Kapitel 36

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Ich habe wie erwartet nicht geschlafen und scheinbar sehe ich so krank aus, dass Sylvia mich krank gemeldet hatte. Also lag ich den gesamten Tag im Bett, habe darauf gewartet mit Luke konfrontiert zu werden, doch er kam nicht. Und irgendwann wurde es wieder dunkel und mein Magen knurrte, weil ich nichts gegessen habe, obwohl Sam und Jane mir eine Suppe vorbei gebracht haben. Ich habe so getan als würde ich schlafen, als sie kamen, denn ich will weder essen noch reden noch Gesellschaft haben. Ich will gar nichts. Nur da liegen. Und warten. Auf Luke. Oder etwas anderes. Ich weiß es nicht. Vielleicht will ich auch überhaupt nichts.

Irgendwann war ich so müde, dass ich eingeschlafen bin – doch aufgewacht bin ich auch, mehrmals, weinend.

Nun sehe ich auf das Blatt Papier in meinen Händen. Ich habe gegen Luke verloren, bin eine Niete und er ist der Größte und der Beste überhaupt.

Ich greife nach dem Tesafilm, reiße ein Stück ab und befestige den Zettel an meinem T-Shirt. Drei weitere Klebestreifen, damit er nicht abfällt.

Es ist Dienstag und ich weiß nicht, was ich mir erhoffe, aber ich habe das Gefühl, dass das das Richtige ist. Vielleicht ist es gerade deswegen falsch, doch ich habe mich dazu entschieden, mich zu entschuldigen und mich…darauf einzulassen und dieser Zettel ist ein Anfang. Ein Beweis dafür, dass er sich auf meine Versprechen verlassen kann, auf mich verlassen kann und dann werde ich mich entschuldigen – irgendwie.

Mit zittrigen Händen verlasse ich das Zimmer, gehe an anderen Schülern vorbei zu der Kantine. Jeder sieht zuerst auf den Zettel, dann lachen sie oder schmunzeln oder verdrehen die Augen oder sagen zu mir, dass sie mich mutig oder kindisch finden. Mir ist das egal. Mir ist das alles egal. Und ich hätte nie geglaubt, dass es mir egal sein könnte, doch es ist mir egal, weil ich das hier für Luke mache. Nicht für mich.

Ich weiß nicht, wo er heute Nacht geschlafen hat, aber Sylvia hat nichts gesagt, hat nicht gefragt, wo er ist. Also hat er mit ihr geredet, hat sich eine Ausrede einfallen lassen, wieso er nicht bei mir schlafen kann. Vielleicht hat er gesagt, dass ich verrückt bin. Dass er nicht weiterhin mit mir in einem Zimmer verbringen kann.

Ich betrete die Kantine, versuche die Schüler nicht zu beachten, die tuschelnd zu mir sehen. Es ist mir egal. Es ist mir egal. Mir ist das alles egal. Mein Blick ist auf Sam gerichtet, die an unserem Tisch sitzt, da ich mich nicht umschauen will, nicht sehen will, wer mich alles sieht, obwohl mich wahrscheinlich kaum jemand beachtet und weil ich Luke nicht sehen will – wobei ich ihn sehen will.

„Morgen“, krächze ich, setze mich auf einen Stuhl neben Sam und sehe auf. Ein Zucken geht durch meinen Körper, als ich seinem Blick begegne. Es verschlägt mir die Sprache. Es verschlägt mir den Atem. In seinen Augen erblicke ich glitzernden Schmerz, der nur größer wird je länger wir uns ansehen und ich verfluche mich dafür, diesen Zettel an mein Shirt geklebt zu haben und ich verfluche mich dafür, dass ich die Kantine betreten habe und ich verfluche mich dafür, dass ich meinen Blick nicht abwenden kann.

Fynn räuspert sich und ich sehe zu ihm. Seine Augenbraue ist gehoben. Es ist so laut um uns herum, dass es nicht auffällt das alle an unserem Tisch unheimlich leise sind.

„Wieso tust du mir das an?“, fragt Luke leise und ich zucke noch mal zusammen, seine Stimme klingt so schmerzerfüllt. „Ich-“, beginne ich, will etwas sagen doch er unterbricht mich in dem er aufsteht.

„Ich habe schon kapiert, dass du keine Gefühle für mich hast, dann brauchst du mir auch nicht noch eins reinzuwürgen. Ich brauche Zeit und Raum, damit ich damit fertig werden kann und ich kann ja verstehen, dass du das nicht nachvollziehen kannst, wie auch, aber das tut weh, Kanela. Es tut verdammt weh.“

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