Kapitel 9

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Eisessend schlenderten wir durch Richmond. Riker war der perfekte Tourguide. Er zeigte mir das Torhaus des ehemaligen Richmond Palace, führte mich durch den Royal Botanic Garden mit seinen bedeutenden Gewächshäusern und den Richmond Park, dem ehemaligen Hirschjagdgebiet von König Edward I. Ich war überrascht, wie viel er von der Geschichte des Stadtteils wusste, denn früher war ich diejenige gewesen, die sich immer wie die Geschichte interessiert hatte.

Unser Spaziergang führte uns ebenfalls vorbei an der Deutschen Schule London und der Schwedischen Schule London. Leider vergeht die Zeit immer besonders schnell, wenn man Spaß hat und so neigte sich der Tag schneller dem Ende, als mir lieb war. Riker versprach allerdings hoch und heilig mir beim nächsten Mal den Hampton Court Palace, Ham House und Strawberry Hill zu zeigen.

„Aber vorher zeigst du mir wo du wohnst." Seine Augen blitzten vergnügt und seine Mundwinkel hoben sich zu einem frechen Grinsen. Wir standen an der Bahnstation und waren dabei uns von einander zu verabschieden. „Ich will ja schließlich auch wissen, wo meine beste Freundin so wohnt."

Beste Freundin? Hatte ich da etwas nicht mitbekommen? Ich blinzelte verwirrt und musterte sein Gesicht eingehend. Verarschte er mich? In seinem Gesicht konnte ich kein Zucken erkennen, was darauf schließen ließ, dass er sich einen Spaß mit mir erlaubte.

Vernehmlich räusperte ich mich und holte dann noch einmal tief Luft. „Beste Freundin, huh?"

„Klar. Du weißt doch, dass wir früher wie Pech und Schwefel waren. Kaum zu trennen."

„Riker, damals waren wir Kinder gewesen. Und ich erinnere mich daran, dass sich das änderte, als du das andere Geschlecht für dich entdeckt hattest." Das waren nicht die Erinnerungen, die ich über all die Jahre in meinem Herzen aufbewahrt hatte, denn damals hatten wir uns Stück für Stück von einander entfernt.

Mit einer betretenen Miene sah er nach unten auf seine Schuhe. „Ganz so war das nicht und das weißt du auch genau. Wir haben immer viel Zeit miteinander verbracht, egal ob in der Schule oder zu Hause. Wir haben über alles miteinander geredet."

Das stimmte allerdings. Seine Mutter hatte uns mal scherzhaft als siamesische Zwinllinge bezeichnet, da wir, kaum das wir von der Schule zurück waren, schon wieder im Garten zusammen hockten, so als könnten wir keine zwei Minuten von einander getrennt sein. Für mich hatte es sich damals auch genauso angefühlt. Damals, als ich begonnen hatte Riker nicht nur als den Nachbarsjungen und meinen besten Freund zu sehen. Von einem Tag auf den anderen hatte mein Herz begonnen schneller zu schlagen, wann immer er in der Nähe war. Ich hatte das Mädchen sein wollen, dass er zum Lachen brachte. Das Mädchen, mit dem er am liebsten Zeit verbrachte. Und bis zu diesem besagten Sommer war es ja auch genauso gewesen. Riker und ich waren uns so nah wie nie gewesen – also emotional, nicht körperlich.

Irgendwie musste ich die Kurve kriegen, ehe dieses Gespräch noch eine Wendung nahm, mit der ich in dem Moment nicht umgehen konnte. Auf gar keinen Fall wollte ich mich in meinen Erinnerungen an diesen Sommer vor so vielen Jahren verlieren, denn dann würde ich mit größter Wahrscheinlich einen emotionalen Zusammenbruch erleiden – genau hier vor Riker. Das durfte nicht passieren also straffte ich die Schultern und trat einen Schritt auf ihn zu.

„Hast du Lust morgen zum Mittagessen zu mir zu kommen?" Oh, das war mutig von mir, denn bisher hatte ich noch nie einen Mann zu mir nach Hause eingeladen. Nicht einmal auf eine harmlose Tasse Kaffee.

Rikers Kopf flog förmlich nach oben und er lächelte mich erleichtert an. „Klar, dass würde ich wirklich gern."

„Okay, dann sei so gegen halb zwölf bei mir."

Er nickte zustimmend und zog mich für eine Umarmung in seine Arme. „Ich freue mich schon", murmelte er in mein rechtes Ohr und sein heißer Atem an meiner Ohrmuschel ließ mich erschauern.

Peinlich BerührtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt