Z W E I

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Frustriert lehnte er sich gegen die Wand. Das war doch alles scheiße. Wieso hatte er auch auf seine Mitmenschen gehört? Warum hatte er ihnen geglaubt, dass dieser Ort hier wirklich ein Drecks Wunder bewirken würde? Aber das half alles nichts. Jetzt ging es nur noch darum, irgendeinen Weg hier raus zu finden und nicht in diesem verdammten Loch zu verrecken. Dieser Junge aus der ersten Tür hatte ihn schon genug genervt und ihm trotzdem nicht weitergeholfen. Aber vielleicht fand er ja doch noch eine andere Tür die sich öffnen ließ? Also ging das ganze Spektakel von neuem los. Die Türen die er bereits probiert hatte, ließ er diesmal gleich links liegen, von denen wusste er bereits das sie nicht funktionierten. Denkbar wäre noch, nach einem Schlüssel... Gott war er eigentlich vollkommen geistig eingeschränkt? Warum war er noch nicht eher auf die Idee gekommen nach einem Schlüssel zu suchen?

Schnell rannte er wieder zur Treppe, suchte die Beistelltische mit den schönen Vasen darauf ab, annehmend, dass unter diesen Blumentöpfen irgendetwas versteckt wäre, oder unter den knarzenden Holzdielen zu seinen Füßen. Alt genug wäre das Haus um so etwas machen zu können.

Nachdem er jedoch jeden Blumentopf ausfindig gemacht und unter jede lose Holzdiele geschaut hatte, sank er wieder in sich zusammen.

So ging das nicht weiter, er war doch sonst nicht so ein Weichei, so eine Heulsuse. Er beschloss, die Türen nochmal gründlicher zu inspizieren. Bei genauerem Hinsehen stellte er fest, dass sie nicht mal wirkliche Schlösser hatten. Zumindest nicht alle von ihnen. Die 14 zum Beispiel, hatte nicht mal eine Klinke, vielmehr einen Tür Knauf, oder dort, die 2, die hatte ein Schloss, aber... Sekunde.

Vorhin hatte er es in die 1 reingeschafft, jede dieser Türen war mit einer Zahl versehen. An sich war es doch nur logisch als nächstes die 2 zu versuchen. Sich innerlich selbst einen Face Palm gebend schritt er auf die Tür zu, drückte zaghaft an der Klinke und war gar nicht mal so sehr überrascht, als die Tür sich tatsächlich bewegte. Als er diesmal eintrat, achtete er bewusst darauf, dass die Tür sich nicht wieder selbst verschloss. Nicht, dass er wieder diesem nervigen Jungen begegnete, der ihn erneut ohne Punkt und Komma voll labern würde.

Der Raum war anders als der Erste. Es war irgendwie kein richtiger Raum. Der Erste war in demselben Stil wie dem der Empfangshalle und den oberen Emporen gehalten, mit Parkettboden und zu großen Teilen auch dem roten Teppich. Dieser hier jedoch unterschied sich von Grund auf. Die Wände waren weiß, steril. Der Boden zwar ebenfalls aus Holz, aber viel moderner, viel mehr wie... diesen Raum kannte er. Er konnte sich bloß nicht erinnern warum. Eigentlich war er zu neugierig um weiterhin in der Tür stehen zu bleiben, aber er wollte wissen, was es mit diesem Raum auf sich hatte. Warum er ihm so verdammt bekannt vorkam. Schließlich war es nicht die Neugier, die ihn dazu brachte seinen Fuß aus dem Türspalt zu nehmen. Es war ein Schrei, von einer Stimme, die er sogar zuordnen konnte.

„Ach, du, hier? Hätte nicht gedacht, dass es soweit kommt."

Tim. Der gute alte Tim Bergmann. Einer der Streber in seiner Klasse, den er seit ihrem ersten gemeinsamen Referat schon öfters dazu gezwungen hatte, für ihn die Hausaufgaben zu machen. Ganz einfach, weil er selbst darauf keine Lust gehabt hatte und wusste, dass Bergmann's Mutter nicht allzu begeistert davon wäre, diverse anzügliche Videos auf dem Handy ihres Sohnes, das sie regelmäßig kontrollierte, zu finden. Ein gewisses Unwohlsein machte sich in seiner Magengegend breit. In diesen Räumen, hinter diesen abgesperrten Türen, fühlte er sich so ausgeliefert, so hilflos.

„Wen haben wir denn hier? Den coolen, beliebten, unheimlich cleveren: Patrick Meyer" Der Sarkasmus schwang deutlich in seiner Stimme mit. Gab es in diesem Haus einen einzigen Streber, der ihn nicht zu verachten schien?

Doch bevor Patrick noch etwas erwidern konnte, schob der braunhaarige Junge ihn auch schon in Richtung seines Kleiderschranks. Jetzt wusste er auch, wo der Schrei hergekommen war. Die Mutter des Jungen war auf bestem Weg in dessen Zimmer. „Versteck dich im Schrank, sie kann es gar nicht ab, wenn ich Besuch habe bevor ich mit lernen fertig bin." Gehorsam ließ sich Patrick in den Schrank verfrachten, der, zu seinem Überraschen, unerwartet geräumig war. Er konnte bequem jede Pose einnehmen die er wollte, ohne auch nur ein einziges Geräusch von sich zu geben.

Etwas von sich selbst über seine Kooperationsbereitschaft erstaunt, betrachtete Patrick, wie Tim achtsam die Tür vor ihm schloss und dann zu seinem Schreibtisch eilte.

Richtig.

Auch das konnte er noch beobachten.

Aus einem –mal wieder unbekannten- Grund war die Kleiderschranktür durchsichtig, er hatte das gesamte Zimmer im Blick. Keine Sekunde zu früh saß sein Klassenkamerad auf seinem Stuhl, denn im gleichen Moment schwang die Tür auf und die misstrauische Mutter stand dort.

„Ich habe unten schwere Schritte gehört, ist hier noch jemand?", ihr Ton hatte etwas gefährlich Bissiges, was selbst Patrick einschüchterte. „Nein, ich hab' bloß eine von diesen Übungen aus unserem Sportskript geübt, hat leider nicht ganz geklappt." „Ach ja, wegen dem 3000 Meter Lauf gehst du bitte heute Abend auch nochmal Joggen. Ich möchte, dass du mindestens die 13 Minuten läufst." Laufen? Heute? Es waren verdammte 5 Grad! Und Bergmann war alles andere als sportlich, der wäre wohl schon zufrieden, wenn er die Mindestzeit für diesen besagten Lauf schafft...

„Außerdem habe ich hier noch ein paar Unterlagen für die Chemiegleichungen und wir gehen nachher deine Englische Analyse durch. Wenn ich mehr als 5 Fehler finde schreibst du mir wieder einen Korrekturbericht, verstanden?"

Allein durch die Art der Mutter wurde Patrick jedes Mal aufs Neue übel. Diese Frau hatte das Prinzip von Kindheit definitiv nicht verstanden.

In dem Moment, in dem die schrullige Frau wieder verschwunden war, schaltete Tim seinen Monitor ein, schloss die Alibi-Lernseiten, die noch offen waren und öffnete stattdessen ein Computerspiel. Definitiv ohne das Wissen der Mutter. Anscheinend war er doch nicht der Streber in Person. Er hatte tatsächlich etwas typisches Jugendliches irgendwo in sich drin. Und Patrick hatte ihn immer für die langweilige, gefühlslose Lernmaschine gehalten. Vielleicht würde Patrick ihm in Zukunft nicht mehr das Bearbeiten seiner Hausaufgaben aufzwingen. Stattdessen könnte er ihn ja auch... entlohnen? Indem er ihm zum Beispiel eines seiner Videospiele auslieh, dafür wäre ihm Tim sicherlich dankbar und dementsprechend häufiger bereit, ihn in seiner Faulheit zu unterstützen.

Er wollte gerade wieder aus dem Schrank treten, um diesem von seiner Idee zu berichten, als er anstatt ins Tims Zimmer, plötzlich wieder in dem altbekannten warmen Flur stand.

Und an der Tür stand ein Wort, dass er an sich zwar kannte, allerdings nicht wirklich definieren konnte.

Solidarität.

#Adventskalender2017 ~ Hinter verschlossenen TürenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt