Kapitel 17

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Ich wälze mich im Bett hin und her, jedoch finde ich einfach keine Position in der ich einschlafen kann und die Gedanken an Aaron plagen mich immer noch zu sehr, um mein Gehirn abschalten und somit schlafen zu können. Außerdem schwirren das Lachen von Grace, Clint und Aaron in meinem Kopf und ich möchte sie nicht vergessen, möchte nicht, dass der Tag vorbeigeht. Dieser Tag, an dem ich anders war. An dem ich so war, wie ich gerne immer sein möchte. Mutig, lustig, gesellig, gut.

Seufzend stehe ich auf und schleiche auf meinen Balkon, um in den Himmel sehen zu können. Aaron wollte einfach eine Schwester, die er umarmen kann und mit der er Spaß hat und jetzt, jetzt hat er mich. Eine Schwester, die sich nicht einmal in den Arm nehmen lässt, wenn man sich Gute Nacht sagt und deren Stimmung schwankt wie ein Schiff bei Sturm.

Ich stütze mich am Geländer des Balkons ab und sehe in den Himmel, beobachte die vielen kleinen Sterne, die längst nicht mehr existieren. Die Entfernung zwischen ihnen und mir ist so groß, dass sie einfach nicht mehr da sind, wenn ich sie erblicke. Verschwunden, als wären sie nie da gewesen, doch wir sehen sie dennoch. Sterne geben mir die Hoffnung darauf, dass ich nach meinem Tod noch gesehen werde. Dass sich jemand mit mir beschäftigt, ich nicht vergessen werde.

Das Rauschen des Meeres erfüllt die Nacht mit einem Klang, welchen ich mit Freude begrüße. Ein Klang nach Freiheit und Kraft, falls man sie benötigt und der dennoch seelige Ruhe in sich trägt. Kann ein Klang etwas mitsichtragen?

Auf einmal wird mir klar, dass ich Deutschland gar nicht vermisse. Ich vermisse das Café nicht, in dem ich jeden Tag gesessen und Djego zugehört habe. Ich vermisse Anna nicht, habe kein einziges Mal an sie gedacht. Auch wenn ich mich schlecht dabei fühle, fühle ich mich gleichzeitig unendlich frei, denn ich habe Freunde gefunden – nach nicht einmal einer Woche – und habe Spaß mit ihnen. Oder zumindest das, was ich darunter verstehe. Mein Leben ist schwieriger geworden, weil es fremder geworden ist, aber es ist auch nicht schlechter. Mir wird klar, dass hier immer mein zu Hause sein wird, es bereits ist. Fremde Menschen. Fremdes Land. Fremde Sprache.

Mein zu Hause.

Ein Lächeln ziert mein Gesicht und ich atme erleichtert die frische Nachtluft ein, lasse sie durch meine Lungen meinen Körper mit reiner Hoffnung ausfüllen. Es riecht salzig, wohlig, nach Meer.

„Noch wach?“ Überrascht blinzelnd sehe ich zur Seite und erblicke eine Gestalt auf dem Balkon neben mir. Nur knappe 2 Meter trennen uns voneinander und seltsamerweise macht es mir nichts aus. Es scheint als hätte sich die Stimmung zwischen Luke und mir innerhalb eines Tages so drastisch verändert, dass es schon fast unmöglich ist. Es ist so unmöglich, dass ich es nicht glauben kann, aber es ist die Wahrheit. Seine Stimme ist ruhig und freundlich, hat nichts von der Arroganz die sonst immer aufzufinden ist. Das Angebot war das Beste, was mir passieren konnte, die beste Idee seit langem – abgesehen davon hierherzukommen.

Ich gehe ein paar Schritte näher zu ihm und warte bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben. „Ich konnte nicht schlafen“, gebe ich zu und er nickt, als würde er wissen was ich meine. So, als würde er mich schon Jahre kennen und vielleicht weiß er bereits mehr über mich als die Waisenkinder, die mich Jahre lang kannten. Wer weiß, was ich ihm erzählt habe, während ich schlief und nichts davon mitbekommen habe.

„Schicker Schlafanzug.“ Auf mich herabblickend gebe ich ein Zischen von mir und funkle ihn wütend an, aber nicht die Art Wut, die ich auf Fynn oder Samuel verspürt habe. Es ist mehr die gespielte Wut, die Grace an meinem ersten Tag auf Aaron hatte. „Lass meine Häschen in Ruhe auf meinem Schlafanzug hüpfen“, verteidige ich mich und meinen rosanen Schlafanzug, den ein Kleinkind in einem Kinofilm tragen könnte.

Seine Augenbrauen wandern überrascht in die Höhe, wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass ich meinen Schlafanzug verteidige, dass ich mich verteidige, wobei er mittlerweile eigentlich wissen müsste, dass mir Kleidertrends völlig egal sind. Solange sie das verstecken, was sie verstecken sollen – wobei ich gerne einmal ein Kleid mit Rückenausschnitt anziehen würde und gerne einmal eine kurze Hose tragen würde und gerne einmal mein Top über meinem Bauchnabel knoten möchte und gerne einmal am Tag schwimmen gehen würde.

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