Kapitel 19

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Gerade als ich auf den Balkon komme und Luke die Leiter wieder zurückgebracht hat - keine Ahnung woher er diese gestern hervor geholt hatte - betreten Grace und Aaron diesen. „Wo warst du denn? Wir haben dich gesucht", meint Grace mit ihrer wütenden Stimme, die doch liebt klingt und ich sehe ertappt auf den Boden.

Aaron sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten kann, aber ich denke, dass er nach wie vor enttäuscht ist, weil ich ihn nicht umarmen wollte. Ich versuche meine Haare etwas zu richten, die an der Kopfhaut noch feucht sind, wobei ein paar Sandkörner auf den Boden fallen. Sie glitzern und ich finde sie perfekt dort, auf dem Boden, auch wenn sie niemand sieht außer mir.

Bevor ich antworte, richte ich meinen Blick wieder zu Grace, damit ich nicht unhöflich wirke. „Ich war mit Luke den Strand ansehen", erkläre ich, doch mir fällt selbst auf, dass dieser Erklärung nicht ausreichend ist, „Ich konnte heute Morgen nicht mehr schlafen und dann bin ich durch die Terrassentür nach draußen gegangen und zufälligerweise war Luke auch da und ist dann mit mir gekommen."

Grace nickt und ich befürchte, dass sie gleich ausflippt und mich anschreit, doch sie bleibt ruhig, lächelt sogar. „Ich bin froh, dass du dich so gut eingelebt hast und dich scheinbar auch gut mit Luke verstehst. Das nächste Mal will ich jedoch einen Zettel auf deinem Bett, auf dem steht, wo du bist und wenn du weiter weg gehst, sagst du einem von uns Bescheid." Ich nicke erfreut und so stark, dass ich Kopfschmerzen bekomme. Grace ist ein Traum. Sie kneift noch einmal auf ihre gespielt wütende Art und Weise die Augen zusammen und verschwindet dann von meinem Balkon und aus meinem Zimmer.

„Er war zufällig da?", fragt Aaron, der die Augen auf keine gespielt wütende, sondern auf eine misstrauische Art und Weise, zusammengekniffen hat. Denke ich. Verwirrt runzle ich die Stirn, so wie es Luke immer macht, und nicke. „Ja, er war auf dem Balkon", sage ich und zeige hinter mich, zu besagter Stelle. „Ich hätte nicht gedacht, dass er dich so schnell rumkriegt", meint er auf einmal trocken, total ernst. Ich will etwas sagen, doch es kommt kein Ton heraus. Hat er das gerade wirklich gesagt?

„Ist das dein Ernst?", frage ich fassungslos, leise, enttäuscht und als er nichts sagt, weiß ich, dass es sein Ernst ist. Meine Augen fangen an zu brennen. „Ich lasse mich nicht einmal von dir umarmen und du denkst, dass ich dann mit ihm...was mache? Ihn küssen? Mehr?" Ein Ekelgefühl steigt in mir auf, habe ich mich so in Aaron getäuscht? Es drückt mir die Luft ab, ich kann nicht glauben, dass er so von mir denkt. Ich habe es verdient, aber ich habe gedacht, er bemerkt es nicht.

Ich wirble herum, kann ihm nicht länger in die Augen sehen, sonst wird die Wut auf mich selbst nur noch größer. Stattdessen sehe ich in blaue Augen, welchen ich nicht ausweiche, die auf einmal eine ganz andere Wirkung auf mich haben als vor zwei Tagen. Sie sind beruhigend, sie wissen Bescheid, sie haben viel gesehen, zu viel, aber sie klagen mich nicht an. Kurz erwidert er den Blickkontakt, dann sieht er an mir vorbei zu Aaron.

„Ist irgendetwas?", fragt Luke ihn und ich bemerke, wie der Blondhaarige sich hinter mir anspannt. „Nein, alles in Ordnung", seufzt er, „ich bin nur - habe schlecht geschlafen."

Luke nickt und zieht die Stirn kraus. „Hast du heute schon was vor?" Aaron schüttelt neben mir den Kopf, das weiß ich auch ohne hinzusehen. „Wie wäre es mit Kino?"

Aaron sieht zu mir. „Willst du mitkommen?", fragt er leise, mir ist klar, dass dies ein Friedensangebot ist, seine Art um Entschuldigung zu sagen. Ich sehe zu Luke, der mich anlächelt und dann nicke ich. „Ich suche ein paar Filme heraus und schreib euch dann. Aaron, du kannst ja eine Gruppe aufmachen", meint Luke und ich hebe verwirrt eine Augenbraue.

„Wir sind Nachbarn." Die Beiden sehen mich an, als käme ich von einem anderen Planeten. „Ja und?", erwidern sie gleichzeitig und ich fahre mir noch einmal durch meine Haare, die nach Salz riechen. Nach Meer riechen. „Naja, wir können auch reden?"

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