als ich vom Buch absehe, um zu ihm aufzublicken, kann ich erkennen, dass er bereits wieder in Gedanken versunken ist. Sein Blick liegt weder auf mir noch auf seiner Zeichnung, sondern in der Ferne und er beisst nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. Was bereitet ihm nur solches Kopfzerbrechen? 

"Hey", entkommt es mir und ich lege eine Hand an seine Wange, um seinen Kopf so zu mir zu drehen und seine Aufmerksamkeit wieder zu kriegen. "Was hältst du davon, wenn wir Pizza bestellen?", frage ich, woraufhin er erst irritiert die Augenbrauen zusammenzieht, denn die Frage ist tatsächlich etwas Kontextlos, doch dann lacht er leise und zuckt mit den Schultern. "Von mir aus, wenn du Hunger hast - lass uns Pizza bestellen."

Auch meine zweite Hand findet den Weg an seine andere Wange und ich ziehe ihn etwas zu mir, um ihn zu küssen. Lange währt es nicht, nur kurz drücke ich meine Lippen auf seine und merke mit einem warmen Gefühl in meiner Brust, wie Taehyung sanft erwidert, bevor ich mich auch bereits wieder von ihm löse und meine Augen aufschlage. Ich schenke ihm ein tröstendes, aufmunterndes Lächeln und streichle mit den Daumen seine Wangen. "Zerbrich dir nicht so sehr den Kopf darüber, Taehyung..."

Graffiti [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt