Kapitel 16

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„Das geht so nicht mehr“, meine ich entschlossen, als er das Auto in seiner Einfahrt anhält und die Musik verstummt ist. Er dreht sich zu mir und sieht mich verwundert an, verlangt nach einer Erklärung. „Du kannst nicht in einem Moment nett sein und dann wieder ein Arschloch. Das kann ich nicht“, erkläre ich ihm, wende meinen Blick nicht ab, sehe ihn weiterhin an, genauso wie er mich ansieht. „Du musst dich entscheiden, ob du mich hasst oder magst. Ein Zwischending geht nicht. Entweder du bist immer fies oder eben nicht, aber ich schaffe das anders nicht, Luke und ich weiß, dich interessiert das nicht, aber du musst dich entscheiden.“

Ich beobachte ihn dabei wie er sich über die Lippen leckt und ein paar Mal mit den Fingern auf sein Lenkrad trommelt, in einem stetigen Rhythmus zu einem Lied, welches ich kenne, aber dessen Name mir nicht einfällt. „Ich hasse dich nicht“, meint er und ich sacke in mich zusammen. Er sollte mich hassen, sollten sie alle. Verzweifelt seufze ich auf, habe mir mehr erhofft. Wieso kümmert es mich überhaupt, was er über mich denkt? Wieso freue ich mich darüber, dass er mich nicht hasst, obwohl er das sollte? Seine Worte sind nur Show, sage ich mir, Show um von sich abzulenken. Doch diese Worte waren keine Show, sie sind wahr. Er hasst mich nicht.

„Können wir mal zusammen was machen? Schwänzen oder so?“, frage ich ihn also, weil weder er noch ich Anstalten machen auszusteigen, geschweige denn zu sprechen, jedoch sieht er mich an und ich erwidere den Blick, unterbreche mit der Frage das Schweigen, welches herrschte. Er runzelt die Stirn und neigt den Kopf zur Seite. „Wieso sollte ich mit dir schwänzen?“ Ja, wieso sollte er? Ich dachte, sowas macht Luke Thompson nun einmal, aber ich hätte vielleicht daran denken sollen, dass Luke Thompson nicht so ist, wie er sich gibt. Ich hätte daran denken sollen, dass niemand sich so gibt, wie er ist und ich ihm und allen anderen nicht Interessen zuschieben sollte, die sie gar nicht wollen. Mir sollte klar sein, dass sich nichts ändert, nur weil er mich nicht hasst.

„Ich würde dich gerne näher kennen lernen und ich wollte schon immer Mal unter freiem Himmel schlafen. Das können wir ja zusammen machen.“, probiere ich es weiter, versuche beiläufig zu klingen. So, als würde ich mich nicht überwinden müssen, als würde mein Herz nicht rasen und als hätte ich keine Gänsehaut, weil ich so gespannt auf seine Antwort warte, vor der ich solche Angst habe.

„Und wieso willst du das mit mir machen und nicht mit einer deiner Klassenkammeraden oder Sam?“ Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll, denn mein Kopf ist wie leergefegt. Kann er nicht einfach ja oder nein sagen? „Du hasst mich nicht“, sage ich und damit er nicht denkt, er wäre der Einzige, an den ich gedacht habe, obwohl es so ist, schiebe ich noch hinterher, „und Sam mag so etwas nicht.“ Dabei weiß ich gar nicht, ob Sam so etwas mag oder nicht, aber ich will Luke näher kennenlernen und ich will herausfinden, was so besonders an ihm ist, dass mein Körper sich nach ihm sehnt. Dass ich seine Umarmung will. Ich muss darüber mit Domenik sprechen.

„Also bin ich nur deine zweite Wahl“, stellt er fest und fixiert mich förmlich mit seinen blauen Augen, um keine Reaktion zu verpassen. Ich glaube, er testet mich.

Nein, denke ich, aber ich sage es ihm nicht. Ich zucke mit meinen Schultern, lasse die Antwort offen. Wenn er sich darauf einlässt, dann braucht er nicht zu wissen, ob er meine erste oder zweite Wahl gewesen wäre, denn letztendlich wird er es sein, der mit mir dieses Erlebnis lebt, der mit mir unter freiem Himmel schläft. Weder Sam, noch Jane. Er. Er wird es sein, der einige Stunden mit mir alleine sein wird, so wirklich bei mir sein wird und nicht gedanklich tausende Meter entfernt. Er wird es sein, der mir einen Wunsch erfüllt – nicht Sam, nicht Jane. Und wieso auch immer will ich, dass er es ist.

Man sollte nicht so lange darüber nachdenken, ob man die erste Wahl gewesen wäre oder nicht. Wir denken viel zu viel über die Stellung bei anderen nach, einfach, weil wir es mögen gemocht zu werden und weil es sich gut anfühlt, die erste Wahl zu sein. Ich glaube, egal wie sehr man versucht, nicht auf andere zu achten, es gibt immer jemanden bei dem man sich wünscht, an erster Stelle zu stehen. Aber ich bin nicht jemand, der wichtig genug ist, um an erster Stelle stehen zu wollen und deswegen, soll er einfach aufhören, sich Gedanken darüber zu machen.

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