Kapitel 6: Wer bist du?

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Wir fuhren eine Weile lang schweigend. Ich sah teilnamslos aus dem Fenster, Alessandro hatte seinen Blick auf die Straße gerichtet und Riccardo wippte mit den Beinen auf und ab, während er auf dem Armaturenbrett herumtrommelte. Er schien ein ziemlich unruhiger Typ zu sein.

"Wie heißt du eigentlich?", durchbrach Alessandro plötzlich die Stille.

"Wer, ich?", fragte ich erschrocken.

Warum redete er so freundlich mit mir, ich hatte versucht ihn umzubringen?

"Natürlich du, seinen eigenen Bruder wird er ja wohl kaum nach seinem Namen fragen!", meinte Riccardo zynisch. 

"Avery Swan."

Im nächsten Moment hätte ich mir auf die Zunge beißen können. Was für eine Killerin war ich eigentlich? Ich konnte doch nicht dem Typen, der mich entführt hatte, nachdem ich versucht hatte ihn umzubringen meinen Namen sagen!

Avery Swan. Ich hatte mir geschworen, diesen Namen niemals wieder zu benutzen.

"Schöner Name. Und du bist also aus New York?"

Was sollte das jetzt werden? Small Talk mit einer Mörderin? Ich wurde nicht schlau aus Alessandro. Warum hasste er mich nicht? Riccardo verdrehte nur die Augen, schüttelte den Kopf und holte ein IPhone aus seiner Jacke. Dann setzte er sich Kopfhörer auf und ließ mich und Alessandro mit unserer Konversation alleine. 

"Ja, ich bin aus New York. Ich habe nie irgendwo anders gelebt.",  beantwortete ich seine Frage.

"Und du?", fragte ich und erwartete nicht wirklich, dass er antworten würde.

"Ich bin aus Italien.", antwortete er und sein Blick bekam etwas verträumtes. Offenbar liebte er seine Heimat sehr. Alessandro war insgesamt allen Anscheins nach einer von den Guten Menschen. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wer ihn tot sehen wollte und warum.

"Danke. Und ich habe mehr Feinde als du denkst. Ich hatte allerdings nicht angenommen, dass sie sich dir zu erkennen geben. Du bist eigentlich in meinen Augen das Opfer bei der ganzen Sache.", sagte er mit einem schiefen Lächeln.

Ich wurde rot.

"Habe ich laut gedacht?"

Er nickte und grinste als er meinen Gesichtausdruck sah.

"Ich bin aber nicht das Opfer in dieser ganzen Geschichte. Ich bin ein Täter, kein Opfer.", antwortete ich dann entschieden.

Er zuckte die Achseln.

"Für mich nicht. Aber ich hätte eine Frage. Du musst nicht antworten, wenn du nicht willst. Das ist vermutlich kein leichtes Thema für dich.

Wie wird ein nettes Mädchen wie du zur Killerin?"

Ich presste meine Lippen aufeinander. Ich hatte zwar das verrückte Bedürfnis, ihm alles zu sagen, aber um auf diese Frage aufrichtig zu antworten war ich einfach noch nicht bereit. Außerdem hatte ich sowieso schon zu viel Gesagt.

"Das eine hat eben irgendwie zum anderen geführt. Aber geplant hatte ich das nicht. Ich schätze, das tun die wenigsten."

"Mehr, als du vielleicht denkst. Ich habe Menschen gesehen, die töten aus Spaß am töten."

Das überraschte mich ziemlich. Alessandro machte nicht den Eindruck, als würde er sich viel mit Killern abgeben. Und es nagte immer mehr an mir zu erfahren, wer ihn töten wollte und warum.

"Oh, ich habe einige sehr mächtige Feinde. Und der erste Eindruck kann trügen.", sagte er eine Spur zu lässig.

"Habe ich wieder laut gedacht?"

"Nein. Aber dein Gesichtsausdruck spricht Bände.", antwortete er mit einem Matten lächeln.

Ich sah ihm in die Augen. Sie wirkten geheimnisvoll und tief und außerdem ziemlich erschöpft und müde. Ich kannte diesen Blick. Es war der Blick von Menschen, die mehr gesehen hatten, als es Menschen gut tut. Ich brannte vor Neugier, was es mit Alessandro di Lauro auf sich hatte.

"Wer bist du?", fragte ich ihn gespannt. Er zog seine Augenbrauen hoch.

"Alessandro di Lauro? Ich dachte, du wüsstest das.", meinte er verwirrt.

Ich schüttelte den Kopf.

"Nein, ich meine wer bist du, warum hast du mächtige Feinde und warum sollte ich dich töten?"

"Das sind ganz schön viele Fragen. Das wird ein bisschen kompliziert zu erklären."

"Ich habe aber noch mehr Fragen. Wohin fahren wir, Was machst du mit mir und warum hasst du mich nicht?"

"Wieso sollte ich dich hassen? Ich bin den ganzen Tag von Killern und Mördern umgeben und viele davon sind eigentlich gute Menschen."

Ich sah ihn neugierig an. Er war den ganzen Tag von netten Killern umgeben? Wer war er nur?

"Und was machst du mit mir?", fragte ich.

"Ich unterhalte mich mit dir. Und ich muss zugeben, ich genieße es."

Er drehte sich zu mir um und zwinkerte mir zu. Ich konnte spüren, wie ich rot wurde. Was war nur mit mir los?

"Den Rest erkläre ich dir während dem Flug, Okay?"

Moment, Flug? Ich bekam Panik. Ich hatte noch nie zuvor New York verlassen und der Gedanke, sich in ein Flugzeug zu setzten und wegzufliegen schockte mich. Und doch spürte ich unter aller Angst auch ein bisschen Neugierde. Ich hatte erst eine einzige Stadt von der ganzen Welt gesehen. Und außerdem, was hatte ich zu verlieren?

"Ist alles in Ordnung bei dir? Du siehst blass aus.", fragte Alessandro besorgt.

Ich riss mich zusammen. Das erste, was ich als Killerin gelernt hatte, war mir keine Schwäche anmerken zu lassen. Ich nickte also und lächelte sogar ein bisschen. Es fühlte sich fremd für meine Lippen an, zu lächeln.

"Gut wir sind fast da. Ric? Riccardo?"

Alessandro verdrehte die Augen, als er sah, dass Riccardo eingeschlafen war.

"Kannst du bitte mal auf die Playtaste an seinem Kopfhörer drücken? Ich muss mich grade auf den Weg konzentrieren, sonst verfahre ich mich noch."

Ich streckte meinen Arm aus und drücken auf den Knopf am Kabel seines Kopfhörers. Sofort begann laute Rockmusik aus dem Kopfhörer zu spielen. Riccardo zuckte heftig zusammen und fuhr ruckartig hoch.

"Fuck, seid ihr wahnsinnig?!", brüllte er und sah sich panisch nach beiden Seiten um. Alessandro begann zu lachen und sogar ich musste ein bisschen grinsen.

"Du bist so bescheuert, Alessandro", zischte Riccardo mit zusammengebissenen Zähnen.

Alessandro grinste.

"Wir sind fast da. Ich habe keine Ahnung, wo Carnevare mit dem Flugzeug wartet, du hast mit ihm telefoniert."

"Die nächste Abfahrt rechts in den Wald, dann gerade aus, Blödmann", knurrte Riccardo.

Einige Minuten später bogen wir in ein Waldstück. Nach ein paar Metern, sah man, dass der Wald innen eigentlich kein Wald war, es gab keine Bäume sondern geteerte Lande- und Abflugbahnen. In der Mitte stand ein kleineres Flugzeug bereit und davor stand ein Mann, der fröhlich winkte.

Wir hielten an und Riccardo stieg sofort aus. Alessandro drehte sich zu mir um und machte meine Fesseln los. Ich sah ihn verwundert an und er lächelte. Er schien mir aus irgend einem Grund zu vertrauen. Riccardo zog skeptisch eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also stieg ich einfach aus dem Auto und stellte mich zu den Brüdern.

Ich massierte gerade meine Handgelenke, als ich ein unverwechselbares Geräusch hörte.

Ein Schuss.

Ich fuhr herum und sah, wie der Mann, der vorher noch fröhlich gewinkt hatte, zu Boden ging.

Don't Mess With The MafiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt