„In London? Echt jetzt?" Riker war erstaunt, seine Augen waren so groß wie Untertassen. „Seit wann?"
„Ja, ich lebe in London. Warum überrascht dich das so?" Ich wusste ja, dass viele Briten in die USA zogen, daher war es sicher im ersten Moment erstaunlich, dass ich ins vereinigte Königreich übergesiedelt war, aber er tat ja fast so, als wäre es der Supergau.
Er schüttelte den Kopf. „Es ist einfach unglaublich, dass wir in derselben Stadt wohnen und uns nie über den Weg gelaufen sind. Wie kann das sein? Wie lange lebst du schon in London?"
„Was? Du lebst auch in London? Das gibt es doch nicht." Plötzlich war ich die Erstaunte. Es war wirklich unfassbar, dass wir praktisch Nachbarn waren und uns nie begegnet waren. Okay, in der englischen Hauptstadt lebten rund neun Millionen Menschen, was man in etwa mit einem überdimensionalen Ameisenhaufen vergleichen konnte, wo eine Begegnung in etwa so wahrscheinlich war, wie das Finden einer Nadel im Heuhaufen. Also beinahe unmöglich.
„Ich lebe seit dreieinhalb Jahren in London, genauergesagt in Richmond. Wo wohnst du? Und jetzt sag' mir nicht, dass du im gleichen Stadtteil lebst." Riker fuhr sich mit der linken Hand durch sein kurzes dunkelbraunes Haar, so dass er es ganz durcheinander brachte.
„Nein, ich wohne in einer kleinen Wohnung in Bromley und bin seit drei Jahren in London. Du wohnst wirklich in Richmond? Da habe ich auch nach einer Wohnung gesucht, aber nichts passendes gefunden. In meinem ersten Jahr in London habe ich in einer WG in Ealing gewohnt, zusammen mit drei anderen Frauen. Einmal und nie wieder."
Die Zeit mit Maddie, Lynn und Carla war ein wahrer Albtraum gewesen, da die Mädels mehrmals die Woche die Nacht zum Tag gemacht hatten. Nicht wirklich verwunderlich, denn sie hatten ja tagsüber genug Zeit zum Schlafen. Maddie hatte in einem Sexshop gearbeitet, Lynn für eine Sexhotline und Carla als Barkeeperin in einem der angesagtest Clubs der Stadt. Genau das Richtige für eine Lehrerin, die jeden Morgen kurz vor sechs aufstehen musste. Selbst mit Schlafmaske und Oropax war es oftmals schwer gewesen ausreichend Schlaf zu finden. Und die drei darum zu bitten, etwas leiser zu sein, hatte jedes Mal mit Buh-Rufen und missfallenden Blicken geendet. In ihren Augen war ich eine Spiesserin, Spielverdärberin und Langeweilerin gewesen. Nichts Neues für mich, denn so wurde ich ja bereits seit meinem vierzehnten Lebensjahr betitelt. Jede Nacht hatte ich dafür gebetet, endlich eine andere Wohnung zu finden und diesem Tollhaus entkommen zu können. Leider hatte das ein ganzes Jahr gedauert. Erst nach einem Jahr hatte mir eine Kollegin von der freigewordenen Wohnung in ihrer Straße erzählt und ich hatte sofor tbei der Vermieterin, einer älteren Frau, die ebenfalls mit im Haus wohnte, angerufen. Mein Beruf als Leherin hatte ihr sofort zugesagt, denn sie ging davon aus, dass Lehrer oder Lehrerinnen ein ruhiges Leben führten und keine wilden Parties schmissen. Natürlich nicht. Mit wem sollte ich auch wilde Parties feiern? Ich hatte ja keine Freunde, jedenfalls keine richtigen. Traurig, ich weiß, aber was sollte ich machen? Wenn man so ruhig und zurückhaltend war wie ich, war es nun mal nicht einfach neue Leute kennen zu lernen. Und es fiel mir außerdem schwer anderen Menschen zu vertrauen.
„Was machst du dann beruflich", wollte ich wissen und wandte mich ihm zu, um ihn ansehen zu können. Bei all den Muskeln ging ich von körperlicher Arbeit aus. Anders war es auch gar nicht möglich so einen gestählten Körper zu bekommen, es sei denn man verbrachte jeden Tag mehrere Stunden im Fitnessstudio und fraß Gewichte und das konnte ich mir bei Riker einfach nicht vorstellen. Klar, er war immer sportlich gewesen, aber hatte nie irgendeinem Körperkult gefönt.
Riker lehnte sich entspannt zurück und blickte hinunter aufs Meer. Eine leichte Brise wehte durch die Haare, die ihm in die Stirn gefallen waren. Sofort juckte es mich in den Fingern und ich wollte ihm die Haare wieder zurecht streichen. „Ich bin Graphic Designer in einer Werbeagentur. Wir arbeiten mit namhaften Firmen zusammen und entwickeln Werbeplakate, Werbesports oder auch Werbekampagnen in Zeitschriften oder Onlinemagazinen. Kennst du die Plakate für diesen euen kunterbunten Kaugummis von Sweet Tooth? Die habe ich zusammen mit meinem Kollegen Jayson gemacht." In seiner Stimme war deutlich der Stolz auf seine Arbeit zu hören.
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Peinlich Berührt
RomansaZehn Jahre ist es her, seit Beatrix zuletzt in ihrer Heimat war. Das Verhältnis zu ihren Eltern ist zerrüttet - wegen eines sehr traumatischen Vorfalls, den sie bis heute nicht komplett verarbeitet hat. Zehn Jahre ist es außerdem her, seit sie den N...