Kapitel 3

3.2K 184 14
                                    

Die Beerdigung war in vollem Gange und wir befanden uns draußen auf dem Friedhof, wo der Sarg kurz zuvor in die Erde hinab gelassen worden war. Ich stand neben meinem Vater und wischte mir immer wieder ein paar Tränen von den Wangen. Egal wie unterschiedlich meine Mutter und ich auch gewesen waren, egal wie zerrüttet unser Verhältnis zum Schluss auch gewesen sein mag, sie war immer noch meine Mutter. Die Frau, die mich monatelang in ihrem Bauch getragen und mich mit ihrem Körper geschützt hatte. Die Frau, die mir das Leben geschenkt hatte. Die Frau, an deren Händen ich meine ersten wackeligen Schritte gemacht hatte. Neben mir weinte mein Vater hemmungslos. Ihm schien es egal zu sein, dass all unsere Verwandten, Freunde, Bekannten und Nachbarn seine Tränen sehen konnten. Einmal im Leben ließ er die Mauern sinken und ließ alle an seinen Gefühlen teilhaben. Warum war dazu erst ein Tod nötig gewesen? Der Tod seiner geliebten Frau?

Verstohlen blickte ich mich um, scannte all die Menschen, die gekommen waren, um sich von meiner Mutter zu verabschieden. Rechts stand die Familie: Tante Francis mit ihrem Mann Clinton und ihrer Tochter Fiona, dann Onkel Jack mit seiner Frau Tabitha und deren Tochter Delilah und natürlich auch Onkel Russel mit seiner Frau Amelia sowie den drei Söhnen Sam, Cole und Hunter. Bei Russels Anblick kam mir erneut die Galle hoch. Schon zu Hause hatte ich Mühe gehabt, mich zusammen zu reißen. Natürlich hatte ich bereits im Vorfeld gewusst, dass ich ihm begegnen würde, aber die Realität hatte mich doch irgendwie kalt erwischt. Wie er da neben seiner Frau und seinen Söhnen stand, wie der große Fels in der Brandung. Amelia hatte sich an seinem linken Arm festgeklammert und schluchzte bitterlich, während er selbst fast stoisch auf das Grab blickte. Die Gesichtszüge wie eingefroren, als würde ihm erst in diesem Moment klar, dass seine Schwester wirklich von uns gegangen war und nie mehr wieder kam. Jene Schwester, die sich schützend vor ihn gestellt hatte, als er zum Monster mutiert war. Vor ihn, ihrem Bruder, anstatt vor ihre eigene Tochter. Und mein Vater hatte natürlich zu ihr gehalten, hatte jedes ihrer und Russels Worte geglaubt anstatt denen seiner Tochter. Die Familie war einfach nur krank. Einmal mehr wurde mir klar, wie gut es war, dass ich so weit weg gezogen war. Über den großen Teich. Hier konnten sie schön weiter ihr eigenes Süppchen kochen. Nach diesem Ereignis, an diesem warmen Augustvormittag, würde ich sicher sehr lange nicht mehr herkommen. Dazu bestand einfach kein Grund. Mit den Leuten, mit denen ich in Kontakt stehen wollte, stand ich auch in Kontakt. Na gut, mit fast allen.

Links vom Grab standen Bekannte und Nachbarn. An vorderster Front die Campbells. Riker sah in seinem schwarzen Anzug mit dem weißen Hemd und der schwarzen Krawatte einfach zum Anbeißen aus. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie gut ihm ein Anzug stand. Dieses Outfit betonte seinen großen Körper mit dem breiten Rücken und den langen Beinen. Seine Mutter Lydia stand zwischen ihm und Theo und tupfte sich mit einem weißen Taschentuch die Augen ab. Beide Familien waren zur selben Zeit in die nebeneinander liegenden Häuser eingezogen und hatten sich sofort angefreundet. Das Riker und ich mit nur zwei Wochen Abstand zueinander geboren worden waren, war ein Segen für unsere Mütter gewesen, denn so hatten sie sich gemeinsam um uns kümmern oder einander mit Rat und Tat zur Seite stehen können. Je älter wir Kinder geworden waren, umso geringer war der Kontakt zwischen beiden Frauen geworden, da meine Mutter sich mehr und mehr zurück gezogen und wieder halbtags bei einem Notar gearbeitet hatte, während Lydia von zu Hause aus Kinderbücher illustrierte. Unsere Väter hingegen hatten sich fast ausschließlich nur über den Gartenzaun hinweg oder von Vorgarten zu Vorgarten unterhalten, wenn sie den Rasen mähten. Oder wenn beide Familien mal zusammen einen Grillabend veranstalteten. Keine dicke Männerfreundschaft!

Plötzlich hob Riker den Kopf und sein Blick traf auf den meinen. In seinen tiefblauen Augen stand echte Trauer und Mitgefühl. Auch wenn er nicht so einen engen Kontakt zu meiner Mutter hatte, kannte er sie doch sein ganzes Leben. Nun litt er mit seiner Mutter und anscheinend auch mit mir. Seine Augen waren von Tränen verschleiert, aber es war deutlich zu sehen, dass er sich zusammen riss. Mit der linken Hand strich er seiner Mutter beruhigend über den Rücken. Einmal mehr war ich überrascht von Rikers Einfühlungsvermögen. Ich stellte mir vor, wie er mich tröstend in den Arm nahm und mir mit seiner vollen tiefen Stimme ins Ohr flüsterte, dass alles wieder gut werden würde.

Peinlich BerührtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt