Das Porträt war die Arbeit eines Meisters, leuchtende Ölfarben auf einer großen Leinwand, die ein Bild genau wie ein Foto ergaben. Aber das einzige, wofür ich Augen hatte war das Motiv. Das Bild zeigte eine Vierköpfige Familie, zwei Eltern und ihre Töchter.
Meine Eltern und meine Schwester. Jünger als in meinen Erinnerungen, aber trotzdem unverkennbar. Und unübersehbar glücklich. Mir wurde schwindelig und schwarz vor Augen.
Reiß dich zusammen, Avery, das ist wichtig!Ich zwang mich auf die Details des Bildes zu achten, um mich von den Tatsachen abzulenken.
Ich bemerkte einige seltsame Dinge. Ich hatte meine Schwester immer als Blondine gekannt, aber hier sah ich sie plötzlich mit dunkelbraunen Haaren. Und auch meine Eltern sahen ein wenig anders aus, meine Mum hatte lange dunkle Haare anstatt des rot gefärbten Kurzhaarschnitts und mein Dad hatte in meinen Erinnerungen immer abrasierte Haare und einen Bart gehabt, während er auf dem Gemälde dichtes schwarzes Haar hatte und rasiert war. Außerdem waren alle gebräunt und wirkten auch in ihrer Kleidung und Art irgendwie so, als würden sie hierher gehören, in diese Villa und nicht in die winzige Wohnung im fünften Stock in New York. Weil sie das taten. Sie haben hier gelebt, du hast hier gelebt.
Ich starrte auf das goldene Täfelchen unter dem Bild.
Angelo della Mea con la famiglia Concetta della Mea, Giovanna della Mea e Domenica della Mea.Ich starrte auf das Porträt zurück und begriff endlich alles vollkommen. Ich begriff, dass ich mein ganzes Leben lang eine Lüge gelebt hatte, meine Familie, New York, sogar mein Name. Avery Swan war eine Lüge. Ihr Leben war eine Täuschung, eine Fata Morgana, ein Nichts.
Ich sah auf die lächelnden Gesichter meiner Familie. Die vierjährige Amy hatte ihre Hand auf meinen Kopf gelegt, als wollte sie den Alters- und Größenunterschied betonen.
Nicht Amy, Giovanna, verbesserte ich mich in Gedanken. Nicht John und Linda, Angelo e Concetta.
Und auch nicht Avery, Domenica.
"Avery?", hörte ich Alessandros Stimme, die sich obwohl er neben mir stand anhörte, als käme sie von sehr weit weg. Er legte mir die Hand auf den Arm, woraufhin ich sofort zurückzuckte. Er nahm die Hand sofort wieder von meinem Arm und sagte erschrocken: "Scusi...ähm, ich meine Entschuligung. Ich wollte dich nicht erschrecken.
Ich nickte. Jetzt stiegen mir endlich Tränen in die Augen. Ich warf noch einen Blick auf die lächelnden Gesichter meiner Schwester, Eltern und vermutlich noch Großeltern oder sonstiges. "Ich muss hier raus!" Meine Stimme klang gepresst und ich sah Alessandro verzweifelt an. Er nickte sofort und sagte zu den anderen irgendetwas auf Italienisch. Dann ging er mit mir aus der Eingangshalle in den verwilderten Garten. Ich starrte die wuchernden Rosenranken und versuchte, an alles andere zu denken außer die Tatsache, das nichts jemals mehr so sein konnte, wie es war. Und bevor ich merkte, was ich tat, war ich schon auf die Knie gesunken und hatte angefangen, zu weinen. Eigentlich weinte ich nicht nur, ich schrie und schluchzte und heulte, bis ich innen ganz leer und salzig war. Ich wusste nicht wieso, aber es war, als würde ich meine Familie ein zweites Mal verlieren. Und mit ihnen noch alles andere, was ich glaubte zu haben, meine Geschichte, meine Geburtsstadt, meinen Namen.
Irgendwann, als ich werder Kraft noch Tränen übrig hatte, wurden meine Schluchtzer schwächer und meine Schultern hörten auf zu beben. Ich spürte, wie sich ein Arm um meine Schultern legte und ich roch Meersalz und Aftershave, Alessandros Geruch.
"Avery?.... Oder Domenica?", fragte er vorsichtig.
"Avery!", meinte ich sofort. "Domenica kenne ich nicht." Er nickte nur. Ich starrte peinlich berührt auf meine Hände. Wie oft er mich in den letzten Tagen schon hatte weinen sehen.
Ich bemerkte die Gänseblümchen zwischen meinen Fingern im Grass. Fiori.
"Was heißt Fiori? Das ist Italienisch, oder?", fragte ich mit belegter Stimme. Er lächelte. "Fiori heißt Blumen auf Italienisch. Du kannst dich offenbar bruchstückartig an dein Leben in Italien erinnern." "Es ist eigentlich nur eine Erinnerung. Meine Schwester und ich auf der Wiese und sie macht eine Blumenkrone.
Albern, nicht wahr? Dass das meine einzige Erinnerung ist."
Alessandro schüttelte den Kopf. "Finde ich nicht. Erinnerungen sind nie albern." Ich zuckte die Schultern und starrte auf die Rosenranken.
Alessandro sah mich besorgt an.
"Bist du in Ordnung?", fragte er angespannt. Ich konnte nicht antworten, ich hatte ja selbst keine Ahnung.
Er nahm meine Hand, aber ich bemerkte es kaum.
"An den Scherben seiner zerbrochenen Welt kann man sich sehr leicht schneiden."
Ich sah auf in seine Meerblauen Augen. Der Ausspruch hörte sich seltsam an. "Was?", fragte ich verwirrt. Er wischte mit seinem Daumen die Tränenspuren von meiner Wange.
"Das sagt meine Mutter immer"
Seine Berührung war warm und brachte meine Haut zum brennen.
"Und was soll das heißen?", fragte ich etwas atemlos.
"Keine Ahnung", flüsterte er und küsste mich.
Es war nicht mein erster Kuss, sondern mein dritter, ich hatte mit dreizehn, als meine Eltern noch lebten und mein Leben noch ganz normal war, auf Alyssa Vazoras Geburtstagsparty Tim McIver beim Flaschendrehen geküsst und außerdem mit vierzehn einen jungen Straßenmusiker namens Jeremy.
Aber dieser Kuss war besonders, weil ich total verweint aussah und meine Welt gerade total durcheinander gewirbelt worden war und Alessandro das einzige in meinem Leben war, auf das ich mich im Moment vollkommen verlassen konnte. Und weil Alessandro es so gut machte, am.Anfang ganz vorsichtig und zart, sodass ich nicht einmal zurückschreckte und dann immer ein bisschen leidenschaftlicher, bis ich meine Hände in seinem Haar vergraben hatte und seine Hände um meine Taille lagen.
Wir lösten schwer atmend unsere Lippen voneinander und sahen uns einen Moment lang nur in die Augen. Er lehnte seine Stirn an meine.
"Domenica", sagte er und seine Stimme klang rau.
"Ti amo" Ich fühlte, wie sich das Loch in mir, in dem ich alle meine Verzweifelten Gefühle eingeschlossen hatte, langsam schloss und es blieb einfach nur Glücklichkeit zurück. Ti amo. Ich liebe dich.
Ich grinste.
"Ich dich auch", hauchte ich dich gegen seine Lippen und egal, ob Avery oder Domenica, alles was zählte war, dass ich diesen Moment nie wieder vergessen würde.
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Hey, ihr lieben, es tut mir echt wahnsinnig leid, dass das Update erst so spät kommt, ich war echt total blockiert:(
Dafür haben sich jetzt Avery und Alessandro endlich geküsst!!!Danke, für all die lieben Votes, Kommentare und Adds,
Ich liebe euch,~Liz
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Don't Mess With The Mafia
ActionHi, ich bin Avery Swan, sechzehn, Auftragskillerin. Ich gebe zu, ein seltener Beruf für Sechzehnjährige, aber es ist eben eine Menge schiefgelaufen in meinem Leben... Aber gibt es einen Menschen, der es schaffen kann, meine zerbrochenen Splitter wie...