Wiedersehen

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Müde stand ich auf. Ich schloss das gekippte Fenster und war einen Blick hinaus. Schneeregen machte London hässlich und grau. Auf den Bürgersteigen hatten sich große Pfützen gebildet, eine Frau schob einen Kinderwagen die Straße hinunter, einen kleinen Jungen sichtlich gestresst hinter sich herziehend. Er tat mit leid, was wäre wohl wenn ich ein Kind hätte? Die ersten Freunde fingen bereits an zu Heiraten. Jetzt begann der Stress. Es war doch so. Spätestens in zehn Jahren würde sich der Freundeskreis splitten. Mit 35 hatte man entweder Kinder und eine Langjährige Beziehung, oder man gehörte zu denen die sich dagegen entschieden. Ich wollte weder Heiraten, noch Kinder. Jan zum Beispiel war Mitte 30, war verlobt und hatte Aaron. Dazu hatte er Medizin Studiert. Er war so gesehen das goldkind der Famile. Er war so wie ich nicht werden wollte.

Es war gestern ein langer Abend gewesen, Lizz, Phil und noch ein paar andere Freunde von der Uni waren da gewesen. Mir grauste es noch immer wenn ich an den gewaltigen Spülberg dachte den wir hinterlassen hatten. Es war ein Samstag, ich hatte bereits viel für die Uni getan und alles andere Erledigt. Leicht gelangweilt goss ich meine pflanzen auf den Regalen. Ich liebte es wie die grünen Ranken langsam die Wände entlangkletterten, sich ihren Weg zwischen Büchern und Töpfen bahnten. Sie wuchsen an den Kordeln entlang die ich mittlerweile gespannt hatte um eine Richtung vorzugeben. Es sah toll aus, an das Seil hatte ich Fotos gehängt und Tibetische Gebetsfahnen. Nicht das ich Gläubig wäre, das hatte ich schon sehr früh abgelegt, ich fand es nur einfach toll weil sie bunt waren und mich an Ferne Länder Erinnerten. Die Wohnung wandelte sich langsam aber sicher und wurde immer mehr so wie ich war. Mit einem Grinsen goss ich auch die zwei weiblichen Hanf Pflanzen die seit einer Weile beim anderen Grün standen. Etwas versteckt, nur für alle Fälle.  Ich nahm eine Zigarette und ging auf den Balkon. Hoffentlich würde es bald schneien. Wie ich dieses Jahr Weihnachten verbringen würde wusste ich noch nicht. Jan war ja immernoch da, also wahrscheinlich dann mit ihm. 

Mein Bruder wohnte inzwischen in einer WG mit zwei anderen Kerlen die beide ebenfalls so zwischen 25 und Anfang dreißig waren. Nele wollte partout keinen Kontakt zu ihm und so hatte er es erst erst einmal aufgegeben wieder nach Deutschland zu gehen, auch wenn es ihm es unglaublich schwer viel. Er hatte sogar einen Job in einer Arztpraxis bekommen, worüber ich mich sehr freute, es war gut wenn Jan auf andere Gedanken kam.

Ein Auto erregte meine Aufmerksamkeit. Meine Straße war sonst eher weniger befahren, ziemlich ruhig und abgelegen der Hauptstraßen. Interessiert zog ich an der Kippe, sog den beißenden Qualm in meine Lungen und hielt für einige Sekunden die Luft an um den eigenen Geschmack besser zu wahrzunehmen. Die Tür knallte zu, ich konnte die Person nicht sehen, der Hauseingang war beinahe genau unter dem Balkon.

Wenig später klingelte es. Irritiert  löschte ich die Zigarette die erst einen Zug gebrannt hatte und mir zu teuer war um sie weg zu schmeißen, also klemmte ich sie mir hinters Ohr so wie ich es oft tat, und machte mich daran zu öffnen. Ich erwartete niemanden.  

Ewan strahlte sein charmantes Grinsen und sah mich mit leuchtenden Augen an. Ich blinzelte, konnte nicht glauben das er da stand. "Hey." Sagte er und ging einen Schritt auf mich zu. Ich wich hastig zurück. Bekam den Mund nicht auf. "Lou?" Er kam wieder näher, legte eine Hand auf meine Schulter. Die Berührung traf mich wie ein Schlag. Dort wo seine Finger lagen brannte meine Haut. Ich wollte ihn nicht so nahe haben, war nicht darauf vorbereitet das er plötzlich hier auftauchte. Nicht nach zwei Monaten. Nicht ohne auch nur eine Andeutung gemacht zu haben vorher. Ewan suchte wieder meinen Blick und lächelte noch einmal warm, schloss die Arme um mich. Ich fühlte mich gefangen und mehr als unwohl gerade. "Ich meine ich habe ja nichts gegen den Flur, aber wollen wir nicht vielleicht lieber in die Wohnung?" Diese vertrautheit. Ewan trat so plötzlich wieder in mein Bewusstsein das ich damit komplett überfordert war. So sehr hatte ich mich von ihm abgeschottet in der letzten Zeit."Nein. Ich glaube es ist besser du gehst." Brachte ich mühsam, mit bebender Stimme hervor. "Was?" Fragte er verwirrt. "Du hast mich schon verstanden." Ich hatte nicht einmal 'Hallo'gesagt. Ewan hielt für einen Moment inne, er wirkte verletzt, rieb sich über die Stirn. Scheinbar hatte ich komplett ins schwarze getroffen und er hatte nicht mit so einem Empfang gerechnet. Was dachte er auch? Das ich ihm nach dieser Zeit freudestrahlend in die Arme fallen würde? Es war mehr als unfair gewesen was er getan hatte.

Lou & EwanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt