A C H T

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Auf dem Weg zur nächsten Tür, mal wieder die Treppe hoch, dachte Patrick darüber nach, ob er wohl jemals nochmal irgendwas Positives erleben dürfte.
Außerdem fragte er sich, ob dieses ewige Treppen-Gerenne auch nochmal irgendwann ein Ende haben würde.
Hier stand er nun. Vor Tür 8. Ein Drittel hatte er schon mal geschafft. Diesmal kein Schweben. Kein Glitzerhusten und auch keine gelähmten Beine. Stattdessen laute Geräuschkulisse und blendende Lichteffekte. Das konnte nicht wahr sein. Anscheinend hatte die Tür es tatsächlich mal gut mit ihm gemeint. Er war auf einem Konzert. Und nicht irgendeinem Konzert. Auf der Bühne stand eine seiner Lieblingsbands. Was hieß eine... das war seine absolute Lieblingsband!

Drängelnd schlängelte er sich schleppend nach vorne und war einfach nur noch überglücklich. Dabei durchfuhr es ihn wie einen Geistesblitz. Er wollte doch mit seinen Jungs eh nächstes Frühjahr auf deren Konzert und er wollte sich zu diesem Anlass unbedingt das limitierte Fan-Shirt holen. Leider war er bei den Vorbestellungen nicht schnell genug gewesen und auf Ebay hatte er bisher auch vergeblich gesucht. Aber auf Konzerten gab es doch eigentlich immer auch Merchandise-Stände und damit sicherlich auch die Chance, dieses Shirt hier vor Ort kaufen zu können. Unverzüglich machte er sich wieder auf in die entgegengesetzte Richtung, dem Sänger auf der Bühne würde er auch noch im März zujubeln können. Jetzt ging es vorerst ausschließlich darum, einen Klamottenverkäufer zu finden und diesem ein gewisses T-Shirt möglichst günstig abzuluchsen. In einer seine Hosentaschen hatte er neben seinem Handy nämlich tatsächlich noch seinen Geldbeutel ausfindig machen können. Selbstverständlich mitsamt sämtlichen gefälschten Ausweisen.

Schon als er den Stand von weitem sah, konnte er erkennen, dass die Kleidung, die er so begehrte, nur noch ein einziges Mal vorhanden war. Umso überstürzter kam er an dem Stand an, was nicht zuletzt an seinem Kurzstreckensprint auf den letzten 30 Metern gelegen hatte. Leicht außer Atem versuchte er sich lässig auf die Theke zu lehnen, was ihm aber nur geringfügig gelang. „Hey Bruder", sprach er den Verkäufer auf die kumpelhafte Tour an, „das Shirt dahinten, wie viel willst du dafür?" Doch dieser sah ihn bloß unbeeindruckt an: „Das ist unverkäuflich. Ausstellungsstück. Alle auf Vorrat sind schon weg." Nicht schon wieder. Das Shirt hing da doch. Warum zum Teufel wollte der Typ es ihm denn dann nicht geben. Um noch mehr Leute anzulocken und dann ‚Ne sorry, alles weg, kauf' den anderen, teureren Mist' sagen zu können? Vermutlich war es wirklich so. Dennoch wollte Patrick nicht lockerlassen. „Hör mal Kumpel, das ist mir echt wichtig und Digga, weißt du eigentlich wie gut du heute aussiehst?" Ein verschwörerisches Zwinkern, vielleicht sprang sein Gegenüber ja darauf an. Doch vielmehr schien genau das Gegenteil zu passieren. Der Verkäufer wendete sich abschätzig von ihm ab und ging auf einen anderen eventuellen Käufer zu. Schon wieder so ein abgedrehter Kerl mit bunten Haaren. Hoffentlich gehörte der, mal abgesehen davon, dass das einfach nur schwul war, nicht auch noch zu dieser: Wir-müssens-uns-alle-selbsverwirklichen-um-ein-erfülltes-Leben-leben-zu-können-Crew dazu.

Ernüchtert durch den weiteren Fehlschlag hört er beiläufig dem Gespräch der beiden zu. Auch der neue blauhaarige, Toni, wie er sich dem Verkäufer vorgestellt hatte, wollte das Shirt, dass er selbst sich so sehr wünschte. Doch anstatt dass auch dieser eine Abfuhr bekam, bot der Hurensohn von Verkäufer ihm auch noch Nachlass an. Zurückhaltung war noch nie seine Art gewesen. Wutentbrannt rannte er auf die beiden zu, schrie den Verkäufer an, warum der schwule Lappen das Kleidungsstück kaufen durfte und er selbst nicht, was für ein verlogener Spast er doch sei- und sprang über den Ladentisch. Doch noch ehe er sich versah, hatte er auch schon eine Faust im Gesicht und stolperte rückwärts aus dem leicht erhöhten Stand hinaus. Aus dem Konzert hinaus.

Er blieb noch eine ganze Weile vor der Tür sitzen, wartete, bis das Pochen unter seinem Auge verschwunden war und betrachtete in der glänzenden Oberfläche der Buchstaben an der Tür sein langsam anschwellendes und blau werdendes Auge.

Diese Aktion war das Wort Ungerechtigkeit wirklich nicht wert gewesen.

#Adventskalender2017 ~ Hinter verschlossenen TürenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt