Kapitel 2

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Mir wurde heiß und kalt. Rikers Blick sprühte förmlich vor Hitze. Neugier und Erstaunen zeichneten sich deutlich auf seinem Gesicht ab. Seine hellen Augen schienen im Sonnenschein geradezu zu funkeln. Mein Mund war ganz trocken. Mehrmals musste ich schlucken, um den imaginären Klos in meinem Hals loszuwerden.

„Hallo", erwiderte ich und musste mich räuspern, da meine Stimme ganz kratzig klang.

Mr. Campbell winkte mir zu. „Beatrix, schön dich endlich mal wieder zusehen. Wie geht es meinem Lieblingsmädchen?"

Mein Mädchen nannte er mich schon, seit ich denken konnte. Genau wie seine Frau. Es hatte mich nie gestört und ich habe mich immer geliebt gefühlt.

„Danke, mir geht es gut. Wie geht es Ihnen und Ihrer Frau?" Langsamen Schrittes ging ich die zwei Stufen, die zur Eingangstür führten, hinunter und dann zurück zum Auto.

„Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du mich Theo nennen sollst. Bei Mr. Campbell fühle ich mich so alt." Sein Lachen war tief und erinnerte mich irgendwie immer an einen fröhlich brummenden Bär. „Uns geht es gut." Kaum war ich in seiner Reichweite angekommen, da zog er mich auch schon in eine innige Umarmung.

Aus dem Augenwinkel beobachtete ich Riker, der neben uns stand. Im Gegensatz zu vorher trug er keine Lederjacke mehr. War ja auch viel zu warm, immerhin hatten wir Anfang August. Seinen Oberkörper verhüllte ein hellblaues Shirt, dessen Farbe perfekt zu seinen Augen passte, und das sich wie eine zweite Haut an seine breite Brust und die definierten Oberarme schmiegte. Seit wann war er denn so ein Kraftpaket? Okay, in der Schule war er auch schon sportlich gewesen und die einzelnen Teams hatten sich geradezu um ihn gerissen. Womöglich hätte er auch überall mitgemischt, wenn es zeitlich und organisatorisch möglich gewesen wäre, denn er war in allem gut gewesen. Letzten Endes hatte er sich aber für das Leichtathletikteam entschieden. Die Mädchen unserer Schule hatten gar nicht schnell genug zur Tribüne gelangen können, um ihn anzuhimmeln. Ich hatte es nur selten getan und dann hatte ich mich nicht auf einem der Sitzplätze niedergelassen, sondern mich eher versteckt gehalten, umnicht gesehen zu werden. Das Letzte was ich gewollt hatte, wargehänselt zu werden. Bis heute schämte ich mich dafür, dass ich meinen Nachbarn angeschmachtet hatte, wie all die anderen Mädels auch, obwohl ich wusste, dass ich nie eine Chance bei ihm haben würde. Ein Junge wie Riker gab sich nicht mit Mädels wie mir ab: schweigsam, schüchtern, gebrochen und fett. Jedenfalls nicht im romantischen Sinne. Die beliebten Schüler gingen auch immer mit den beliebten Schülerinnen und nicht mit denen, die unter dem Radar blieben. Das er mich überhaupt wahr genommen hatte und mit mir sprach, war wohl eher der Tatsache geschuldet, dass wir Nachbarn waren und uns seit unserer Geburt kannten.

Ich löste mich von Theo und wandte mich Riker zu, dessen Blick immer noch auf mir ruhte. Sein Blick war unergründlich und fest auf mein Gesicht geheftet. Lag es an meinem Outfit? Da wir beim Bestatter waren, hatte ich mich für eine lange schwarze Hose mit dazu passender anthrazitfarbener Bluse entschieden. Unsicher was ich jetzt tun sollte, sah ich ihn einfach nur an, musterte ihn dabei ganz genau. In den letzten zehn Jahren war er ein ganzer Kerl geworden. Hatte er früher nur ein paar Stoppeln entlang seiner Kiefer gehabt, da er zu faul war, sich regelmäßig zu rasieren, hatte er nun einen akkurat gestutzten Bart, der nicht nur seine Kiefer zierte sondern sich auch um seinen verführerischen Mund herum erstreckte. Die dunkelbraunen Haare waren kurz, aber immer noch lang genug, um mit den Fingern hindurch fahren zu können. Das hatte ich schon immer tun wollen. Mein Blick wanderte hinab zu seiner Brust, dann weiter über den flachen Bauch und hinunter zu den in ausgewaschenen Jeans steckenden langen Beinen. Neben Riker hatte ich mich immer gefühlt wie ein Gnom. Um ihm in die Augen sehen zu können musste ich den Kopf in den Nacken legen.

Was ging in seinem Kopf vor? Seinem Blick nach zu urteilen, war er nicht sicher, was er von der ganzen Situation halten sollte. Hatte er in den letzten Jahren mal nach mir gefragt oder hatte er die pummelige Nachbarin vergessen, sobald die Schule vorbei gewesen war und sich die meisten Schüler in alle Himmelsrichtungen verstreut hatten? Ein Teil von mir tippte auf Letzteres, wobei der andere Teil, der naivere Teil, auf Ersteres hoffte. Als Kinder hatten wir so viel Zeit miteinander verbracht, waren rennend, springend und lachend durch die Gärten unserer Familien getollt. So etwas vergaß man doch nicht so schnell. Oder doch?

Peinlich BerührtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt