Kapitel 15

181 22 23
                                    

Es ist nun bereits zwei Wochen her, seitdem ich mich über sie lustig gemacht habe und ich kann es einfach nicht vergessen. Kein einziges Mal bin ich mit Sam am Wochenende zurück gefahren, obwohl sie mir angeboten hat, mich mitzunehmen. Ich bin noch nicht bereit dazu, das Haus zu betreten und mich von der Stille dort einlullen zu lassen und deswegen bleibe ich im Internat, helfe die restlichen Bücher der Bibliothek in die Regale einzuordnen. Deswegen darf ich mir bereits Bücher ausleihen, obwohl sie offiziell erst in zwei Wochen öffnet. Heute Morgen hat Grace mir jedoch geschrieben, dass Clint und sie Zeit haben, um mit Aaron und mir zum Mittag zu essen. Dass ich die letzten zwei Wochenenden nicht zu Hause war, zu Hause klingt so schön, wissen sie nicht. Ich habe ihr versprochen beim kochen zu helfen und da Sam heute krank wurde, muss ich wieder mit Luke fahren.

Mir graut es davor – er verhält sich weiterhin komisch, distanziert, kalt. Er versucht bei jeder Gelegenheit einen Kommentar von sich zu geben, um mich in die Enge zu treiben, doch mir geht sein besorgter Blick nicht mehr aus dem Kopf. Seine Worte treffen mich, aber sie treffen mich nicht so wie er es gerne hätte. Sie treffen mich auf eine Art und Weise die ich nicht kenne und auch nicht beschreiben kann. Mir geht es besser, nicht gut, aber ich fühle mich unbeschwerter und frei. Letzte Woche ist Jane mit mir im Internat geblieben und wir haben zusammen gelesen. Über die Party haben wir immer noch nicht gesprochen, doch sie hängt über uns wie eine Gewitterwolke – bereit zum Einschlag – aber wir wollen alle nicht darüber reden, was passiert ist.

Luke schlägt die Autotür lautstark hinter sich zu, doch dieses Mal erschrecke ich nicht, zucke nicht unter der Lautstärke zusammen. Es ist das erste Mal seit zwei Wochen, dass wir wieder eng beieinander sind, wir beide wach sind. Natürlich waren wir gleichzeitig wach, das lässt sich nicht vermeiden, wenn man in einem Zimmer wohnt, jedoch ist es anders. Anders mit ihm im selben Auto zu sitzen, wenige Zentimeter voneinander entfernt als mit ihm in einem Zimmer zu schlafen, immer so weit wie möglich voneinander entfernt. Wobei er meistens nicht in unserem Zimmer schläft, sondern bei Sam, Jane und seinen Freunden. Ich weiß nicht, wieso die Betreuer das erlauben, aber scheinbar hat er mit ihnen gesprochen. Manchmal kommt Sam dann zu mir, damit ich mich nicht so alleine fühle. Es ist merkwürdig und schön zugleich, dass sie so etwas macht, allerdings will ich mir nicht so viele Gedanken darum machen. Ich will versuchen nicht aus allem ein Drama zu machen und das funktioniert bisher erstaunlich gut. Naja. Irgendwie.

Wir beide sind angespannt. Wir beide wollen nicht hier sein, nicht beieinander sein, das spüre ich, aber anstatt Musik anzumachen, damit diese Stille aufhört, fährt er einfach los. Unruhig spiele ich mit meinen Fingern, sehe abwechselnd aus meinem Fenster und wieder zu ihm. Dass muss ihn bestimmt stören, bestimmt auffallen, doch er sagt nichts, macht nichts – außer fahren.

„Kannst – können wir vielleicht Musik hören?", frage ich nach einer Weile, als ich es nicht mehr aushalte. Wenn ich nichts höre werden meine Gedanken lauter und meine Gedanken schreien mich gerade an. Meine Stimme zittert, doch Luke schaltet die Musik an. „Ist alles klar bei dir?"

Was für eine dumme Frage. Sie macht mich wütend. Schnaubend zucke ich mit den Schultern und starre auf die Straße, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Wieso bist du die letzten Wochenenden nicht zu den Scales gefahren?", fragt er weiter, ich frage mich woher seine Redelaune auf einmal herkommt.

„Ich konnte einfach nicht", murmle ich erschöpft und schließe kurz meine Augen, um meine Gedanken zu vertreiben. „Wegen der Party?" Ich beiße mir auf die Lippe, hebe erneut die Schultern, weil es mir peinlich ist, zu antworten. Plötzlich wütend greift er fester um sein Lenkrad, seine Fingerknöchel werden weiß und ich frage mich, was ich falsch gemacht habe. „Du warst ziemlich außer dir", meint er und ich frage mich, worauf er hinaus will, wohin das führen wird

„Wie ein Bambi", fährt er fort und mein Atem stockt.

Seine Worte sind nur Show, sage ich mir, Show um von sich abzulenken.

Splitterseele Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt