Kapitel 4

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Begin: November 2016
End: November 2016
Processed: 25.07./14.08.17
Words: 1841
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Luft. Ich brauche Luft.

Ich fasse an meinen Hals und schnappe nach Atem, doch meine Lunge füllt sich nicht mit Sauerstoff. Ich ersticke. Panisch versuche ich aus dem Bett zu kommen, stolpere über die Bettdecke und falle auf den Boden, doch mein einziger Gedanke ist –
Luft.

Meine Arme zittern als ich mich abdrücke und mich auf die Füße stemme, meine Füße zittern als ich stehe. Mein ganzer Körper zittert. Ich halte mich an allem fest, was in meiner Reichweite ist, stolpere zum Balkon, knalle gegen die Scheibe.
Luft.

Meine Finger greifen nach dem Stoff des Vorhanges und ziehen ihn zur Seite, dann schieben sie die Tür auf und ich stürze nach draußen.
Luft!

Ich ziehe den Sauerstoff in meine Lungen, lasse mich davon erfüllen, ausfüllen, einnehmen. Meine Hände liegen auf meiner Brust und ich unterdrücke das Schluchzen, welches meine Kehle verlassen will. Der salzige Geschmack meiner Tränen vermischt sich mit dem Geruch von Meer und kreiert etwas neues, einzigartiges, für niemanden sichtbares. Mein Herz rast, stolpert in dem Versuch einen Rhythmus zu finden, der meinen Körper mit genügend Blut versorgt. Es schmerzt. Mein Herz, die Bilder in meinem Kopf, mein gesamter Körper schmerzt und obwohl dieses Gefühl nicht unbekannt ist, ist es nicht weniger intensiv. Nicht weniger erdrückend. Die Dunkelheit verschlingt mich, lässt meinen Geist verblassen und die Nacht versteckt meinen Körper. Meinen hässlichen, knochigen Körper.

Es raschelt – oder täusche ich mich da? Ich kann meinen Sinnen nicht mehr trauen, meine Augen sehen ohnehin nichts mehr in der Dunkelheit. Von wegen, Aaron macht mich zum Abendessen wach. Er hat mich vergessen oder wollte bereits nach dem ersten Tag seine Ruhe vor mir, verübeln kann ich es ihm ja nicht.

Auf einmal erblicke ich doch etwas, blinzelnd, meine Hände vor den Augen haltend sehe ich auf, durch meine Finger hindurch in das Licht.
„Prinzesschen? Was machst du da?" Diese arrogante, abfällige Art und Weise wie er den Kosenamen ausspricht lässt mich würgen, schnell reibe ich mir über meine Augen, damit er die Tränen nicht sieht. „Ich genieße die Ruhe der Nacht, die du jetzt durchbrochen hast", erwidere ich mit erstickter Stimme. Ich hoffe, er bemerkt es nicht, dass sie tonlos ist, rau, schwankend, oder spricht es an. „Ist alles in Ordnung?"

Ich will ihm den Kopf abreißen. Wieso muss er fragen? Wieso kann er nicht einfach gehen und mich alleine lassen, wie jeder andere auch? Aber vor allem, wieso muss er auf einmal so nett sein? Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Vielleicht sollte ich auch einfach gar nicht antworten und in meinem Zimmer verschwinden, ohne etwas zu erwidern. Keine Ahnung, warum ich nicht einfach lüge, so wie jedes Mal, aber ich bin in dieses Land gekommen, um ein neues Leben anzufangen. Nicht um dort weiterzumachen, wo ich begonnen habe.

„Was sollte schon sein?", frage ich stattdessen, entscheide mich für eine Zwischenlösung und antworte einfach gar nicht. „Man antwortet nicht mit Gegenfragen", erwidert er, woraufhin ich die Augen verdrehen muss, da dieser Satz eigentlich vorhersehbar war. Er sorgt sogar dafür, dass meine Mundwinkel sich ein Stückchen heben, weil es eine so kindische Antwort ist, die ich niemals von ihm erwartet habe.

Meine Augen gewöhnen sich langsam an die Dunkelheit und an das Licht, welches mir aus Lukes Zimmer entgegen scheint. Nun erkenne ich auch seinen besorgten Gesichtsausdruck, der in meinem Bauch ein seltsames Gefühl hinterlässt, welches ich wieder einmal nicht zuordnen kann. „Manchmal habe ich eine Art Asthma - Anfall und bekomme sehr schlecht Luft", erkläre ich gekonnt, mit einem geübten Lächeln auf den Lippen, welches über Jahre hinweg perfektioniert wurde. In Kombination mit einem bedauerlichen, traurigen und hilflosen Tonfall ergibt es dann eine Lüge, die leicht über die Lippen geht und jeder glaubt. Somit scheitert mein Vorhaben, nicht zu lügen, aber die Worte kamen, bevor ich mir darüber Gedanken hätte machen können, aus meinem Mund und nun ist es zu spät. Um ehrlich zu sein, bin ich froh darum, dass mein Mund schneller war, als der Rest meines Körpers, denn ich weiß nicht, was ich will.

Splitterseele Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt