Und wir saßen auf dem Kirchturm, aßen Pizza, tranken Weißwein aus Pappbechern und redeten einfach nur. Es war anders jetzt bei ihm zu sein, ganz ohne andere, Gefahren oder Verpflichtungen. Mir viel auf, dass er sogar ganz anders aussah in Jeans und T-Shirt, er könnte fast als ganz normaler junger Mann durchgehen. Ein Vorbeigehender könnte denken, dass er hier studieren würde, vielleicht eine Fremdsprache oder Architektur oder so etwas, er würde in einer kleinen Wohnung oder WG leben und Tagsüber in die Vorlesung gehen und nachts mit seinen Freunden noch einen heben. Er würde das junge, unbeschwerte Leben eines Neunzehnjährigen leben, der von der Führung eines Mafiaclans genau so wenig wusste, wie er mit einer Waffe umgehen konnte.
Alessandro lehnte sich entspannt gegen die Kirchturmmauer zurück und schloss die Augen. "Weißt du wie lange es her ist, dass ich das letzte Mal mein Handy so lange ausgeschaltet hatte?" Ich lächelte, aber dann kam ich mir egoistisch vor. Ich hatte gedacht, ich würde einiges durchmachen, aber ich hatte nicht einmal daran gedacht, was für eine Last auf seinen Schultern lag. Er war gerade mal neunzehn Jahre alt und leitete einen ganzen Mafiaclan. Er hatte dieses Amt übernommen, nachdem sein Vater grausam ermordet worden war und sein kleiner Bruder sich an den Mördern gerächt hatte. Er tat mir Leid, aber seine Geschichte machte mich auch neugierig. "Wann denn?" Er warf eine Olive in die Luft und fing sie mit dem Mund auf. "Seit ich vierzehn war oder so." Das überraschte mich. "Ich dachte, du bist erst seit einem halben Jahr Mafiaboss?" "Ja, aber ich habe das ja nicht alles von heute auf morgen gelernt. Ich bin früher immer mit meinem Vater mitgekommen, zu Verhandlungen, Drohungen, irgendwelchen Prestigeveranstaltungen, Verbündete treffen...Ich habe das meiste durch Zuhören gelernt" Ich versuchte mir einen Vierzehnjährigen auf einer Mafiaverhandlung vorzustellen. "Wo hast du kämpfen gelernt?" "Ich hatte Unterricht in Schießen, Boxen, Leichtatlehtiktraining und allgemeinem Umgang mit Waffen seit dem ich neun war. Aber das war nicht das Wichtige, ich könnte Leibwächter einstellen wenn ich wollte." "Aber du willst nicht?" "Damit ich die ganze Zeit daran erinnert werde, dass ich einen der größten Verbrecherkonzerne weltweit leite? Nein, Danke." "Warum bist du Mafioso geworden, wenn du es so hasst? Wollte deine Familie das?" Er zuckte die Schultern. "Nein. Ja. Vielleicht. Mein Vater wusste, dass mich dieses ganze Verbrechen anwiderte, aber er hat gesagt, ich soll mir trotzdem gut überlegen, ob ich den Clan mal anführen will. Er hat gesagt egal was ich tue, die di Lauros werden nicht aufhören zu existieren und die Mafia schon gar nicht. Irgendjemand wird sich schon an ihre Spitze stellen. Aber wenn ich es tue hat das den Vorteil, dass ich festlegen kann, welche Grenzen ich will. Ich weiß, dass ich nicht unbedingt der beste Mensch oder so etwas bin, aber ich weiß auch, wenn ich sie nicht anführe, könnte es auch ein schlechterer tun." Ich war immer wieder erstaunt von Alessanro, er hatte einen komplett anderen Blickwinkel auf die Dinge als ich. Ich hab nie groß darüber nachgedacht, wo die Grenzen für mich liegen. Aber ich wusste, dass es schlimmere als mich gab, ich war unter den Killern noch eine von den moralischeren gewesen. Ich hatte sogar gewisse Bedingungen gehabt, ich hatte mir immer das Recht vorbehalten, den Mord falls ich es mir anders überlegte, nicht durchzuführen. Aber tatsächliche Grenzen hatte ich mir nie gesetzt. Wo denn auch?
"Wo liegen denn die Grenzen für dich?" Sein Gesichtsausdruck verdüdterte sich. "Nicht da, wo sie bei meinem Vater offenbar gelegen haben. Als er gestorben war und ich ihm als Anführer also folgte habe ich mir mal alle Projekte genauer angesehen, in denen wir drinsteckte. Und das war einiges. Menschenhandel, Zwangsprostitution, illegale Tier- und Menschenversuche. Er hatte nie ein Wort darüber verloren." Er presste die Kiefer aufeinander. Ich legte den Arm um ihn, ich konnte verstehen, wie schwer es war mit Toten im Konflikt zu seien. Du kannst dich bei ihnen nicht aussprechen, du kannst sie nicht zur Rede stellen, du kannst sie nicht anschreien und dir das alles von der Seele schaffen. Du kannst nicht einmal wütend auf sie sein, ohne dich selbst dafür zu verabscheuen. Das Schlimmste aber war, dass du nie die Wahrheit erfahren wirst, die sie ja wortwörtlich ins Grab mitgenommen haben. Alles, was du je bekommen wirst ist Leere, die du mit irgendetwas füllen musst, wenn du nicht wahnsinnig werden willst.
"Ich verstehe, was du meinst. Ich habe gerade erst erfahren, dass meine Familie eigentlich eine Mafiafamilie aus Italien war und mir nie davon erzählt hat. Meine Eltern verstehe ich sogar einigermaßen. Sie konnten ja nicht wissen, dass sie sterben würden, vielleicht hätten sie es mir ja eines Tages gesagt. Aber Amy hat sich ausgesucht, zu gehen, sie wusste, dass sie sterben würde. Ich meine, das ist ja klar, sie hat schließlich die Pillen selbst genommen. Sie hätte einen Abschiedsbrief schreiben können, wenn sie wollte. Sie hat es nie getan." "Ich glaube sie wollte, dass das Geheimnis mit ihr stirbt." "Du kanntest sie nicht!" Meine Stimme klang schneidend und hart, wie Glasscherben. Amy war und blieb einer meiner wunden Punkte. Ich war einfach so unglaublich wütend auf sie. All die Jahre hat sie sich heimlich die Haare gefärbt, nie Italienisch gesprochen und mir alles, alles, alles verschwiegen. Es fühlte sich falsch an, aber ich konnte es nicht ändern.
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Don't Mess With The Mafia
ActionHi, ich bin Avery Swan, sechzehn, Auftragskillerin. Ich gebe zu, ein seltener Beruf für Sechzehnjährige, aber es ist eben eine Menge schiefgelaufen in meinem Leben... Aber gibt es einen Menschen, der es schaffen kann, meine zerbrochenen Splitter wie...