Kapitel 1

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Ich stand am Fenster meines alten Zimmers im Haus meiner Eltern und blickte aus dem Fenster. Hinüber zum Haus unserer Nachbarn. Alles sah noch genauso aus, wie ich es zuletzt gesehen hatte. Da stand immer noch diese große Tanne im Vorgarten, die Mrs. Campbell jedes Jahr zum ersten Dezember mit einer Lichterkette schmückte. Und auf der Seite des Hauses, welche unserem Grundstück zugewandt war, rankte sich noch immer der Efeu zum Dach empor. Allerdings hatten die Campbells in den vergangenen Jahren ihr Dach neu decken lassen. Früher hatte es rote Schindeln gehabt, nun waren sie schwarz. Der hintere Garten war immer noch akkurat gemäht, die Rosensträucher entlang unseres Zaun standen in voller Blüte und die kleinen Beete mit Küchenkräutern waren von jeglichem Unkraut befreit. Mrs.Campbell war schon immer diejenige in der Familie mit dem grünen Daumen. Ihr Mann und auch ihr Sohn taugten lediglich zum rasenmähen.

Es waren Jahre vergangen, seit ich zum letzten Mal hier gewesen war. Zu viele Erinnerungen, zu viele negative Gefühle. Seit ich vor zehn Jahren zum College gegangen war, hatte ich dieses Haus nicht mehr betreten. Meine Eltern hatten mich einmal in Washington besucht, ansonsten war unser Verhältnis eher abgekühlt. Als ich dann in London studierte und im Haus meiner Tante Francis, der Schwester meines Vater, wohnte, waren sie zwei Mal zu Weihnachten herüber geflogen. Das Fest der Liebe hatte sich in unserer Familie gewandelt. Meine Eltern waren enttäuscht von mir gewesen, was ich bis heute nicht verstehen konnte. Ich war enttäuscht von ihnen – und werde es auch immer sein -, von ihrer Ignoranz den Geschehnissen gegenüber, daher hatte ich es immer vermieden wieder nach Hause zu fliegen. Doch nun ließ es sich nicht vermeiden, denn meine Mutter war an einem Herzinfarkt verstorben und zur Beerdigung musste ihr einziges Kind anwesend sein. Mein Vater nahm meine Anwesenheit eher nebenbei zur Kenntnis. Froh mich zu sehen war er nicht, dass ließ er mich deutlich spüren und ich war mir sicher, dass er schon jetzt die Stunden zählte, bis ich wieder abreisen würde. Da hatten wir etwas gemeinsam. Drei Tage!! Drei Tage die mir jetzt schon wie eine Ewigkeit vorkamen.

Am Abend zuvor war ich in Savannah gelandet und mit dem Taxi nach Hause gefahren. Nach Hause, das hörte sich einfach falsch an. Dieses Haus war schon lange nicht mehr mein Zuhause. Ich wohnte in London. Allein in einem Apartment, in dem ich mich gemütlich eingerichtet hatte. Mein Job an einer Grundschule als Englischlehrerin machte mir Spaß und ich hatte einige Freunde gefunden, mit denen ich ab und zu etwas unternahm. Es war nicht das Leben, dass sich viele junge Frauen wünschten, denn ich war Single und hatte keine Kinder. Und das im Alter von achtundzwanzig Jahren, aber ich war zufrieden. Kinder hatte ich ja fünf Tage die Woche um mich herum, also vermisste ich eigene nicht so sehr.

Eine Bewegung in der Einfahrt unserer Nachbarn riss mich aus meinen Gedanken und ich fokussierte meinen Blick darauf. Ein schwarzes Auto stand in der Einfahrt und zwei Männer stiegen aus. Den einen Mann erkannte ich als Herrn Campbell, mit seinen ergrauten schulterlangen Locken. Irgendwie hatte er etwas von einem Philosophen oder einem exzentrischen Wissenschaftler, doch er war Mathematikprofessor an der Savannah State University. Ein sehr freundlicher, hilfsbereiter Mann. Hinter ihm lief ein Mann in zerrissenen schwarzen Jeans und einer schwarzen Lederjacke. Wer war das? Als sich Herr Campbell der Haustür zuwandte, gab er den Blick auf das Gesicht des anderen Mannes frei und mir stockte der Atem. Riker. Himmel, sah er gut aus. Er war schon immer ein verdammt gutaussehender Typ gewesen, aber die letzten zehn Jahre hatten ihn kerniger, noch männlicher gemacht. Was zum Teil auch an der dunklen, derben Kleidung lag. Diese ausgewaschenen Jeans, mit den Löchern an den Knien, schmiegten sich eng an seine langen, muskulösen Beine und die leicht abgenutzt aussehende Lederjacke betonte seine breiten Schultern. Plötzlich lachte er und mein Herz setzte für einen kurzen Moment aus. Oh, dieses Lachen kannte ich nur zu gut. Das hatte mich auch früher schon fasziniert und war einer der Gründe gewesen, wieso ich heimlich für ihn geschwärmt hatte. Leider war ich damit nicht allein gewesen. Ein weiterer Grund waren diese meerblauen Augen gewesen, die einen in ihren Bann gezogen hatten und einen irren Kontrast zu seinen dunkelbraunen, fast schon schwarzen Haaren bildeten. Riker waren die Mädchenherzen nur so zu geflogen und er hatte viele von ihnen im Laufe der Jahre gebrochen. Auch meins, obwohl er davon nichts gewusst und es somit auch nicht absichtlich getan hatte. Schwungvoll schwang er sich einen Seesack über die linke Schulter, wobei sein hellgraues Shirt leicht nach oben rutschte und einen Streifen nackter Haut freigab. Genau den Bereich zwischen Bauchnabel und Hosenbund. Selbst vom Fenster meines alten Zimmers aus konnte ich den schmalen Streifen dunkler Haare erkennen, der direkt unter dem Bund seiner Hose verschwand. Mein Mund wurde trocken und ich musste kräftig schlucken. Was war nur los mit mir? Seit wann brachte mich das so durcheinander? Ich hatte so etwas schon öfters gesehen, vorwiegend in dem Fitnessstudio, in dem ich vier Mal die Woche trainierte, aber irgendwie hatte es mich nie so direkt angesprochen.

Peinlich BerührtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt