Kapitel 11: Palazzo di Lauro

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Wir gingen auf die große Eingangstür zu und der Chauffeur, Giuseppe, klopfte mit dem großen Bronzetürklopfer. Er klopfte zweimal kurz, dreimal lang und dann noch einmal kurz. Einige Sekunden später öffnete sich die Tür wie von selbst und offenbarte eine weitere, schwere Tür aus Metall. In der Mitte der Metalltür war ein Feld, auf das der Chauffeur seinen Finger legte. Ich war beeindruckt, ich wusste, dass Fingerabdruckscanner wahnsinnig teuer waren und fast nicht zu knacken. Mafiaboss zu sein schien noch gefährlicher zu sein, als ich dachte.
"Das wirkt jetzt vielleicht ein bisschen paranoid, aber es ist einfach sicherer so", meinte Alessandro. Ich nickte nur. Eigentlich konnte mich im Moment nichts mehr erstaunen.
Die Tür öffnete sich und ich sah in eine schön ausgestattete Eingangshalle. Links und rechts von der Tür standen zwei Bodyguards und ein Dienstmädchen kam angelaufen.
"Signores e Signorina di Lauro!", begrüßte sie die Geschwister mit aufgeregter Stimme und machte einen Knicks. Sie nahm sofort die Jacketts von Alessandro und Riccardo und nahm dann auch meine alte Armyjacke und hängte sie an den Kleiderhaken.
"Grazie, Rosa", bedankte sich Giulia und bedeutete dem Dienstmädchen, wieder zu gehen.
Ich hatte Dienstmädchen bis jetzt nur in Filmen gesehen und war überrascht, dass das Film-Dienstmädchen mit Haube, schwarzem Kleid und weißer Schürze wirklich existierte. Und das sie für einen Neunzehnjährigen arbeitete.
Alessandro sah mein verwundertes Gesicht und sagte fast peinlich berührt "Wir haben nur noch wenige Dienstmädchen und ich sage eigentlich immer, sie sollen keinen Knicks machen und mich nicht "Signore" nennen. Aber sie sind das noch von früher gewöhnt."
"Von früher?"
Ich hätte das nicht fragen sollen, erkannte ich, es schien sich um ein schwieriges Thema zu handeln.
Giulia sah traurig zu einem Gemälde an der Wand, Alessandros Blick wurde verschlossen und Riccardo sah mich mit seinem üblichen hasserfüllten Blick an.
Schließlich räusperte sich Alessandro und sagte dann: "Als unser Vater den di Lauro Clan geführt hat, gab es hier viel mehr Dienstboten, weil er es gerne so hatte wie in den alten Mafiafilmen aus den fünfzigern und sechzigern."
"Entschuldigung, das tut mir Leid, ich wollte kein schmerzhaftes Thema ansprechen.", entschuldigte ich mich.  Sie taten mir Leid, Alessandro hatte erwähnt, dass der Tod ihres Vaters erst ein halbes Jahr her war. Das erste halbe Jahr war immer das schlimmste. Giulia lächelte. "Das muss dir nicht leid tun, Avery, das ist Vergangenheit. Da drüben, das ist er.", sagte sie freundlich und deutete auf das Gemälde, das sie vorher angesehen hatte. Ich bewunderte, wie freundlich sie war und wie schnell sie wieder lächelte. Das ist Vergangenheit. Ein Satz, den ich schon tausendmal im Geist wiederholt hatte. Ich sah mir das Gemälde genauer an. Es zeigte einen Mann um die fünfzig Jahre alt. Er hatte schwarze Haare und braune Augen und außerdem die edlen Züge, die bei den di Lauros in der Familie zu liegen schienen und mir viel auf, dass Riccardo ihm sehr ähnlich sah. Was sie unterschied war, dass der Mann auf dem Bild einen riesigen buschigen Schnurrbart trug.
Emilio di Lauro, stand auf dem Schild unter dem Portrait.

"Also, ich würde sagen, wir machen jetzt erstmal ein bisschen Pause und ziehen uns etwas praktischeres an und dann essen wir, ok?", riss Alessandro mich aus meinen Gedanken. Ich nickte, dankbar, dass ich endlich aus der engen Lederkleidung, die ich immer bei Aufträgen trug, rauskonnte und auch Giulia und Riccardo hatten nichts dagegen einzuwenden.
"Ich hab für Avery ein Zimmer vorbereitet", meinte Giulia.
"Du hörst, dass eine Auftragskillerin versucht hat, deinen Bruder zu töten und du bereitest ein Zimmer für sie vor?", zischte Riccardo. Giulia verdrehte nur die Augen und streckte ihm die Zunge raus.
"Komm, Avery, ich zeig dir dein Zimmer!", sagte sie und zog mich mit sich in einen goldenen Aufzug.

"Ich weiß es ist albern, dass die Aufzüge golden sind.", sagte sie und begutachtete ihr Spiegelbild auf der Innenwand des Aufzugs. "Aber unser Großvater, der das Haus gebaut hat, hat gerne angegeben und Alessandro bringt es nicht über sich, etwas im Haus zu verändern. "Man sollte auch nichts verändern, es ist wunderschön!",meinte ich. "Seelenverwandtschaft", sagte Giulia grinsend und ging aus dem Aufzug, der inzwischen gehalten hatte. Sie führte mich einen Gang entlang und öffnete dann die Tür zu einem Zimmer. "Ist das Ok für dich?", fragte sie. "Mehr als Ok, das ist schöner, als alle Zimmer, in denen ich je gewohnt habe!", antwortete ich überwältigt. Das Zimmer hatte cremefarbene Seidentapeten, einen glänzenden königsblauen Teppich und große Fenster mit prachtvollen Vorhängen, durch die man einen beeindruckenden Ausblick über die Dächer der Stadt hatte. In der Mitte des Raums stand ein großes Himmelbett und auch ansonsten war das Zimmer sehr geschmackvoll eingerichtet.
"Danke, das ist wirklich... ich kann nicht...ich hätte ihn fast getötet!", stammelte ich und viel Giulia zu meiner eigenen Überraschung um den Hals.
"Jajaja, das ist mir auch schon mal passiert. Nichts zu danken, ich finds cool, dass du hier bist und Alessandro auch. Und Riccardo kannst du einfach ignorieren. Der Schrank ist mit Klamotten aller Art gefüllt, ich hatte keine Ahnung, was du gerne trägst, such dir einfach irgendwas aus und im Bad sind Kosmetiksachen. Ich komm dich dann in einer Viertelstunde abholen, ok?" Ich nickte nur und Giulia verließ das Zimmer. Ich war immer noch ziemlich durcheinander von allem, was passiert war, also beschloss ich, mich umzuziehen, damit ich eine Beschäftigung hatte. Ich öffnete den Schrank und mir wurde klar, das Giulia wirklich Klamotten aller Art gemeint hatte. Ich fand von Gucci, Armani und Dolce&Gabanna Kleidung über Sportsachen bis hin zu echt verrückten Gothic-Klamotten wirklich alles mögliche. Ich suchte zuerst Sachen heraus, die meiner üblichen Kleidung ähnlich waren, schwarze Armyhosen und ein dunkelrotes Top mit schwarzen Metallkappenstiefeln, entschied mich dann aber wieder um. Vielleicht war das jetzt der Punkt, an dem ich mein Leben ändern sollte, dachte ich, und wenn ich es ändere, muss ich auch nicht immer rot und schwarz tragen. Ich bin nicht mehr Bloody Mary, ich bin wieder Avery Swan. Auch wenn ich mir geschworen hatte, diesen Namen nie wieder zu verwenden. Ich musste lächeln, als ich realisierte, dass ich auch meinen Bloody-Mary-Dolch verloren hatte. Alessandro hatte ihn im Kampf verloren. Ich wandte mich wieder dem Kleiderschrank zu und nahm dann leicht verwaschene Jeans und ein meerblaues Top mit leichtem Spitzenrand dazu meerblaue Converse. Meerblau war mal meine Lieblingsfarbe. Meerblau wie Alessandros Augen. "Meerblau wie das Meer, Avery, nicht wie irgendwelche Augen.", sagte ich zu mir selbst. Aber das Meer ist eigentlich eher grün als blau.

Ich ging ins Bad und sah in den Spiegel. Ich müsste etwas mit meinen Haaren machen und ich war immernoch leichenblass
aber wenigstens wenigstenshatte ich heute keine Blutspritzer im Gesicht. Ich bürstete mir die Haare und versuchte vergeblich, meine Augenringe mit Concealer abzudecken.
"Avery? Avery bist du fertig?", hörte ich Giulia vor der Tür fragen. "Ja", antwortete ich und ging zu ihr auf den Gang. Wir fuhren mit dem Aufzug wieder hinunter und ich folgte Giulia durch die Gänge. "Wie kann man sich in so einem großen Haus eigentlich zurechtfinden?", fragte ich sie.
"Das ist eigentlich ganz leicht. Aber wenn du willst, lasse ich Wegweiser mit dem Weg in dein Zimmer aufstellen." Ich fragte mich einen unsinnigen Moment lang, ob sie das ernst meinte, dann fingen wir beide an, zu lachen. Giulia öffnete eine Tür und wir betraten einen Raum mit schönen bemalten Wänden und einem großen Esstisch in der Mitte. Am Tisch saßen Alessandro, Riccardo, und noch ein weiterer junger Mann, der ein bisschen älter schien als Alessandro. Er war sehr groß und mager und hatte längeres schwarzes Haar, das er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte.
"Avery, das ist Gabriele Carnevare, ein Freund", stellte Alessandro ihn vor. Gabriele Carnevare stand auf und schüttelte mir die Hand. 
"Und, Avery, wie gefällt es dir im Palazzo di Lauro?", fragte er. Palazzo di Lauro? Ich sah ihn verwirrt an. "Das ist so ein alberner Spitzname für dieses Haus.", winkte Alessandro ab.
"Das heißt di Lauro Palast. Die di Lauros waren schon immer Angeber.", meinte Gabriele und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
Ich lächelte.
"Alessandro?", fiel mir plötzlich ein."Wann hat Giulia dich eigentlich fast umgebracht? Sie hat das vorher erwähnt." Alessandro grinste. "Sie hat mich von einer Klippe geschubst als ich sieben war. Die Küstenwache konnte mich gerade noch aus dem Wasser ziehen."
"Dio, du hast eben genervt", rechtfertigte sich Giulia und wir fingen alle an, zu lachen. Ein Hausmädchen kam und brachte Teller mit Italienischem Essen und wir aßen alle und Gabriele und Giulia machten ständig Witze, sodass wir viel lachten.
Ich hatte schon fast vergessen, was in den letzten Stunden alles passiert war als die Tür aufflog und Daniel reingerannt kam.
"Alessandro!", keuchte er. "Ich muss dringend mit dir reden, schnell!"

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