Kapitel 35

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Ich sitze in Sams Auto auf dem Weg zum Internat und lasse mir den Wind, der durch die geöffneten Fenster in den kleinen Wagen kommt, ins Gesicht wehen. Sie hat darauf bestanden, dass ich mit ihr fahre – wobei Luke mich bestimmt sowieso nicht mitgenommen hätte – um Pläne zu schmieden, wie ich mich bei Luke entschuldigen kann. Dabei will ich mich gar nicht bei ihm entschuldigen. Also ich will schon, aber ich darf nicht. Kompliziert. Alles ist so kompliziert.

„Du könntest ihm eine Falle stellen und so tun als wärst du ohnmächtig. Wenn er sich über dich beugt, dann küsst du ihn ganz einfach, er erwidert den Kuss natürlich und wenn ihr euch voneinander löst, entschuldigst du dich, während ihr euch tief in die Augen seht. Und dann ist alles wieder gut.“

Ich schnaube bei diesem völlig absurden und naiven Vorschlag. „Und dann ist er wütend auf mich, weil ich ihn reingelegt habe. Toller Plan, Sam“, erwidere ich ironisch, sehe ihr dabei zu wie sie die Augen verdreht.

„Ich habs!“, ruft sie sarkastisch, „Schnapp dir ein Einhorn und flieg zu ihm, trage ein Gedicht vor und dann kommt er freiwillig zu dir zurück. Wenn nicht, dann kannst du ihn immer noch mit deinen Zauberkräften verzaubern.“

Ich verdrehe ebenfalls die Augen und lehne mich weiter aus dem Fenster, achte auf meine Umgebung, damit ich nirgends dagegen stoße.

„Mensch, Kanela. Du musst etwas tun, sonst wird das nichts.“

Vielleicht ist das auch besser so, doch das sage ich ihr nicht. Sie würde es nicht verstehen. Ich muss an Jane denken und an ihre Magersucht – sie weiß am ehesten wie ich mich fühle.

„Du bist so stur!“, blafft sie mich an. „Ach, bin ich das?“, frage ich mit scharfem Unterton.

Sie bleibt einige Zeit lang ruhig. „Sieh nur, was du angestellt hast. Wir zicken uns an wie unreife, kleine Kinder oder Tussen. Wir sind weder unreife, kleine Kinder noch sind wir Tussen, sondern ausgewachsene, edle Damen, also streng dein Köpfchen an und überleg dir was wegen Luke und jetzt – beweg deinen Arsch aus meinem Auto.“

Ihre Ausdrucksweise bringt mich zum kichern und ich steige aus dem Auto, schlage die Tür hinter mir zu und fahre mir demonstrativ durch die struppigen Haare, recke das Kinn in die Höhe und begutachte meine Fingernägel unter denen ein paar Sandkörner sind. Ich puhle sie heraus, dann sehe ich zu Sam.

„Miss-“, sage ich hochnäsig, „ich bräuchte eine neue Maniküre, aber flott flott. Sie wollen doch nicht, dass ich Sie feuere.“ Sam grinst kurz, sieht mich dann aber ganz ernst und schuldbewusst an, während sie zu mir kommt.

„Verzeihen Sie, Gnädigste. Kommen Sie mit mir in mein Schlafgemach, ich werde Ihren Fingernägeln zeigen, was eine gute Maniküre bedeutet.“ Ich rümpfe die Nase und harke mich bei ihr unter, versuche anmutig über den Schulparkplatz zu laufen.

„Das will ich auch hoffen“, erwidere ich spitz, fühle mich auf einmal Selbstbewusst und schön. Einige Schüler, die ebenfalls angekommen sind, sehen uns verdattert an, woraufhin Sam ihnen einen Kussmund zuwirft.

„Noch nie so attraktive Damen gesehen? Mund zu, bevor euch die Mücken hinein fliegen“, meint sie zu einer kleinen Clique. Daraufhin zwinkert sie ihnen zu, was sie noch mehr verwirrt und zieht mich mit sich in das Internatsgebäude. Lachend lehnen wir uns an die Wand und gerade, als ich mich wieder beruhigt habe, muss ich an die Mienen der Clique denken und pruste erneut los.

„Oh man, hast du gesehen wie der kleine Blonde geschaut hat?“, frage ich und Sam nickt lachend, nach Luft ringend, unfähig mir in Worten zu antworten.

Erst langsam beruhigen wir uns und japsen nach Luft, als auf einmal der besagte Blonde durch die Eingangstür kommt. Er sieht uns an und bleibt stehen. „Hey Sam“, meint er schüchtern und sieht kurz zu der Tür und wieder zurück, „bist du wirklich nicht mehr mit Aaron zusammen?“

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