Kapitel 19: Ein Krieg

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Regentropfen prasselten auf die  Autoscheiben und man hörte entferntes Donnern. Kurze Zeit nachdem wir losgefahren waren hatte es angefangen zu tröpfeln und nun schien ein Gewitter aufzuziehen. "Tja, das ist schnell eskaliert", bemerkte Riccardo in die Stille. "Meinst du das Unwetter oder Avery?", fragte Giulia lächelnd. Daniel fing an, laut zu lachen, auch wenn es eigentlich überhaupt nicht witzig war. Ich lehnte meinen Kopf an die kalte Scheibe und sah den Regentropfen dabei zu, wie sie am Fenster herunter flossen, es sah fast so aus, als würde das Fenster weinen. Ich schloss die Augen und spürte den Regen durch die Scheibe. Ich hatte Regen immer geliebt. Meine Gedanken schweiften ab zu allem, was ich in den letzten Tagen herausgefunden hatte. Ich versuchte, alles in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen und mir ein Bild von der Situation zu machen, aber ich wusste einfach zu wenig über die Mafia, in die ich hineingeraten war. "Ich verstehe das nicht!", entfuhr es mir unwillkürlich. Alle drehten sich zu mir um und sahen mich an, vermutlich, weil ich nichts gesagt hatte, seitdem wir die Casa della Mea verlassen hatten. Leider hatte sich auch Giulia, die wieder am Steuer saß umgedreht, was mich eher mit Panik erfüllte. "Giulia, dreh dich wieder um!", zischte ich . Sie sah sich überrascht um, als hätte sie vergessen, dass sie am Lenker eines Wagens saß. Inzwischen befand dich das Auto auf der falschen Spur, sodass sie das Lenkrad herum riss und uns mit einem halsbrecherischem Schlenker wieder auf die richtige Spur brachte. Riccardo und Daniel sahen sich an und verdrehten die Augen. Offenbar gefiel den anderen Giulias Fahrstil genauso wenig wie mir. "Was verstehst du nicht?", fragte Alessandro. Ich sah ihn an und zuckte hilflos die Achseln. "Alles. Ich weiß gar nichts über die Mafia, ich verstehe nicht einmal genau, was mit meiner Familie passiert ist." "Das ist eigentlich ganz einfach", meinte Riccardo, der gerade etwas an seinem Handy nach sah. "Alessandro, gehst du heute wieder in die Oper?", fragte er dann. Alessandro schüttelte den Kopf. "Schick Gabriele hin. Oder Marco Stavione." Ich sah die beiden verwundert an. "Wieso geht ihr eigentlich ständig in die Oper?" "Weil Alessandro sich gerne die Zauberflöte anhört", antwortete Riccardo. Ich nickte, fand das aber ziemlich befremdlich. Alessandro lächelte. "Natürlich nicht, ich hasse Opern. Die "Opern" sind nichts als Mafiatreffen unter einem Vorwand. Es gehen die Anführer oder Vertreter verschiedener Clans hin, schließen Geschäfte und Bündnisse ab, tauschen Informationen aus, bedrohen sich gegenseitig und nicht selten wird auch einer beseitigt. Die Oper ist nur der offizielle Vorwand." Ich war aus irgendeinem Grund erleichtert, dass Alessandro doch kein Opernliebhaber war. Dann sah ich die beiden skeptisch an. "Ist das nicht ein bisschen dumm,  direkt vor der Nase von Polizisten und allem?" "Natürlich, aber die Mafia ist gut darin, sich nichts nachweisen zu lassen. Und ich schätze, wir können es einfach nicht lassen, den Staat ein wenig zu reizen. Alle wissen genau, dass diese Opernveranstaltungen nur Vorwände sind, aber ohne Beweise kann der Staat nichts unternehmen,und so müssen sie tatenlos zusehen, wie wir vor ihren Augen in ihren Opern unsere Treffen abhalten", erklärte mir Riccardo. Ich stellte fest, dassich die Mafia nicht ganz verstand. "Ok, und was genau ist mit meiner Familie passiert? Das einzige, was ich verstehe ist, dass sie tot sind." Alessandro holte Luft. "Also", fing er an und ich spürte, wie sich seine Hand um meine schloss. Es fühle sich merkwürdig an, ein bisschen fremd und ungewohnt, aber doch schön. Ich entspannte mich automatisch ein wenig. "Deine Familie, die della Meas waren eine von den drei mächtigen Mafiafamilien aus der Gegend. Die anderen beiden waren meine Familie, die di Lauros und die verdammten Falcones. Zur Zeit unserer Großväter, während der absoluten Blütezeit der Mafia, ist dann zwischen den Falcones und den di Lauros ein Streit ausgebrochen, der ziemlich schnell zu einer Art Krieg wurde. Es ging eigentlich um etwas ziemlich unwichtiges, ich glaube Leonardo Falcone, der damalige Falcone-Anführer hat die Familienehre beschmutzt, indem er eine Cousine meines Großvaters geschwängert hatte ohne sie zu heiraten. Mein Großvater, Federico di Lauro, hat dann mit deinem Großvater, Gepetto della Mea, ein Bündnis gegen die Falcones geschlossen, und so ist nach und nach ein Krieg entstanden, die della Meas und di Lauros gegen die Falcones. Verstehst du es soweit?" Ich starrte auf die Straße. Meine ganze Familie war getötet worden, weil vor fast hundert Jahren irgendjemand, der vermutlich schon lange tot war irgendein Mädchen, das vermutlich ebenfalls schon lange tot war, geschwängert hatte. Ich verstand das ganz und gar nicht. "Ja, habe ich", antwortete ich und umschloss Alessandros Hand fester mit meiner. "Ok, also die drei haben natürlich nicht ewig gelebt, als erstes ist Leonardo Falcone bei einem Gift-Attentat gestorben, und sein Neffe Silvio ist Anführer geworden. Dann wurde Federico di Lauro bei einem Bobenanschlag getötet" "Genauer gesagt in tausend Teile zerfetzt", ergänzte Riccardo. "Halt die Klappe, du störst", meinte Alessandro. Riccardo öffnete den Mund um etwas zu erwidern, aber Giulia stopfte ein auf den Armaturenbrett liegendes Paar Handschuhe zwischen seine Zähne. Riccardo fing an zu husten, würgen und rot anzulaufen und Daniel machte Fotos mit seinem Handy. Gerade als ich Angst bekam, Riccardo würde ersticken, zog er sich die Handschuhe aus dem Mund und warf sie aus dem Fenster. "Wolltest du mich umbringen, du Geisteskranke?", krächzte er wütend. "Du bist hier geisteskrank, die waren von Armani! Man hätte die auch waschen können oder so!" Daniel lachte wieder, während Giulia und Riccardo anfingen, auf Italienisch zu streiten. Ich konnte nicht verhindern, dass ich an Amy denken musste. Wenn sie noch leben würde, würde ich mich vermutlich auch ständig mit ihr kabbeln, so wie die di Lauro Geschwister. "Sie sind verrückt", stellte Alessandro beiläufig fest. "Jedenfalls wurde nach Federicos Tod mein Vater, Emilio di Lauro, Anführer. Drei Jahre darauf bekam dein Großvater Gepetto überraschend einen tödlichen Herzinfarkt und dein Vater trat seine Nachfolge an." Ich sah Alessandro überrascht an. "Unsere Väter waren Bündnispartner?" Er nickte. "Ich habe sogar Giovanna mal gesehen, als ich vier war oder so. Sie war noch total klein, kein ganzes Jahr alt", bemerkte Giulia. Ich starrte sie entgeistert an. Giovanna, das war Amy. "Du hast mal meine Schwester gesehen?", keuchte ich. "Ja, ich wusste natürlich nicht, dass ds deine Schwester ist. Aber dein Vater war bei uns um irgendwas zu besprechen und hatte sie dabei." Sie sagte das relativ beiläufig, aber in meine Kopf begann sich alles zu drehen. Wenn meine Familie nicht gegangen wäre, wären die di Lauros sowas wie Familienfreunde gewesen. "Bist du okay?", fragte Giulia, die offenbar nicht nachvollziehen konnte, was an dieser Nachricht für mich schockierend sein könnte. "Jaja, erzähl weiter", meinte ich und schüttelte den Kopf, als ob ich die wirren Gedanken abschütteln wollte. "Mit dem Tod von Gepetto waren alle, die den Krieg angefangen hatten also tot und mit ihnen viele andere aus allen Clans. Der della Mea Clan hat sich dann für Frieden eingesetzt und wollte den Krieg beenden, aber die Falcones dachten gar nicht daran, aufzuhören. Sie hatten die meisten Toten und wollten Rache. Sie wollten zuerst die della Meas besiegen weil sie dachten, dass die della Meas sich vielleicht ergeben würden und dann die di Lauros auslöschen." Meine Kehle schnürte sich zusammen. "Soll ich weitererzählen oder willst du lieber erstmal eine Pause mit dieser Geschichte machen?", fragte Alessandro. "Erzähl weiter, ich bin okay", antwortete ich schnell. "Also, die Falcones nahmen jetzt die della Meas in die Zange und dein Vater stand jetzt vor einer Entscheidung. Er konnte entweder für seinen Clan kämpfen oder seine Familie schützen. Es sah für die della Meas ziemlich schlecht aus und eines morgens waren der Anführer und seine Familie verschwunden. Alle dachten, sie sind tot, weil in der Mafia verschwunden und tot oft das selbe ist. Aber in Wahrheit sind sie offenbar nach Amerika ausgewandert, und den Rest der Geschichte kennst du ja. Die Falcones werden aber irgendwie gewusst haben, dass ihr noch lebt, und irgendwann haben sie euch dann gefunden und den Killer geschickt. Hier in Italien ist ein ziemliches Chaos ausgebrochen, weil keiner wusste, wer bei den della Meas jetzt die Führung übernehmen sollte und wie es mit ihnen weitergehen würde. Die ältere Schwester deines Vaters, Annabella della Mea, hat vorübergehend seinen Posten eingenommen, aber sie wurde nur halb akzeptiert. Und einen Monat nach eurem Verschwinden fand das della Mea-Massaker statt und sie wurden alle außer Annabella von den Falcones getötet. Danach ist der Krieg eben nur noch di Lauro gegen Flacone gewesen, und vor einem halben Jahr haben einige von ihren Killern dann unseren Vater erwischt und ich wurde Anführer. Und jetzt sind wir hier." Ich dachte nach. Meine Eltern waren geflohen und hatten ihren Clan hier in Italien zum sterben zurückgelassen. Und sie waren bei der Mafia gewesen, dem größten organisierten Verbrechen der Welt. Irgendwie fühle ich mich besser jetzt, da ich das wusste. Ich hatte getötet, aber die Mafia auf jeden Fall auch. "Avery?", hörte ich Giulia fragen. Ich zuckte zusammen und sah auf. "Möchtest du nicht vielleicht aussteigen?" Ich hatte gar nicht gemerkt, dass wir schon wieder beim Palazzo di Lauro angekommen waren. Ich nickte. Ich war erleichtert, wieder bei einem Haus zu sein, das lebendig war und nicht in allen Ecken nach Tod roch. Wir gingen alle ins Haus, wo Rosa uns wieder mit Verbeugungen begrüßte und unsere Jacken abnahm. Der einzige, den ihr unterwürfiges Gehabe zu stören schien, war Alessandro. Ich stellte fest, dass ihm die leicht arrogante Art fehlte, die Giulia und Riccardo und sogar Daniel anzuhaften schien. Wir standen in der Eingangshalle und sahen uns etwas ratlos an. Dann räusperte sich Giulia. "Also, Avery ist die totgeglaubte Erbin eines ausgelöschten Mafiaclans. Herzlichen Glückwusch!" Sie schüttlete mir die Hand, was mich ziemlich irritierte. Ich sah nicht als einen Grund zur Freude. "Und...Was genau machen wir jetzt?", fragte ich. Ich hatte nämlich nicht die geringste Ahnung was ich als Erbin eines ausgelöschten Mafiaclans zu tun hatte. "Wir könnten essen!", schlug Daniel vor. Giulia boxte ihm gegen den Arm. Ich drehte mich zu Alessandro. Er lächelte. "Was?", fragte ich, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. "Was hälst du davon, wenn wir die anderen hier allein essen lassen und wir irgendwo hinfahren?" Ich grinste. "Ist das ein Date?" "Kann gut sein" "Okay, dann treffen wir uns hier in fünf Minuten"

Kurze Zeit später stand ich vor dem Kleiderschrank in meinem Zimmer  und versuchte, irgendetwas passendes zu finden. Ich war einen Moment lang versucht, ein schwarzes Kleid mit Spitzenbesatz anzuziehen, beschloss dann aber, dass es zu übertrieben war und entschied micht für Jeans, eine lockere grüne Bluse, eine cremefarbene Lederjacke und schwarze Pumps. Ich versuchte meine Haare hochzustecken, stellte aber fest, dass sie zu kurz waren und legte ein bisschen Lippenstift auf. Ich stellte mich kritisch vor den Spiegel und erschrak, wie sehr ich mich verändert hatte. Die Klamotten ließen mich älter wirken und ich hatte in den wenigen Tagen, die ich hier war schon ein bisschen Farbe bekommen und war lang nicht mehr so bleich wie in New York. Und ich sah einfach glücklicher aus. Ich lächelte den Spiegel an und verließ dann das Zimmer. Am Anfang versuchte ich noch, ganz ruhig zu bleiben, aber im Aufzug wurde mir vollkommen bewusst, dass ich ein Date  mit einem Mafiaboss hatte. "Tja, Domenica", sagte ich zu meinem Spiegelbild in der goldenen Aufzugtür. "Wer hätte das gedacht?" Das Spiegelbild zuckte nur die Achseln. "Das Leben steckt voller Überraschungen."

Hey, Ihr lieben, danke fürs lesen, voten, kommentieren und adden. Die Geschichte hat jetzt über 1K votes, vielen, vielen Dank, ihr seid die Besten!!! Sorry, dass dieses Kapitel hauptsächlich aus Erklärungen der Kriegsgeschichte bestand, aber ich wollte das noch mal zusammenfassen, damit das auch wirklich alle verstehen. Nächstes Kapitel passiert wieder was, versprochen!:) Ansonsten ich hoffe, ihr genießt euren Sommer, ganz liebe Grüße und <3lichen Dank,

~Liz

Don't Mess With The MafiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt