Kapitel 15

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In der folgenden Woche war ich mit zwei dritten Klassen auf einer Exkusion in Manchester. Nicht gerade erholsam. Meine Kollegen Rebecca, Miranda und ich hatten alle Hände voll zu tun die Kids im Zaum zu halten und keins von ihnen zu verlieren. Riker schrieb mir täglich einige SMS, allerdings antwortete ich nicht auf alle. Natürlich wusste ich, dass es nicht von fair von mir war ihn plötzlich auf Distanz zu halten, denn er hatte ja nichts falsch gemacht. Ich war diejenige, die mit dem Gefühlschaos in ihrem Inneren nicht klar kam. Er versuchte lediglich ein guter Freund zu sein und daran war nichts verwerflich. Abends wenn ich in meinem Bett lag, starrte ich oft stundenlang die Decke an und überlegte, wie ich bei unserem nächsten Aufeinandertreffen reagieren sollte, denn er merkte mit Sicherheit, dass meine Nachrichten nicht mehr so sorglos klangen wie noch vor unserem Essen.

Du verhältst dich arschig ihm gegenüber, sagte mir die kleine nervige Stimme in meinem Kopf und ich gab ihr ja auch recht, aber was sollte ich tun? Ihm sagen, dass ich kaputt war? Das er besser ohne mich dran war, denn ich war nicht die Frau, die er in seinem Leben gebrauchen konnte? Allerdings stand es mir nicht zu ihm vorzuschreiben, mit wem ich sich abzugeben hatte oder nicht. Riker war alt genug und konnte selbst für sich entscheiden. Er würde schon noch früh genug merken, wie verkorkst ich war.

Wäre ich überhaupt jemals in der Lage mit ihm über mein Problem zureden? Ich musste dringend mit Tamara darüber reden. Dieses Geheimnis sollte mich nicht ein zweites Mal meine Freundschaft mit diesem wunderbaren Mann kosten. Diese Freundschaft war mich sehr wichtig. Wichtiger als alles andere in meinem öden Leben.

Einmal in einem schwachen Moment vor einigen Jahren war ich drauf und dran gewesen Tante Francis von diesem Vorfall mit Russel zu erzählen, doch ich hatte mich in letzter Sekunde noch dagegen entschieden. Was hätte es auch gebracht? Sie hätte nur Mitleid mit mir gehabt. Etwas das kaum vorstellbar war, wenn man bedachte, dass sie mit meinem Vater verwandt war. Francis war die große Schwester meines Vaters und beide waren so verschieden wie Tag und Nacht. Wo mein Vater verschlossen und in sich gekehrt war, da war Francis aufgeschlossen und sogar ein wenig extrovertiert. Dad war Pessimist, sie Optimist. Dad lachte selten, Francis dagegen fast den ganzen Tag. Vom ersten Tag in London an, hatte ich mich bei ihr rundum wohl gefühlt. Geliebt und geborgen. Da Fiona in Cambridge studierte und dort auch in einer WG wohnte, überschüttete mich meine Tante förmlich mit Liebe. Sie liebte es zu kochen und zu backen, was man ihrem Körper allerdings nicht ansah, mir das Abnehmen aber erschwerte, da es einfach zu verlockend war, lieber noch einen ihrer Nussplätzchen zu essen anstatt eines Apfels. Auch wenn es mir schwer gefallen war, ich hatte es letztendlich doch geschafft meinen inneren Schweinehund zu überwinden und mich in einem Fitnesscenter anzumelden. Und ich  war auch regelmäßig hingegangen – was ich nach wie vor tat! -, denn ich war es leid mich im Spiegel zu betrachten. Überall Fett, dass bei jedem Schritt mitwackelte. Wehmütig hatte ich daran zurück gedacht, wie rank und schlank ich noch mit dreizehn und auch mit vierzehn Jahren gewesen war. Obwohl mein Körper damals erst ganz langsam begonnen hatte sich zu verändern, war ich trotzdem zu klein gewesen für all die Kilos, die ich mir aus Kummer angefuttert hatte. Zwanzig Kilo. Das musste man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ganze achtzig Stück Butter. Unfassbar!! Ich konnte wohl froh sein, dass meine Arterien nicht verfettet waren, denn Sport hatte ich keinen mehr getrieben, außer mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Die Sportstunden waren eine Qual gewesen und die Hänseleien der Mitschüler hatten mir dann den Rest gegeben. Muss ich noch erwähnen, dass ich nicht beim Abschlussball gewesen war? Mit wem auch? Wer hätte schon mit der fetten, verklemmten Beatrix zum Ball der Bälle gehen wollen? Niemand! Kein einziger Junge hatte mich gefragt, ob ich seine Begleitung sein wollte, also hatte ich mir das Geld für ein Kleid gespart und hatte stattdessen auf meinem Bett gelegen und ein weiteres Mal Stolzund Vorurteil gelesen.

Auch nach all den Jahren tat diese Erinnerung noch weh. Während all meine Mitschüler sich an diesem besonderen Abend in Schale geworfen und in der Turnhalle unserer Schule getanzt hatten, hatte ich auf meinem Bett gelegen und mir vorgestellt, wie es wäre am Arm von Riker in die festlich geschmückte Halle zu gehen und von den anderen Mädchen beneidet zu werden. Er wäre natürlich der perfekte Gentleman gewesen, hätte mich den ganzen Abend umsorgt und immer wieder mit mir getanzt – hauptsächlich zu langsamen Songs, damit er mich eng an sich drücken konnte. Träum weiter, hatte ich mir zugeraunt und verbittert mit den Zähnen geknirscht, und komm' darüber hinweg. Du kannst nichts dagegen tun. Mit dir will eben niemand mehr was zu tun haben. Du bist verkorkst und geschändet. Niemand wird dich jemals wieder anrühren wollen. Beschädigte Ware!

Peinlich BerührtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt