Kapitel 5

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„Er hat seinen Sohn nach dir benannt, wusstest du das?"

„Natürlich weiß ich das. Ich bin tot, nicht taub oder dumm."

Gegen seinen Willen musste Draco schmunzeln und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, während er gedankenverloren das Weinglas in seiner Hand schwenkte. Seit er heute Morgen aufgestanden war, versuchte er verzweifelt seine Gedanken von Potter und dem vergangenen Abend abzulenken. Das Vorhaben war so lange erfolgreich gewesen, bis er Scorpius und Albus beim Mittagessen in der Großen Halle entdeckt hatte.

„Und was hältst du davon?"

Ein abfälliges Schnauben war die einzige Antwort, die Draco erhielt.

„Na komm schon", stichelte Draco seinen ehemaligen Lehrer. „Du bist ein Held, gestorben für den Sohn deiner großen Liebe. Das ist –

„Ich kann ihn trotzdem nicht ausstehen", unterbrach Snape ihn, ehe er seinen Satz beenden konnte und bedachte ihn mit einem verachtenden Blick, bevor er sich auf dem Absatz herumdrehte und mit wehendem Umhang das Bild verließ.

Seufzend starrte Draco auf das nun leere Bild und stellte sein unberührtes Weinglas auf den Schreibtisch neben die Aufsätze, die er bis vor einer halben Stunde noch korrigiert hatte. Sie hatten ihn kurzzeitig von den sich immer wieder im Kreis jagenden Gedanken ablenken können. Jetzt aber, wo er eigentlich nichts mehr zu tun hatte, kamen sie unaufhaltsam zurück. Immer wieder kehrten seine Gedanken zurück zu Potter. Zu Potter und seinen leeren Augen. Ging es ihm gut? Hatte er einen Ausnüchterungstrank im Büro gehabt oder hatte er bis zur Mittagspause warten müssen, um in die Apotheke gehen zu können? Mit Sicherheit hatte er keinen der anderen Auszubildenden damit beauftragen können. Erneut hallten Potters Worte in Dracos Kopf wider. Nur ein Aushängeschild, hatte er gesagt. Glaubte er wirklich, er war nur in diese Position gekommen, weil er damals Voldemort getötet hatte? Draco musste zugeben, sein jüngeres Ich wäre davon überzeugt gewesen. Doch seit dem hatte sich viel geändert. Potter mochte ihn vergessen haben, Draco aber war seiner Anwesenheit augenblicklich wieder schmerzlich bewusst gewesen, kaum dass er nach England zurückgekehrt war. Potter, dem sich mit seinem Namen alle Türen öffneten. Potter der strahlende Held, der jüngste Leiter der Aurorenzentrale aller Zeiten. Bis gestern war Draco davon überzeugt gewesen, Potter würde diesen Ruhm vielleicht nicht genießen, aber doch zumindest seine Vorteile zu schätzen wissen. Nun aber musste er diese Vorstellung überdenken. Was, wenn das Bild, das die Öffentlichkeit von Potter hatte, ebenso eingefroren war wie sein eigenes? Was, wenn es all seine späteren Taten überlagerte, so dass niemand den erwachsenen Potter sah? Draco wusste, dass er ein guter Auror war. Seit er im Ministerium angefangen hatte, hatte er Augen und Ohren aufgehalten. Es hatte kaum etwas gegeben, das ihm entgangen war. Es war einfach, alles zu sehen und zu hören, wenn man selbst nicht gesehen wurde. Er hatte Potters Erfolge und Misserfolge beobachtet. Er gehörte an die Spitze. Er war noch immer zu impulsiv, unfähig, sich in der Öffentlichkeit zu benehmen oder sich auszudrücken, wie es ein Mann in seiner Position tun sollte, aber er hatte eine unglaubliche Erfolgsquote vorzuweisen.

Mit einem lautlosen Seufzen stand Draco von seinem Schreibtisch auf und lief in seinem Büro auf und ab. Abwesend strich er an den langen Regalbrettern entlang, nahm einzelne Zaubertranzutaten in die Hand und drehte sie zwischen den Fingern hin und her, ehe er sie wieder zurück legte, ohne sie wirklich angesehen zu haben. Immer wieder sah er hinauf zu der silbernen Uhr über der Tür und beobachtete, wie sich der Minutenzeiger schläfrig vorwärts bewegte.

Draco schob die Papiere auf seinem Schreibtisch zusammen, rückte sein Tintenfass zurecht, nahm schließlich doch einen Schluck von seinem Wein und sah dann wieder auf die Uhr. Letztendlich gab er mit einem gequälten Stöhnen auf. Er strich sich durch die Haare und nahm seinen Umhang vom Stuhl, ehe er zum Kamin trat und eine handvoll Flohpulver hinein warf.

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