D R E I U N D Z W A N Z I G

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Tür 23. Jetzt war es so weit. Was auch immer die Person ihm vor 2 Türen hatte mitteilen wollen, er würde es jetzt erfahren. Tief durchatmen und –

Schwarz. Alles schwarz. Oh er hasste es. Erblindung war wohl die höchste Strafe, die man jemandem auferlegen konnte. Denn blind war er machtlos. Keine Orientierung, kein Gleichgewicht, er würde es nicht mal mitbekommen, wenn jemand einen Meter neben ihm stand. Er war ausgeliefert. Warum er so drastisch dachte? Er wusste es selbst nicht genau. Wahrscheinlich, weil von allem, das er spürte, allem um ihn herum – auch wenn er nichts sehen konnte – diese bedrohliche Aura ausging. Und dann gingen Lichter an.

Schwach, wie Fackeln, aber wenigstens war er nicht mehr blind. Und dann, im fast selben Moment, wünschte er sich die völlige Dunkelheit zurück. Er war nicht vorbereitet auf das, was er jetzt sah, würde sich am Liebsten einreden, dass das alles in seinem Kopf passierte, dass das alles lediglich Einbildung war. Aber das war es nicht. In dieser verrückten Parallelwelt, so unrealistisch das alles hier auch wirken mochte, war es dennoch echt. Er würde nicht drum herumkommen, herauszufinden, warum Manuel gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl saß.

Doch diesmal war er gefasster, besser beisammen, besonnener. Er würde nicht wie bei seiner Schwester ohne jede Vorsicht losrennen, er würde vorsichtig, die Lage überblickend dahin schleichen. Ja, das war ein Plan. Und gerade als Manuel ihn erblickt hatte, ihm augenscheinlich deutlich machen wollte, dass er hier nichts verloren hatte und umkehren sollte, spürte er schmerzlich das raue Holz an seinem Hals. Von irgendeiner unbekannten Person war er soeben mit einer Art... Zepter außer Gefecht gesetzt worden. Verängstigt klammerte er sich an den rauen Gegenstand, in der Hoffnung so nicht erwürgt zu werden. Aber das schien sein Peiniger eh nicht im Sinn gehabt zu haben.

„Wie lautet dein Name?" „Patrick.", seine eigene Stimme klang erstickt. „Patrick...", die Stimme der Person, die er immer noch nicht gesehen hatte, war höhnisch, „Oh, es ist mir eine Freude, dich kennen zu lernen" Er wurde gewaltsam auf den Boden gestoßen. Doch während er sich sein schmerzendes Handgelenk hielt, konnte er endlich seinen Angreifer betrachten. Er war groß, schmal und vollkommen in schwarze Tücher gehüllt. Der Typ vom Weihnachtsmarkt...

„Wer bist du und wieso hältst du Manuel hier fest?" „Wer ich bin?", wieder dieser unüberhörbare Spott, „Ach, niemand wichtiges. Nur eine verlorene Seele, die vergessen wurde." Patrick schluckte. Das klang... ziemlich brutal. Er fuhr fort: „Und das mit Manuel... komplizierte Sache. Lange Geschichte..." Patricks Blick schien wohl erwartungsvoll ausgesehen zu haben, sonst hätte sein Gegenüber garantiert nicht weitergeredet.

„Aber wenn du das willst kann ich dir die Geschichte, meine Geschichte, gerne erzählen." „Och bitte nicht!", verdammt, hatte er das gerade laut gesagt? Aber es war doch wahr, alle mussten hier immer so unheimlich viel reden... Seine folgenden Worte klangen wie ein einziger Seufzer: „Dann schieß los."

„Jedenfalls...", er hatte den schwarz Eingehüllten wohl aus dem Konzept gebracht. „Ähm... es fing - Eigentlich fing es genauso an wie bei dir. Ich war naiv, selbstverliebt, du weißt ja wie das ist. Aber diese Leute hinter den Türen... die schienen mich gehasst zu haben. Allen voran das Mädchen aus Tür Nummer 1, die andauernd wiedergekommen ist und durchgehend genervt hat. Irgendwann hat's mir gereicht. Es müsste Tür 15 oder 16 gewesen sein, da hatte ich kein Bock mehr. Auf alles hier. Schlussendlich bin ich in dieser Tür verloren gegangen. Hab jeden den ich traf angebettelt, mich wieder Rauzulassen, mir mein altes Leben zurückzugeben, aber keiner hat mich gehört. Sie wollten mich alle immer bloß belehren, mit ihrem Werte-Scheiß und was weiß ich. Es ist Zeit für mich, Rache zu nehmen.

Hier kommt dein kleiner Freund ins Spiel.

Wenn ich ihn hier festhalte, wirst du niemals diese Tür absolvieren können. Wirst nie mehr aus diesem Haus herauskommen. Und alle hier drinnen Anwesenden hätten versagt.", wenn der jetzt noch diabolisch gelacht hätte, wäre jedes Bösewichts-Klischee erfüllt. Aber der Typ war dennoch vollkommen auf ihn konzentriert, merkte nicht, wie Manuel es klammheimlich geschafft hatte, sich zu befreien.

„Nimm's nicht persönlich Kleiner. Das hat nichts mit dir zu tun. Du warst nur leider zur falschen Zeit am falschen Ort..."

Dann drehte er sich um und - bekam voller Wucht sein eigenes Zepter ins Gesicht. In Manuels Augen sah er eine Mischung aus Panik und Triumph und realisierte erst nicht, dass dieser jetzt an ihm zerrte und ihn zum Aufstehen zu bewegen versuchte. „Komm jetzt, steh' auf, bitte!", schrie er ihn an, doch Patrick war wie in Trance. Hektisch sah Manuel sich um, suchte nach irgendeinem Weg, Patrick da wegzubekommen und entschied sich schließlich für den erstbesten, der ihm in den Sinn kam.

Ohne nachzudenken legte er seine Lippen auf die des Braunhaarigen.

Das reichte aus. Patrick erwachte aus seiner Starre und erkannte sofort den Ernst der Lage. Noch ehe er richtig stand, hatte Manuel ihn schon an der Hand und rannte mit ihm zu der einzig sicheren Stelle, dem weiß leuchtenden Rechteck, aus dem er hier reingekommen war.

„Stopp! Hör' auf, bleib stehen!", schrie die düstere Person irgendwo undeutlich im Hintergrund, doch Patrick nahm nur noch zwei Dinge wahr. Ihr Ziel, die Tür, die hier rausführte und Manuels Hand, die ein beständiges, warmes und sicheres Gefühl auf ihn übertrug.

Als sie aber vor der Tür angekommen waren, erkannte Patrick einen erheblichen Fehler in ihrem Fluchtplan. Sie würden hier nicht beide rauskommen. Wahrscheinlich würde keiner der beiden rauskommen. Denn der schwarz Gekleidete konnte genauso aus der Tür raus. Das hieß: entweder einer von ihnen ging und der andere hielt ihn auf, oder sie beide versuchten es gemeinsam.

Sein Gefährte schien in diesem Moment den gleichen Gedanken gehabt zu haben.

Verzweifelt nahm Manuel all seine Kraft zusammen und stieß Patrick, ohne dass dieser irgendetwas dagegen hätte tun können, aus der Tür heraus. „Lauf, hau' ab, ich komme nach" und dann knallte die Tür zu und er konnte nichts weiter ausrichten.

Das vorletzte Wort erklärte all den Schmerz, den er gerade in seinem Herz spürte, verdammt eindeutig.

Liebe.

#Adventskalender2017 ~ Hinter verschlossenen TürenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt