Kapitel 24: Unsere Familie

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Annabella ging mit klackernden Absätzen voraus, als sie mich durch die Gänge des Hauses führte. Sie ging sehr schnell, so schnell, dass ich fast rennen musste um mitzukommen. Das störte mich allerdings nicht im geringsten, ich ging gerne schnell. Langsam neben Menschen her zugehen machte mich meistens nervös.
Wir durchschritten nach einer Weile eine große mit Silber beschlagene Eichentür und plötzlich sah das Haus wie verwandelt aus. Die modernen kühlen Weißtöne der Wände und Einrichtung wich warmem Rot, Orange und Terracotta. Große Ölgemälde hingen an beiden Seiten des Ganges und teure, prachtvolle Möbel die scheinbar fast keinen Nutzen hatten zierte die Wände. Der Stiel schien der Casa della Mea nachempfunden zu sein. Annabella breitete die Arme aus und wieß in den Raum. "Das hier, Avery, ist mein Teil des Hauses! Hier habe ich meine Ruhe, hier habe ich meine Ahnen und hier ist es endlich vernünftig eingerichtet! Dieses ganze Weiß im Rest des Hauses, füchterlich! Ich bin doch nicht bein Zahnarzt!" Sie schüttelte sich und beklagte sich noch weiter über den ihrer Meinung nach unmöglichen Geschmack der Carnevares, aber ich beachtete sie nicht. "Deine Ahnen?" Ich betrachtete das Gemälde neben mir. Es zeigte eine Frau um die Fünfzig mir dichtem schwarzen Haar und tiefen Augenringen. Sie kam mir sehr bekannt vor. Annabella lächtelte. "Ah, stimmt, du warst in der Casa. Ein wunderschönes Haus, findest du nicht? Eine Schande, dass es jetzt nur eine Ruine ist, in die sich dumme Jungen einschleichen, um den Mädchen ihren Mut zu beweisen." Sie presste verärgert die Lippen aufeinander, aber ich musste unwillkürlich schmunzeln bei dem Gedanken, dass Alessandro sich mit Gabriele einst dort eingeschlichen hatte. Annabella ließ mir nicht lange Zeit, mir einen Vierzehnjährigen Alessandro vorzustellen, der als Mutprobe in Ruinen einbrach, sie klatschte in die Hände und sah mich an. "Also, Avery, das hier sind unsere Vorfahren. Ich habe diese Gemälde bei den besten Malern Italiens anfertigen lassen, unsere Familie ist schließlich keine Familie, die man mit dilettantischem Bleistiftgekritzel abbilden lässt!" Ein wilder Stolz glamm in ihren Augen und sie hob das Kinn. "Hier, das sind die Gründer des Clans!", meinte sie und deutete auf eines der Bilder. "Und hier, das ist Giorgia della Mea, sie kämpfte wie ein Mann für ihren Clan und..."

Eine hlabe Stunde später schwirrte mir der Kopf vor lauter Namen, Daten und Fakten, mit denen Annabella um sich warf, während sie immer begeisterter wurde und immer leidenschaftlicher redete. Ihr Englisch, das zu Beginn noch perfekt war, hatte inzwischen einen starken Italienischen Akzent angenommen. Schließlich kamen wir bei den Gesichtern an, die ich kannte. "Nun, und das hier sind meine Eltern Alessia und Gepetto", meinte sie und deutete auf die entsprechenden Bilder. Alessia war die Frau auf dem Porträt, das mir vorher so bekannt vorgekommen war. Ich hatte es schließlich auch schon mal gesehen. "Und hier sind Francesca und Angelo." Sie deutete auf ihre sanft lächelnde Schwester und ihren Bruder, der ein charmantes Gesicht aufgesetzt hatte. Sie wirkte ganz gelassen, obwohl die ahnungslos lächelnden Gesichter ihrer toten Familie auf sie herab blickten. Ich bewunderte sie maßlos dafür. Sie raüperte sich. "Und dort hängt auch noch meine geschätze Schwägerin, Concetta." Meine Mutter trug auf dem Bild teuren Schmuck, ein elegantes Kleid und eine kunstvolle Hochsteckfrisur, weshalb ich sie fast nicht erkannt hätte. Ich war auf eine seltsame Weise froh, dass ich sie in Turnschuhen und mit kurzem, schlichtem Haarschnitt gekannt hatte. "Ich konnte sie Anfangs nicht leiden, aber sie sah nur so aus, wie ein Püppchen", erzählte Annabella. "Sie war viel gerissener als man ihr ansah, fast wie eine richtige della Mea, auch wenn sie geborene Mazzini war. Hmm, ich habe überlegt, ob ich Giovanna auch hinzufügen soll, aber ich wusste viel zu wenig. Ist Giovanna ganz sicher tot?" Ja, meine Schwester war ganz sicher tot, sie war sogar aus freiem Willen gegangen. Und hatte ihr Geheimnis mit ins Grab genommen. Ich zwang mich zu nicken. "Du bist wütend auf sie, nicht war?" Ich spürte, wie Annabella mich forschend ansah. "Ich möchte, dass sie hinzugefügt wird", presste ich hervor. "Also, wenn das geht." Sie strahlte förmlich. "Aber natürlich, es wäre mir eine Ehre! Möchtest du es selbst in Auftrag geben? Und soll sie so abgebildet werden wie sie war, als sie Italia verlassen hat, oder so, wie sie kurz vor ihrem Todeszeitpunkt aussah? Ich dachte an die pausbäckige Vierjähige von den Fotos und an die hübsche, fünfzehnjährige Selbstmörderin, auf die ich zugegebenermaßen immer noch wütend war.  "Ich...Sie soll fünfzehn sein." Meine Stimme hörte sich viel zu verletzt und verloren an. Eigentlich sollte ich aus dieser Phase doch schon raus sein! Annabella warf mir einen Seitenblick zu und schritt dann auf mir zu und tat etwass unerwartetes. Sie umarmte mich. Sie wirkte nicht sehr gebt im Umarmen, aber das war ich schleißlich auch nicht und sie roch nicht so tröstend wie Alessandro. Aber in diesem Moment schien sie mir die einzige Person, die mich verstehen konnte, die meinen Verlust teilte und spürte. "Entschuldigung, ich wollte nicht-", fing ich an, aber sie unterbrach mich. "Du bist sehr stark, Avery, wie eine wahre della Mea. Du wirst diese Familie stolz machen, und eines Tages wirst du sicher zu Domenica werden, die immer noch in dir steckt. Du bist stark." Ich nickte krampfhaft als plötzich die Eichentür aufflog.  Riccardo betrat den Raum, gefolgt von der Sekretärin, die laut auf Italienisch protestierte. "Signora! Ich habe ihm gesagt, sie wollen nicht gestört werden, aber er...!" Sie wieß anklagend auf Riccardo, der sie eher gelangweilt ansah. "Scusi, Signora Carnevare, aber Avery und ich, wir müssen jetzt leider wieder gehen, unser Fahrer wartet bereits." Annabella sah Riccardo unwirsch an. "Du bist der jüngste di Lauro, nicht war? Als ich dich das letzte Mal gesehen habe warst du noch zwölf und etwas zurückhaltnder, wenn auch nicht viel. Wenn Sie sich in den Häusern fremder Clans wohl bitte an ihre Anweisungen halten würden wäre ich ihnen äußerst verbunden." Riccardo nickte nur und grinste. Annabella seufzte. "Dio, du bist Emilio ja wirklich aus dem Gesicht geschnitten! Er war ein guter Mann, eine Schande, was diese Falcones mit ihm angestellt haben!" "Naja, eines Tages werden sie dafür bezahlen", meinte er überzeugt. "Eines Tages muss wohl jeder für irgendwas bezahlen", stellte Annabella trocken fest und schüttelte mir die Hand. "Es hat mich sehr gefreut, Avery! Wärst du einverstanden, wenn wir bald wieder ein Treffen festlegen? Ich würde dich gerne näher kennen lernen." Ich lächelte. "Das würde mich freuen!"
Ich verließ das Haus ein wenig unwillig, denn das erste Mal seit drei Jahren hatte ich das Gefühl so etwas wie Familie zu haben.

Giuseppe, der Chauffeur, wartete schon auf uns, und nachdem wir noch einmal von den Wachen am Tor kontrolliert worden waren setzten Riccardo und ich uns auf die Rückbank des teuren, schwarzen Autos. "Und, was hast du so gemacht, währen ich mit Annabella gesprochen habe?", fragte ich Riccardo. Er zuckte die Schultern. "Es war eigentlich echt entspannend. Ich habe mir die Wiederholung des Fußballspiels angeschaut, das ich neulich wegen dir und Daniel verpasst habe." "Aha, war vermutlich wirklich faszinierend." "Nein, das Spiel war eigentlich eher ereignislos, es fielen nur zwei Tore. Und, wie wars bei dir?" Ich sah aus dem Fenster. "Es war...seltsam", meinte ich schmließlich. Riccardo nickte. "Kann ich mir vorstellen. Diese Sekretärin hat mich aber irgendwie genervt. "Du sie auch. Wohin fahren wir eigentlich?" "Giulia meinte, wir sollten noch schnell bei Mum vorbeifahren. Sie würde dich gerne sehen. Kann sein, dass Alessandro auch noch kommt." Ich schluckte. "Weiß eure Mutter, dass..." "Du versucht hast Alessandro umzubringen? Nein, wir fanden nicht, dass wir ihr das sagen müssen. Alessandro hat da so ein Mädel kennen gelernt, sie hat  zwar versucht, ihn zu erschießen, aber ansonsten ist sie wirklich spitze! Das würde sich doch eher blöd anhören." Er grinste. "Keine Sorge, sie wird dich mögen."

Das tat sie dann auch wirklich, aber vorher machte ich mir natürlich trotzdem Sorgen. Als wir vor der Tür des kleinen, abgeschiedenen Gutes standen, zitterten meine Hände ein wenig und das Herz klopfte mir bis zum Hals. Die Tür öffnete und eine zierliche Frau mit langem, dunklen Haar, das am Ansatz langsam grau wurde, stand vor uns. Sie grinste und umarmte zur Begrüßung sofort Riccardo. "Du bist so groß geworden!", stellte sie fest. "Du bist mir wirklich über den Kopf gewachsen!" "Das ist er schon seit er vierzehn war!", kam Giulias Stimme aus dem Inneren des Hauses. Dann trat die Mutter der di Lauro Geschwister vor mich und musterte mich. Als ich sie sah konnte ich auf den ersten Blick wenig Ähnlichkeiten mit ihren drei Kindern feststellen, sie war kleiner, blasser und hatte hellere Haare und ein sehr schmales Gesicht. Aber als sie lächelte stellte ich kleine Gemeinsamkeiten fest, ich erkannte Alessandros gerade Nase, Giulias geschwungene Lippen und Riccardos etwas schiefes Lächeln. "Du musst Domenica sein. Warte nein, du findest Avery besser, das hat Alessandro mir schon am Telefon erzählt. Du bist wirklich ein wunderschönes Mädchen, du hast Concettas tolle Augen geerbt. Um die habe ich sie immer beneidet, das kann ich dir sagen. Ich bin Benedetta!" Sie umarmte mich zur Begrüßung. "Sie kannten meine Mutter?", fragte ich neugierig. "Oh, ja, wir waren Freundinnen. Wir waren zwei hüsche Mädchen aus reichen Mafiakreisen, wir gingen immer zusammen auf Bälle, wir kauften ein, wir gingen aus...Ach ja, das waren Zeiten!" Sie blickte verträumt ins leere, schüttelte dann aber den Kopf und klatschte in die Hände. "Aber das ist lang, lang her. Setzt euch erstmal hin und esst etwas Kuchen!" Sie führte uns in ein kleines, rustikal und gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer, wo Giulia schon am Tisch saß und Kuchen aß. Wir setzten uns zu ihr und Benedetta stellte uns große Stücke Kirschkuchen hin. "Ist es nicht seltsam", meinte sie, "dass ich früher nie gekocht oder gebacken habe und es jetzt ständig tue?", fragte sie, während ich eine Gabel von dem Kuchen, der wirklich köstlich war, aß. Riccardo schüttelte den Kopf. "Das liegt daran, dass du früher eine Köchin hattest und jetzt nicht mehr." Benedetta schüttelte den Kopf und fuhr Riccarddo lächelnd durch die Haare. "Nein, das mein Sohn, ist wie sich die Menschen ändern. Sie tun es die ganze Zeit, es fällt einem nur nicht immer auf. Man muss ganz genau hinsehen. Und du solltest wirklich einmal zu Frisör gehen."

Hey, geliebte Leser, hier war wiedermal ein Kapitel, danke, dass ihr es gelesen habt!
Tut mir leid, dass das wieder mal ewig gedauert hat, ich war im Urlaub:)
Hab ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ihr die Besten seid? Seid ihr nämlich! Vielen Dank für all die Reads, Votes und lieben Kommentare, das bedeutet mir echt wahnsinnig viel<3
Klopft euch bitte an dieser Stelle auf die Schulter!
Ich liebe euch,
Liz

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