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So zügig wie jetzt war er noch kein einziges Mal auf der Jagd nach der nächsten Tür gewesen. Immer noch beflügelt von all dem Glück konnte er es kaum erwarten, durch die nächste Tür zu gehen. Die Hälfte hatte er bereits geschafft. Er war voller Optimismus, dass es jetzt nur noch bergauf gehen konnte. Und dieser Optimismus schwand auch nicht, als er sah, dass sich sein heutiger Aufenthaltsort nur geringfügig vom Letzten unterschied.

Nachdem er durch die zwölfte Tür getreten war, befand er sich an keinem geringeren Ort als seinem üblichen Klassenzimmer. In der letzten Reihe konnte er Manuel, wie er leibte und lebte, in sich zusammengesunken und ganz seinem üblichen Auftreten gerecht, erkennen. Er registrierte, dass er seit ihrer ersten Begegnung hier viel mehr auf ihn achtete, ihn viel deutlicher wahrnahm. Doch das verlor recht schnell an Bedeutung, als sich seine übliche Truppe in sein Sichtfeld drängte.

Sofort auf diese zusteuernd, begrüßte er jeden von ihnen mit Handschlag. Doch er merkte schnell, dass irgendwas anders war. Sie redeten zwar mit ihm wie immer, aber sie sagten noch mehr. Nur das sich dabei ihre Lippen nicht bewegen. Es ist, als würde er ihre Gedanken lesen können, als wäre er telepathisch mit jedem den er ansah verbunden.

„Tim! Timbo-boy-" „Jo was geht, du kleiner Motherfucker"

„Alter, ich fick deine Mutter", es war eine der üblichen Unterhaltungen zwischen den beiden.

„Klar Patrick, du, der große Macker. Wetten der ist noch Jungfrau..."

„Was hast du gesagt?", fuhr Patrick seinen eigentlich besten Freund an. Dieser starrte bloß verblüfft. „Ich hab' gar nichts gesagt..."

„Der wird auch immer behinderter. Locker ist sein Hirn nur Wallnuss-groß... Aber man fragt sich ja generell, was er auf'm Gymnasialzweig sucht." Verzweifelt hielt er sich den Kopf. Das sollte aufhören. Das war eindeutig Tims Stimme, aber... Tim dachte nicht so über ihn. Niemals! „Hast du Kopfschmerzen?" Ein schnelles Kopfschütteln.

„Leute wie er werden eh niemals erfolgreich. Der kann' froh sein, wenn er überhaupt irgendwelche Drecksarbeit erledigen darf." Plötzlich lachten alle um ihn herum auf. Angsterfüllt beobachtete er, ob diese Lacher ihm galten, oder dem eben Gesagten von Tim, aber das konnte nicht sein. Er war der einzige, der offensichtlich telepathisch dessen Gedanken empfangen konnte. Beziehungsweise das, was er für Tims Gedanken halten sollte. Dass sie es tatsächlich waren, weigerte er sich, zu akzeptieren.

Glücklicherweise hatte sich das Gespräch längst in eine andere Richtung entwickelt. „Vor allem Leute, ich hab' vorhin Markus' Brille geklaut, schaut euch das mal an", erklärte Tim und setzte die vor Nerdigkeit triefende Brille auf. Auch Lukas, bzw. Stegi –irgendwie mochte er den Namen- war unbegreiflicherweise an der Konversation beteiligt: „Oh Tim, durch die Brille wirst du leider auch nicht schlauer." Das war jetzt schon der dritte, eher stumpfe Spruch seitens' Stegi und Tim reagierte prompt:

„Alter Lukas, was ist eigentlich deine Mission?" Patrick lachte, wie der Rest der Runde, herzhaft auf. Der Konter war verdammt gut gewesen. Lukas verzog sich wieder, doch ein Blick zu Tim verriet ihm, dass Patrick lieber die Klappe hätte halten sollen. „Du brauchst gar nicht so zu lachen, du Esel, für dich gilt genau das gleiche." Und äußerlich lachte Tim genauso vergnügt wie alle anderen. „Du hast doch 'nen Schaden...", murmelte Patrick vor sich hin, mehr zu sich selbst, als zu Tim, doch dieser hatte es trotzdem gehört.

„Sag mal, warum bist du denn heute so?" „Wie bin ich denn?", selbst das klang trotzig. „Keine Ahnung. Halt voll abweisend. Digga, hab' ich irgendwas falsch gemacht?"

„Nein!", sein alter Hang zum Sarkasmus kam wieder aus ihm raus, „du hast überhaupt nichts gemacht. Ich bin bloß dem Anschein nach der größte Hirnlose, zu verachtende Esel mit dem du Bekanntschaft machen musstest."

Tim sah ihn entgeistert und gleichzeitig fassungslos an, doch Patrick wollte nichts weiter von ihm hören, weder aus Tims Mund, noch in seinem eigenen Kopf, und so drehte er sich zielstrebig um und verließ diesen Raum.

Vor der Tür hingegen war alles Stolz und Selbstsicherheit aus ihm entwichen. Er raufte sich die Haare, während er seine gesamte Freundschaft mit Tim in Frage stellte. Sobald er hier raus war, würde er ihn zur Rede stellen. Was zwar peinlich werden könnte, wenn die Tür sich das alles nur ausgedacht hatte, aber er musste wissen, woran er war.

Und er wusste nicht im Geringsten, was das Wort Selbstachtung mit der heutigen Tortur zu tun gehabt haben sollte.

#Adventskalender2017 ~ Hinter verschlossenen TürenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt