Kapitel 21 - Freier Fall

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Es war der erste Samstag im Mai und die Lerngruppe setzte das Wochenende über aus, damit alle mit ihren Hausaufgaben hinterherkamen, die sie während der Treffen nicht fertigbekommen hatten. Ich saß in der Bibliothek, als Ethan durch die Tür spazierte und mich anstrahlte. 

„Hey, Streberin." Er setzte sich zu mir.

„Nichts zu tun?", fragte ich und klappte mein Buch zu. Der Text war zu knifflig, als dass ich ihn lesen könnte, wenn mich jemand von der Seite her anquatschte. 

„Oh, genug zu tun. Aber nicht heute. Du solltest mit mir rausgehen, für eine Stunde oder zwei. Du wirst sonst noch zur Ravenclaw." 

Ich seufzte. „Die Ravenclaws büffeln nicht jeden Tag wie Irre. Das tun alle anderen. Die Ravenclaws haben vor Monaten mit dem Lernen angefangen und wiederholen jetzt nur noch zum Spaß." 

Er grinste. „Komm schon. Das Quidditchfeld ist leer und ich vermisse es, mit dir zu spielen." 

Damit hatte er natürlich genau das richtige gesagt. Ich packte mein Zeug ein, schulterte meine Tasche und folgte ihm aus der Bibliothek. 

„Warum ist das Feld eigentlich frei?", wunderte ich mich auf dem Weg in die Eingangshalle. „Bald spielt doch Gryffindor gegen Ravenclaw, sollten die nicht trainieren?" 

Ethan zuckte die Schultern. „Gryffindor hat den Pokal eigentlich sicher, also warum sich noch anstrengen? Hufflepuff hatte das Feld heute Vormittag, Slytherin hat es morgen, soweit ich weiß. Hat Ginny mir verraten." 

Er holte die Ballkiste, während ich mein Zeug auf der Tribüne ablegte. Wir übten Torwürfe und Pässe, ganz entspannt und einfach nur zum Spaß. Es tat gut endlich wieder zu fliegen und ich war sehr dankbar für seinen Vorschlag und für seine Beharrlichkeit. 

Als wir gerade nebeneinander an der Längsseite des Feldes entlangflogen, um Pässe über kurze Entfernungen zu üben, sagte Ethan: „Weißt du, ich hab das Gefühl, dass ich wirklich besser geworden bin, seit ich in deinem Team spiele." 

„Du bist besser geworden", bestätigte ich. Talent fürs Quidditch hatte er wohl schon immer gehabt, aber das kann sich nicht entfalten, wenn man immer allein trainiert. Man braucht andere Spieler. 

„Deswegen hab ich überlegt, ob ich nächstes Jahr wieder zu den Auswahlspielen für die Hausmannschaft gehen soll", fuhr Ethan fort und schaute mich an, ohne Anstalten zu machen, den Quaffel zurückzuwerfen. 

Der Gedanke versetzte mir einen kleinen Stich. Ich spielte gern mit ihm zusammen und die Vorstellung ihn an die Gryffindormannschaft zu verlieren war alles andere als angenehm. Aber ich verstand ihn natürlich. Ich hatte selbst das ganze Jahr über immer wieder versucht in unsere Hausmannschaft zu kommen, aber das würde niemals passieren. Ethan hatte eine reelle Chance. Und ich würde ihn nicht davon abhalten in einem echten, kompetitiven Team zu spielen. 

„Das ist toll", sagte ich also so ehrlich wie möglich. „Ich komm zum Spiel und feuere dich an." 

Er grinste schief und passte endlich den Quaffel zurück. „Eigentlich will ich gar nicht mehr ins Gryffindorteam. Ich will mit dir zusammenspielen, alles andere ist ... nicht so wichtig." 

Ich sagte nichts, weil mir nichts dazu einfiel. Ich flog einfach voraus und wir gingen dazu über, Torwürfe zu trainieren. Es war kein ernsthaftes Training, wir versuchten uns immer wieder an verrückten Manövern oder Sachen, die wir mal bei professionellen Spielern gesehen hatten. 

Ethan probierte den Quaffel mit dem Fuß durch den Torring zu schießen, was ziemlich daneben ging. Ich fing den Ball auf, als er ihn zu mir warf, flog auf die Tore zu, ging kurz vorher in einen Looping und warf ihn, als ich über Kopf am Besen hing. Mit zerzausten Haaren sah ich gerade noch, wie der Quaffel genau durch den mittleren Ring flog und dann mit einem dumpfen Geräusch im Sand unter den Torringen aufkam. 

SlytherinherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt