Kapitel 23: Zäh und Entschlossen

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Ich betrachtete kritisch mein Spiegelbild. Ich sah inzwischen wirklich sehr verändert aus, die Augenringe waren noch mehr zurückgegangen, meine Hautfarbe konnte man inzwischen sogar als gesund bezeichnen und ich hatte mir für diesen Tag die rote Farbe aus den Haaren entfernen lassen und war wieder zu meiner Naturhaarfarbe, Dunkelbraun, zurückgekehrt. "Avery!", kam es hektisch von Giulia. "Du siehst toll aus. Können wir jetzt gehen?" Ich wusste, dass wir los mussten, aber ich wollte am liebsten für den Rest meines Lebens vor diesem Spiegel stehen bleiben, um nicht zu diesem Treffen gehen zu müssen. "Du triffst dich doch nur mit deiner Tante", meinte Riccardo, der gar nichts zu verstehen schien, angenervt. Ich seufzte, für Riccardo, der fünf Tanten und sechs Onkel hatte, mochte das vielleicht unverständlich sein, aber für mich war das nicht nur meine Tante. Es war eine Verwndte, von der ich bis vor Kurzem gar nicht wusste, dass sie existierte, es war die Schwester meines toten Vaters, und es war außerdem schon über drei Jahre her, dass ich das letzte Mal Verwandte gesehen hatte.
Ich blickte noch ein letztes Mal auf mein unsicheres Gesicht im Spiegel, dann verließ ich das Haus und folgte den anderen ins Auto. Wir waren heute nur zu dritt, Alessandro hatte leider wieder irgendein wichtiges Treffen und Daniel war mitgefahren um ihn zu unterstützen. Giulia würde mich zum Haus der Carnevares, wo Annabella lebte, fahren und dann ihre Mutter besuchen. Riccardo würde mich begleiten, weil Alessandro darauf bestanden hatte. Sowohl Riccardo als auch ich waren eher genervt davon, weil ich nicht fand, dass ich den Schutz eines Sechzehnjährigen brauchte und Riccardo nicht fand, dass es unter seinen Aufgabenbereich viel die Freundin seines Bruders, eine ebenfalls sechzehnjährige Ex-Killerin zu beschützen.
Giulia fuhr wieder so unverantwortlich wie die letzten Male und ich fing an mich zu fragen, ob sie überhaupt einen Führerschein hatte. Riccardo meinte, das wisse niemand so genau.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir an eine Mauer, die den Rand eines Anwesens zu markieren schien. Am Tor sah ich bewaffnete Männer stehen, die langsam ihre Maschinengewehre hoben, als sie uns kommen sahen. Beim Anblick der Schusswaffen griff ich aus einem Reflex heraus sofort nach meiner Pistole. Ich griff natürlich ins leere, ich würde zwar nicht unbewaffnet einen Mafiasitz betreten, aber es wäre keine friedfertige Geste einen Pistolengürtel um die Hüften zu tragen, sowie ich es früher getan hätte. Seitdem ich bei der Mafia lebte, hatte ich viel über kleine, versteckte Waffen gelernt. Einer von den Männern trat vor und Giulia ließ alle verdunkelten Fensterscheiben herunter, sodass sie in den Wagen sehen konnten. Der Mann schien Giulia zu erkennen, denn er nickte und wies uns an, den Wagen zu verlassen. Während Giulia uns noch einmal zuwinkte und dann fuhr, führte er Riccardo und mich auf das Haus zu. Ich war etwas irritiert von der Mauer und den bewaffneten Wachen, bei den di Lauros hatte ich zwar auch welche gesehen, aber nie so militärisch, und sie bewachten auch nicht Rund um die Uhr die Mauer. "Du findest das mit der bewachten Mauer sicher komisch", meinte Riccardo, der wohl meinen Blick gesehen hatte. "Komisch? Nein, eigentlich eher einschüchternd." "Sie müssen das machen, weil ihr Haus älter ist. Es hat nicht die ganzen Sicherheitsvorkehrungen die unseres hat, deswegen müssen sie sich anders schützen." Ich sah mir das Haus genauer an. Es wirkte sehr alt, fast wie ein Schloss. Kein Wunder, dass es angeblich schwerer zu verteidigen war. Innen war es allerdings sehr modern und stilvoll eingerichtet, offenbar wollten die Carnevares mit der Zeit gehen. Eine Sekretärin führte uns einige Treppen und Gänge entlang, bis wir an eine große Tür zu einer Art Büro kamen. Auf einem kleinen goldenen Schildchen neben der Tür stand der Name Annabella Carnevare, und ich erinnerte mich an die goldenen Schildchen unter den Porträts in der Casa della Mea. Die Sekretärin drehte sich zu uns um und zupfte nervös an einer Haarsträhne herum, die sich aus ihrem strengen Dutt gelöst hatte. "Signora Carnevare wünscht Signorina della Mea alleine zu sprechen. Wenn sie mir bitte folgen wollen, Signor di Lauro?" Ihr Englisch hatte einen starken Akzent, war aber vollkommen flüssig. Riccardo sah mich fragend an. Ich wollte zwar eigentlich auf keinen Fall alleine sein, winkte dann aber ab und meinte: "Geh, ich komm schon klar." Er zuckte die Schultern und ging mit der Sekretärin. Ich stand etwas verloren alleine auf dem Gang und sah mich um. An den Wänden hingen moderne Kunstwerke und der Boden war mit kaltem Marmor bedeckt. Auch diese Familie schien überaus reich zu sein. Ein Bild stach mir irgendwie ins Auge, es zeigte einen Jungen, vielleicht sechs, sieben Jahre alt, der strahlend lächelte. Aber sein Schatten, der sich hinter ihm an der Wand abzeichnete ragte goß und bedrohlich über ihn hinweg, es war der Schatten eines erwachsenen Mannes, der eine Pistole in seiner Hand hielt. Ein Schauder durchfuhr mich, dieses Bild war sehr verstörend für mich. Mir tat der Junge wahnsinnig leid. Er hatte ja keine Ahnung.
"Boun Giorno, Signorina!" Ich riss mich von dem Bild los und fuhr herum. Aus der Tür zu Annabella Carnevares Büro war eine weitere Sekretärin getreten, die mich breit anlächelte. Ich konnte sehen, dass sie etwas Lippenstift auf den Zähnen hatte. "Signora Carnevare empfängt sie jetzt!", meinte sie immernoch strahlend und wies zur Tür. Zögernd ging ich zur Tür und legte die Finger an den Griff.
"Nur zu, keine Angst, die Signora ist eine ganz wunderbare Frau!"
Ich nickte und betrat den Raum, hauptsächlich, weil ich das Dauergrinsen der Sekretärin beunruhigend fand.
Annabella Carnevare saß in ihrem großen, schwarzen Schreibtischstuhl an dem Tag, an dem ich sie das erste mal sah. Sie war sehr seriös und elegant gekleidet mit einem Hosenanzug und einer Bluse, sodass ich mir in Jeans und einem einfachen Pullover lächerlich vorkam. Ganz aufrecht und gerade saß sie da, mit dem Rücken zu mir, und sie trommelte mit den Fingernägeln au der gläsernen Tischplatte herum. Ich hielt das für ein Zeichen der Ungeduld, aber später fand ich heraus, dass das einfach nur eine Angewohnheit von ihr war, ähnlich wie Nägelkauen bei anderen.
Als sie mich kommen hörte, drehte sie sich mit ihrem Drehstuhl zu mir um, erhob sich und ging dann wieder sehr aufrecht auf mich zu und schüttelte mir die Hand. "Domenica! Wie schön, dich endlich kennen zu lernen! Du siehst aus wie Angelo!" Ich starrte sie zuerst etwas perplex an, erwiderte dann aber ihren Händedruck. Ich brauchte einen Moment um zu begreifen, dass sie mit "Angelo" meinen Vater meinte. Ich fand eigentlich nicht, dass ich ihm ähnlich sah, aber aus irgendeinem Grund freute es mich, das zu hören. Sie währenddessen hatte einige ziemlich offensichtliche Gemeinsamkeiten mit ihrem Bruder, die dichten, dunklen Haare, die relativ hohe Stirn und die große, athletische Statur.
"Bitte, setz dich doch!", forderte sie mich auf und wies auf eine Couch. Zögernd setzte ich mich und sie tat es mir gleich. "Das grenzt ja fast schon an ein Wunder, auf welch bemerkenswertem Weg du wieder in deine Heimat zurückgefunden hast!" Ich fand eigentlich nicht, dass das hier meine Heimat war. Ich fand nicht einmal, dass ich überhaupt eine Heimat hatte. Im Moment wollte ich einfach nur dort sein, wo Alessandro war. "Die di Lauros sind wunderbare Leute, schon seit langem unsere Verbündeten. Ein Glück, dass sie dich aufgegabelt und aus dieser Stadt weggebracht haben." Sie rümpfte die Nase, als würde sie der Gedanke an New York stören. "New York ist eigentlich nicht schlimm", meinte ich um die Stadt, in der ich den Großteil meines Lebens verbracht hatte zu verteidigen. Annabella lachte. "Du bist wie Angelo! Er liebte diese Stadt von dem Moment an, in dem er sie das erste Mal betreten hatte. Die Strömungen, die Freiheit, die Zukunft, dass war, was ihm so gut an New York gefiel. Ich habe das nie verstanden, für mich war der beste Ort immer hier, wo wir unser Haus und unseren Clan hatten. Wusstest du, dass Angelo sogar seine Hochzeitsreise mit Concetta in New York verbracht hat?" Ich shüttelte den Kopf, meine Eltern hatten fast nie von Vergangenem geredet. Annabella sah mich einen Moment lang interessiert an und begann dann, weiter zu reden. "Hier, ich wollte dir zuerst einmal das hier zeigen." Sie holte ein Foto hervor. Das Foto war ein wenig zerknittert, aber man erkannte noch sehr gut das Motiv. Das Foto zeigte drei Personen, die lächend in die Kamera sahen, einen gutaussehenden Jungen in meinem Alter, ein Mädchen, vielleicht siebzehn oder Achtzehn Jahre alt, das mit herausforderndem Blick den Betrachter direkt ansah und ein jüngeres Mädchen, zwölf oder dreizehn, um das der Junge seinen Arm gelegt hatte. "Und, wer glaubst du könnte das sein?", fragte Annabella. Ich sah sie an. "Bist du das? Und Dad und eure jüngere Schwester?" Annabella nickte. "Si, das sind wir. Ich weiß noch, wie das aufgenommen wurde, ich war achtzehn, Angelo sechzehn und Francesca war zwölf. Das war an ihrem Geburtstag, vier Jahre und zwei Monate vor ihrer Diagnose." Annabellas Blick bekam etwas bitteres. "Diagnose?", fragte ich vorsichtig. "Sie hatte Krebs, oder?" Annabella presste die Lippen einen Moment lang aufeinander, lächelte dann aber und nickte. "Darmkrebs. Sie ist mit neunzehn daran gestorben, drei Monate nachdem unser Vater einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte. Angelo war gerade erst Anführer geworden und Francescas Tod hat ihn damals wirklich aus der Bahn geworfen. Aber dann lernte er ja deine Mutter Concetta kennen und alles wurde gut." Sie lächelte, auchwenn ein bitterer Unterton in ihrer Stimme lag. "Hat es dich damals aus der Bahn geworfen?" Annabella sah mich einen Moment lang überrascht an, warf dann den Kopf in den Nacken und begann laut zu lachen. Ich war ziemlich irritiert, warum lachte sie wenn sie gefragt wurde, ob der Tod ihrer jüngeren Schwester sie mitgenommen hatte? Ich war nach Amys Tod am Boden zerstört gewesen und ich war mir sicher, andersherum wäre es auch so gewesen.
"Ich habe es mir nicht geleistet, länger als eine Woche zu trauern. Irgendjemand musste ja den Clan leiten. Und so sind wir della Mea Frauen nun mal. Zäh und entschlossen, da sage ich dir sicher nichts neues!" Ich wusste nicht genau, ob ich mich damit identifizieren konnte. Plötzlich stand Annabella schwungvoll auf und hielt mir das Foto hin. "Hier, behalt es. Ich brauche es nicht mehr." Ich steckte es sofort in meine Tasche zu der Buntstiftzeichenung aus dem alten Kinderzimmer und der abgebrochenen Klaviertaste aus der Casa della Mea. Das waren die wertvollsten Besitztümer, die ich besaß. "Nun!", meint Annabella und wippte dynamisch auf ihren Zehenballen. "Jetzt zeige ich dir etwas interessantes!" Sie grinste und hielt mir ihre Hand hin. "Jetzt zeige ich dir was es heißt, eine della Mea zu sein." Ich zögerte einen kurzen Augenblick, dann nahm ich ihre Hand.

Hey, ihr Lieben, hier kommt wiedermal ein Update. Danke, dass ihr es gelesen habt! Ich muss zugeben, das mit dem Updaten hat etwas länger gedauert als geplant, aber ich musste ein bisschen draran tüfteln, wie ich Annabella in die Geschichte einführen soll und bin auch nicht sicher, ob ich zufrieden damit bin. Ansonsten will ich mich dafür bedanken, dass diese Geschichte jetzt ganze 2K Votes hat. Ihr seid echt die Allerallerbesten. Danke auch für all die Adds und lieben Kommis, die ihr der Geschichte gebt, ihr glaubt gar nicht, wie motivierend das für mich ist.
Ich wünsch euch was,
Liz

Don't Mess With The MafiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt