Kapitel 9: Mafiaboss

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"Ihr seid Was?!", fragte ich geschockt.

"Mafiosi", murmelte Alessandro ohne mich anzusehen.

Ich dachte an den gefährlichen Ruf, den die Mafia in der New Yorker Kriminellenszene hatte. Und ich war gerade dabei, mit zwei von ihnen in ihr Heimatland zu fliegen.

Leg dich nicht mit der Mafia an., hatten immer alle anderen Kriminellen gesagt. Die sind überall, da kannst du nur verlieren. Und sie können dich alles verlieren lassen.

Das hatte ich ja wirklich wunderbar geschafft. Allerdings war Alessandro bis jetzt die ganze Zeit über freundlich gewesen und hatte mir nichts getan, obwohl ich ihn fast erschossen hatte. Das schien nicht in das klassische Vorurteil eines Mafioso zu passen.

Ich sah in unauffällig von der Seite an. Welche Gründe hatte ich ihm zu vertrauen? Immerhin mehr Gründe als er hatte, mir zu vertrauen und dennoch schien er es zu tun. Außerdem hatte ich gar nichts zu verlieren. Allerdings war Vertrauen nicht so meine Stärke. War es nie gewesen.

Nicht mal, als ich noch ein richtiges Mädchen gewesen war, in einem richtigen Haus mit einer richtigen Fam- STOP.

Ich zwang mich, mich wieder auf die ganze Lage zu konzentrieren.

Ich wusste viel zu wenig über die Lage, in die ich mich reinmanövriert hatte. Ich musste versuchen, mehr herauszufinden.

"Mafiaboss also. Erzähl mal, wie wird man Mafiaboss?", fragte ich möglichst cool an Alessandro gewandt.

"Man tötet viele dumme Killerschlampen, die zu viel wissen und zu viel fragen.", antwortete mir Riccardo ironisch.

Alessandro verdrehte die Augen.

"Man übernimmt entweder gewaltsam einen Clan, oder man wird von einem höheren Mafioso eingesetzt, oder man erbt den Titel.", erklärte er. Das hörte sich eigentlich ganz interessant an.

"Und wie hast du es geschafft?" Ich sah ihn an und versuchte mir vorzustellen, wie er in einem blutigen Zweikampf die Macht an sich riss. Ich konnte es mir fast nicht vorstellen.

"Ich habe es geerbt."

Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. "Erzählst du mir die Geschichte?" Alessandro nickte zögerlich. Riccardo warf mir einen hasserfüllten Blick zu und setzte wieder seine Kopfhörer auf. Er schien die Geschichte nicht hören zu wollen. Oder er wollte nicht, dass ich sie hörte.

"Also", fing Alessandro an. "Meine Familie, die di Lauros, sind schon seit der Gründung der Mafia ein bedeutender Mafiaclan. Und seit dem sind sie mit den Falcones verfeindet. Seit Generationen bringen beide Familien sich gegenseitig um, ohne den anderen jemals wirklich zu besiegen, ein ewiges hin und her. Und als vor einem halben Jahr mein Vater bei einem von ihren Anschlägen getötet wurde, war ich eben dran."

Ich sah in seinen Augen, dass das ein schwierigeres Thema für ihn war, als er zugab. Ich kannte mich mit schwierigen Themen aus, mein halbes Leben bestand aus schwierigen Themen.

"Wieso ist nicht dein Bruder Mafiaboss geworden? Er wirkt viel mehr wie einer. Ist das weil du älter bist?" Alessandro sah mich an, als wäre ich verrückt.

"Das wäre ein Albtraum. Der Clan würde keinen Monat bestehen mit Riccardo als Anführer. Er würde vermutlich mit irgendeiner verrückten Angriffsstrategie die Falcones angreifen und gnadenlos vernichtet werden. Und keiner würde den Befehlen eines Sechzehnjährigen folgen. Außerdem wurde er nie darauf vorbereitet, es war immer klar, dass ich den Titel erbe."

"Weil du der Älteste von euch bist?"

"Ja. Also naja, ich bin der Älteste, aber wir haben noch eine ältere Schwester. Aber die interessiert sich nicht besonders für die Führung eines Mafiaclans. Außerdem wäre es ein wenig....ähm...untypisch, wenn der di Lauro Clan von einem Mädchen geführt werden würde."

Ich funkelte ihn an.

"Mafiosi und dann auch noch Sexisten?" Er sah mich erschrocken an und begann hastig Entschuligungen zu stammeln.

Ich brach in Gelächter aus. "Hast du wirklich gedacht, ich wäre so empfindlich?" Lachen war immer noch eine fremde Sache in meinem Gesicht, aber es tat mir gut. Alessandro sah mich erst einen Moment irritiert an, dann stimmte er in mein Lachen ein. Ich mochte sein Lachen. Es erinnerte mich aus irgendeinem Grund an Regen. Ich beobachtete ihn eine Weile beim Lachen.

"Wieso lachst so? Das war nicht mal witzig.", fragte ich ihn.

"Du hast ja auch gelacht. Und vielleicht ist es für verzweifelte wichtig, zu lachen."

"Bist du verzweifelt?", fragte ich überrascht. Er zuckte die Achseln.

"Nein. Ich bin nicht verzweifelt. Aber du." Ich biss die Kiefer aufeinander.

"Woher willst du das wissen?", sagte ich kalt.

"Ich sehe es in deinen Augen." Mir fiel auf, das er sich von seinem Platz gegenüber von mir relativ weit zu mir rübergebeugt hatte. Außerdem, hatte er recht? War ich verzweifelt? Nein, das hatte ich schon hinter mir. Jetzt war ich einfach nur noch zerbrochen. Und ich durfte mir keine Hoffnung machen.

"Ich bin nicht verzweifelt. Ich habe Angst.", sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. Was war das denn für ein Satz gewesen. Seit wann hatte ich Angst?

"Musst du nicht. Hey, ich verspreche dir, dir wird nichts passieren." Er strich mir vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Meine Haut fing an zu kribbeln, wo er mich berührt hatte. Als würde ich auftauen.

"Ihr seht zwar gerade wirklich wahnsinnig beschäftigt aus, aber nur so zu eurer Information, wir landen gleich.", blaffte Riccardo plötzlich. Ich zuckte sofort weg von Alessandro, ich hatte vollkommen vergessen, dass Riccardo auch im Raum war.

"Kannst du nicht klopfen?", fuhr Alessandro ihn an.

"Wir sind im selben Raum, waren wir die ganze Zeit. Wir sind im Flugzeug, falls du das vergessen hast. Wir landen in vier Minuten, ihr solltet euch jetzt anschnallen."

"Ach so, natürlich, Flugzeug. Äh, hast du die anderen kontaktiert? Mein Auto steht noch in Rom."

"Ja hab ich, du warst ja offensichtlich beschäftigt."

Wir schnallten uns alle an und kurz darauf begann das Flugzeug sich zu drehen und dann bergab zu fliegen. Ich bekam ein flatterndes Gefühl im Magen und begann, hektisch auf dem Kaugummi zu kauen. Das Gefühl wurde immer schlimmer und ich war das fliegen immer noch nicht gewöhnt. Dann hörte es plötzlich auf und die Brüder standen beide auf.

"Wir sind gelandet, steh auf", meinte Riccardo genervt.

Ich sah Alessandro unsicher an, der mir zunickte. Ich stand auf und folgte den beiden auf wackeligen Beinen durch die Tür.

Die Luft fühlte sich anders an, als ich es gewöhnt war, irgendwie wärmer und weicher. Und es roch fremd, nach Salz und wilden Pfirsichen.

Auf dem Flugplatz warteten schon einige Leute auf uns. Ich sah einige bewaffnete Männer und ein Mädchen, das sich mit ihren High Heels und ihrem Minikleid deutlich von den Männern abhob.

Als sie uns erblickte, rannte sie los und umarmte zuerst Riccardo dann Alessandro. Schließlich blieb sie vor mir stehen und musterte mich abschätzend. Sie zog die Augenbrauen hoch.

"Mann, Alessandro wen hast du denn da schon wieder abgeschleppt?"

Alessandro verdrehte die Augen.

"Das ist meine Schwester, Giulia. Sie meint das nicht ernst.", stellte Alessandro sie vor. Man sah Giulia an, dass sie Alessandros Schwester war, sie hatte einen ähnlichen edlen Gesichtsschnitt und die selben schwarzen Haare wie Alessandro und braune Augen wie Riccardo. Sie grinste mich an.

"Hi, Avery! Ich hab schon viel von dir gehört. Das eben war übrigens ein Witz. Alessandro hat kein Liebesleben."

"Giulia! Das stimmt überhaupt nicht", protestierte Alessandro.

"Jajaja, sicher. Können wir jetzt fahren, ich steh hier auf zehn Zentimeter Guccis, nicht sehr angenehm."

"Moment, wohin fahren?", fragte ich erschrocken. Giulia grinste.

"Jetzt, Avery, jetzt zeige ich dir, wie die böse, gefährliche, große Mafia wohnt"

Don't Mess With The MafiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt